In der deutschen Berichterstattung über den Mord an einem jungen Juden wird die israelische Regierung als bedrohlich und auf Vergeltung sinnend dargestellt, während die Täter und deren Motive unsichtbar bleiben.
In der Berichterstattung über die jüngsten von palästinensischen Terroristen verübten Mordanschläge auf israelische Zivilisten in Jerusalem zeigt sich einmal mehr die Bereitschaft vieler deutscher Journalisten, den Blick vom Tätermilieu und dem Mordmotiv Judenhass wegzulenken. Dafür werden gleichzeitig Juden als »Rechtsextremisten« bezeichnet.
Vergangenen Mittwoch waren bei zwei durch einen koordinierten Terroranschlag verursachten Explosionen an zwei Bushaltestellen in der Nähe der Einfahrten nach Jerusalem der 15-jährige Yeshiva-Student Aryeh Schupak getötet und zweiundzwanzig weitere Personen zum Teil schwer verletzt worden. Laut Polizeibeamten waren die ferngezündeten Bomben mit Nägeln gefüllt, um möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzen.
Wie berichteten deutsche Journalisten über den Terroranschlag? tagesschau.de schrieb unter der Schlagzeile »Anschläge erschüttern Jerusalem« im Vorspann: »In Jerusalem detonieren am Morgen kurz nacheinander zwei Sprengsätze. Ein 15-Jähriger wird dabei getötet, mehrere Menschen werden von Schrapnellen verletzt.«
Auch wenn noch kein mutmaßlicher Täter ermittelt wurde, weiß man, dass alle, die in Israel Bombenanschläge verüben, Palästinenser oder andere Araber sind, die aus dem Wunsch heraus handeln, möglichst viele Juden zu töten. Weder Titel noch Vorspann des Artikels aber geben irgendeinen Hinweis auf das Milieu, aus dem die Täter mit fast hundertprozentiger Sicherheit stammen. Weiter heißt es im Vorspann: »Erste israelische Politiker fordern jetzt Vergeltung.«
Die Täter bleiben im Dunkeln; die man hingegen im Licht des ARD-Berichts sieht, sind »israelische Politiker«, die mit »Vergeltung« in Verbindung gebracht werden. Zum antisemitischen Topos der »alttestamentarischen Rache« ist es da nicht weit.
ARD: Mord ein »Signal«
Im ersten Absatz schreibt der Autor Julio Segador (Bayerischer Rundfunk) vom ARD-Studio Tel Aviv von »zwei Terrorattacken«. Immerhin: Er wagt es, das T-Wort zu benutzen, das viele Journalisten meiden, geht es um die Ermordung von israelischen Juden.
Aber wieder kein Wort über die möglichen Urheber. Vielleicht tappt die Polizei ja, was die Motive betrifft, völlig im Dunkeln? Dann müsste der Autor das schon zu Beginn des Textes so mitteilen. Das ist aber nicht der Fall. Segador deutet durchaus an, aber sehr verspätet, eine radikal-islamische, antisemitische Terrororganisation könnte die Tat verübt haben: »Medienberichten zufolge soll es allerdings eine Aussage des Islamischen Dschihad geben, wonach die Terroranschläge ein Signal an die designierte neue rechtsgerichtete israelische Regierung sein sollen.«
Diese Zeilen stehen im fünften von insgesamt acht Absätzen. Über mehr als die Hälfte seines Artikels hat es der BR-Autor also geschafft, sich die Frage nach möglichen Tätern und Motiven zu verkneifen. Der potenziellen Urheberschaft des Islamischen Dschihads widmet Segador auch keinen ganzen Satz. Er teilt den Satz auf zwischen dem Islamischen Dschihad und der »rechtsgerichteten israelischen Regierung«, der hier womöglich ein »Signal« habe gegeben werden sollen.
