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Kehrt Tunesien zum Autoritarismus zurück?

Unterstützerinnen der Freien Verfassungspartei demonstrieren gegen die Pläne des Präsidenten
Unterstützerinnen der Freien Verfassungspartei demonstrieren gegen die Pläne des tunsesischen Präsidenten (© Imago Images / PanoramiC)

In Tunesien, dem wichtigsten demokratischen Experiment des Arabischen Frühlings, spitzt sich die politische Lage zu. Die Präsidentschaft versucht, die Parteien von der Ausarbeitung einer neuen Verfassung auszuschließen, wodurch das Land in eine ähnliche Situation wie vor 2011 zu geraten droht.

Die politische Krise in Tunesien eskalierte, nachdem Präsident Kais Saied am vergangenen Freitag ein Dekret zur Einsetzung einer »Nationalen Beratungskommission für die neue Republik« erlassen hatte, die eine neue Verfassung für das Land ausarbeiten soll, wobei die politischen Parteien von der Mitgliedschaft in der Kommission und damit aus dem Prozess der Verfassungsgebung ausgeschlossen sind.

Die Nationale Beratungskommission besteht aus drei Unterausschüssen, denen zahlreiche Professoren der Rechts- und Politikwissenschaften sowie Vertreter von fünf tunesischen Organisationen angehören. Dementsprechend kritisierten die politischen Parteien Präsident Kais Saied dafür, dass er sie nicht zur Teilnahme an den Ausschüssen eingeladen hat, welche die neue Verfassung ausarbeiten, und erklärten, sich dem Vorgehen des Präsidenten entgegenstellen zu wollen, das sie als »eine neue Phase der autoritären Herrschaft« bezeichneten.

In der Kritik vereint

Die erste Fraktion, die das Präsidialdekret kritisierte, war die Nationale Heilsfront, zu der eine Gruppe von Parteien und Aktivisten gehört, darunter die Ennahda, die Partei der Muslimbruderschaft, die den Schritt des Präsidenten als einen »Versuch, die Regierung zu monopolisieren und Macht anzuhäufen«, bezeichnete.

Die Muslimbruderschaft und die mit ihr verbündeten Parteien sind jedoch nicht die einzigen Kritiker. So warf die Demokratische Partei Kais Saied vor, einen »Weg einzuschlagen, der die Rolle der Gesellschaft verkleinert, die Rolle der politischen Parteien eliminiert und die Organisationen der Zivilgesellschaft an den Rand drängt«.

Abeer Moussa, der Vorsitzende der Freien Verfassungspartei, dem Gegenspieler der Muslimbruderschaft, wies die Entscheidungen des Präsidenten entschieden zurück: »Was hier geschieht, ist eine Verhöhnung des Volkes und die Errichtung einer Diktatur.«

Der größte Schlag kam von der einflussreichen tunesischen Handelsgewerkschaft, die ihre Weigerung ankündigte, an den Ausschüssen zur Ausarbeitung der neuen Verfassung teilzunehmen und erklärte, »die Krise in Tunesien erfordere einen Dialog mit den Organisationen, Verbänden und politischen Parteien«.

Die Kritiker von Kais Saied sind der Meinung, dass es dem Präsidenten gelungen ist, die politischen Parteien in Gegnerschaft zu vereinen, die ihn trotz ihrer grundlegenden Unterschiede unisono kritisieren und seinen Rücktritt fordern. Die Befürworter des Präsidenten hingegen sind der Ansicht, dass die politischen Parteien seit über einem Jahrzehnt bei der Verwirklichung der Wünsche des Volkes versagt hätten und dass dem neuen politischen Weg eine Chance gegeben werden müsse.

Rückkehr zum Autoritarismus

Diese Auseinandersetzung zwischen dem tunesischen Präsidenten und den politischen Parteien über die Ausarbeitung einer neuen Verfassung schlägt ein neues Kapitel in der politischen Krise des Landes auf, die mit den Entscheidungen des Präsidenten Kais Saied im vergangenen Sommer begann, das Parlament aufzulösen und die Regierung zu entlassen, um die politischen Unruhen zu beenden, die mit der Machtübernahme durch die Muslimbrüder zusammenfielen.

Seit Kais Saieds Entscheidung vom letzten Sommer sind viele Tunesier besorgt über die autoritären Tendenzen des Präsidenten, insbesondere angesichts von Berichten über seine Absicht, das politische System Tunesiens in ein Präsidialsystem zu ändern.

In diesem Zusammenhang sagte Alyssa Miller, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg, gegenüber der arabischen Ausgabe der Deutschen Welle, dass zwar »die derzeitigen Spannungen in Tunesien nicht das Ausmaß der Gewalt erreichen werden, das Tunesien im Jahr 2013 erlebte«, in dem einige Politiker ermordet wurden. Die Sicherheitslage sei völlig anders, »extremistische Gruppen, die 2013 im Nordwesten Tunesiens aktiv waren, sind jetzt unter Kontrolle«.

Dennoch sieht Miller »die Rückkehr der tunesischen Behörden zum Einsatz von Anti-Terrormaßnahmen als Vorwand, um gegen politische Gegner vorzugehen Es ist wahrscheinlich, dass Tunesien eine Rückkehr zu einer autoritären Herrschaft erleben wird, die »der Ära des ehemaligen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali ähnelt«, der 2011 durch die Revolution gestürzt wurde, so Miller abschließend.

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