Ein Signal also. »Signal« ist in Deutschland ein Hochwertwort (es sei denn, es ist das falsche Signal), ähnlich wie »Zeichen setzen« oder »grünes Licht«. Wer ein »Signal« gibt, gibt zu erkennen, einer von jenen zu sein, welche die Weichen stellen und bestimmen, wann der Zug abfährt. »Signal« ist der Name einer Zahnpasta, einer Versicherung und eines Messaging-Dienstes. Politiker benutzen das Wort ebenfalls gern und häufig. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte den G7-Gipfel ein »Signal der Klarheit und Stärke«.
Im Zusammenhang mit einem Mord ist der Begriff eine schockierende Verharmlosung, ein Euphemismus. Ein Teenager wurde ermordet, und der ARD-Reporter spricht davon, dass der Mord ein »Signal« gewesen sein könnte. Es soll dem Autor durchaus keine böse Absicht unterstellt werden. Der Korrespondent wird überhaupt nicht über seine Wortwahl nachgedacht haben, was allerdings kaum weniger bedenklich ist.
Palästinenser sind niemals Rechtsextremisten
An wen nun ist das »Signal« gerichtet? An die »neue rechtsgerichtete israelische Regierung«? Plötzlich ist also von der weltanschaulichen Ausrichtung der israelischen Regierung die Rede. Hat sie vielleicht Schuld an dem zweifachen Bombenanschlag? Ist sie das eigentliche Problem, der Grund dafür, dass Aryeh Schupak nun tot ist und viele andere Menschen zum Teil schwer verletzt wurden?
Segador will den Leser mit dieser Frage nicht allein lassen; der Leser braucht Orientierung, muss wissen, wer gut und wer böse ist. Darum führt er unvermittelt einen rechtsextremen Juden ein: »Der Rechtsextremist Itamar Ben-Gvir, der als Minister für Öffentliche Sicherheit im Gespräch ist, wurde deutlicher. Der Terror müsse einen Preis bezahlen, man müsse ›zu den gezielten Tötungen zurückkehren‹.«
Es soll hier nicht darum gehen, wie ein Journalist des Bayerischen Rundfunks zu Ben-Gvir steht und ob man diesen einen Rechtsextremisten nennen darf. Es ist eine Frage des Anstands, die sich allein aus dem Zusammenhang ergibt: Segador schreibt hier keinen Meinungsbeitrag über ein Kabinettsmitglied, sondern einen Bericht darüber, dass Anhänger einer genozidalen Ideologie Bombenanschläge auf jüdische Zivilisten verübt haben, mit dem einzigen Ziel, so viele Juden wie möglich zu töten.
Ein 15-jähriger jüdischer Junge ist tot, wird niemals seinen 16. Geburtstag feiern, heiraten oder Kinder haben. Und was fällt Segador dazu ein? Er bezeichnet fast im selben Atemzug, in dem er den Mordanschlag auf einen Juden erwähnt, einen Minister der israelischen Regierung als Rechtsextremisten. Der Verdacht, dass es hier um Schuldverlagerung geht, drängt sich auf. Die Mörder hingegen sind nämlich aus dem Schneider: Es ist auffällig, wer von dem Tagesschau-Autor nicht als rechtsextrem bezeichnet wird: der Islamische Dschihad. Er ist einfach der Islamische Dschihad bzw. eine Organisation. Nicht aber etwa der rechtsextreme Islamische Dschihad.
Der Islamische Dschihad wurde von Fathi Shaqaqi und Abd al-Aziz Awda gegründet, denen die ägyptische Muslimbruderschaft zu gemäßigt war. Ihr Vorbild ist Ajatollah Khomeini. Wie dieser streben sie eine Theokratie an, eine diktatorisch regierte Gesellschaft, die nach ihrer eigenen Lesart des Korans ausgerichtet ist. Aber die Mitglieder des Islamischen Dschihads sind eben keine »Rechtsextremisten«, sonst würden Julio Segador und die ARD uns das doch sicherlich wissen lassen.
Es geht noch schlimmer
Der Artikel ist übrigens nicht der schlimmste zu dem Thema. Ein Beitrag der DPA, der von vielen Zeitungen veröffentlicht wurde, spricht nicht einmal von »Terrorattacken« oder »Terroranschlägen«. Von »Anschlägen« ist wohl die Rede, aber die Bezeichnung »Terror« lässt Deutschlands wichtigste Nachrichtenagentur lieber weg. Wer mit Nägeln gefüllte Bomben zum Explodieren bringt, um möglichst viele Menschen zu töten oder zu verstümmeln, ist für die DPA eine »Gruppe«: »Zunächst bekannte sich keine Gruppe zu den Anschlägen.«
Die »im Gazastreifen herrschende Palästinenserorganisation« Hamas habe »sie«, nämlich die Anschläge, jedoch in einer Mitteilung als »heldenhafte Operation« gelobt, weiß die Deutsche Presseagentur. Auch spricht sie im Zusammenhang mit dem Mord an Aryeh Schupak vom »rechtsextremen Politiker Itamar Ben-Gvir«, hat aber natürlich noch nie etwas von rechtsextremen Palästinensern gehört.
Weder die DPA noch tagesschau.de erwähnen die Politik der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), in Israel inhaftierte Terroristen oder die Familien von getöteten Terroristen mit lebenslangen Renten zu belohnen. Diese Fakten sind für beide keine Nachrichtenthemen. Auch die Frage, was wohl Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, zu den jüngsten Terroranschlägen von Jerusalem zu sagen hatte – nämlich nichts –, wird weder von der Deutschen Presseagentur noch von der ARD gestellt.
Palästinensische Autonomiebehörde preist »Märtyrer«
Selbst wenn die Täter und Drahtzieher des Mordes an Aryeh Schupak noch nicht verhaftet wurden, könnten Julio Segador, der Bayerische Rundfunk, die ARD und die DPA einiges über die Hintergründe berichten, wenn sie denn wollten. Erst im September verherrlichte die Palästinensische Autonomiebehörde den »Märtyrertod«, den Kinder im Kampf gegen Israel sterben sollten.
Laut einem Bericht von Palestinian Media Watch zeigte das offizielle PA-Fernsehen Bilder von Trauerzügen getöteter Terroristen. Ein Sprecher sprach kommentierte:
»Hallo Dschenin, gegrüßt seien eure Helden. … Dschenin exportiert die Freiheit in die Welt und präsentiert seine Kinder als Opfer für Jerusalem und die [palästinensische] Sache. Dschenin, oh unsere wunderschöne Braut, die jeden Tag mit dem Moschus des Märtyrertums parfümiert ist. Dschenin, der Dorn im Hals der Besatzung … Dschenin, es ist Allahs Wahl, dass du eine sprudelnde Quelle von Märtyrern und Märtyrertum sein sollst.»
Kinder werden kaum verhohlen dazu aufgefordert, als Märtyrer für eine palästinensische »Sache« zu sterben. Man kennt die Ideologie, der zufolge es nichts Schöneres gebe als den Tod fürs Vaterland, auch aus der deutschen Geschichte. Die Leser von DPA-Artikeln und tagesschau.de bekommen von dieser Verhetzung nichts mit. Das Bild, das sie vermittelt bekommen, ist, dass es Rechtsextremisten in der israelischen Regierung gebe, während der Islamische Dschihad halt so eine Organisation ist, die hin und wieder mal ein Signal geben will.
In der Berichterstattung über den Mord an einem 15-jährigen Juden wird die israelische Regierung als bedrohlich und auf Vergeltung sinnend dargestellt, während die Täter und ihre Motive unsichtbar bleiben. »Anschläge erschüttern Jerusalem« wie ein plötzliches Erdbeben, Sprengsätze »detonieren« einfach so. Mit der Palästinensischen Autonomiebehörde und der mörderischen Ideologie des Antisemitismus soll das alles nichts zu tun haben.
Nachtrag:
Mittlerweile ist ein zweites Opfer, das bei den Bombenanschläge schwer verletzt worden war, verstorben: Tadesse Teshome Ben Madeh, ein 50-jähriger Vater von sechs Kindern.