Der Klimawandel, das ungebremste Wachstum und gigantomanische Bauvorhaben bringen die Wasserversorgung Istanbuls an ihre Grenzen.
Dort, wo normalerweise das Wasser metertief steht, wachsen Gras und Gestrüpp. So sehen derzeit viele der Seen aus, die in normalen Zeiten die Metropole Istanbul mit Wasser versorgen. Doch normal sind die Zeiten nicht: Der Sazlıdere-Stausee etwa ist, wie eine Reportage der taz berichtete, nur mehr zu rund vierzehn Prozent mit Wasser gefüllt, in den anderen Wasserreservoirs sieht es kaum besser aus. »Vor wenigen Tagen verkündeten die zuständigen Stellen der Stadt, die gesamten noch vorhandenen Trinkwasservorräte könnten in sechzig Tagen aufgebraucht sein.«
Vernachlässigte Infrastruktur
Ganz so dramatisch will ein Mitarbeiter des städtischen Wasserversorgers die Lage nicht sehen. Wirklich knapp werde das kostbare Nass nur auf der europäischen Seite des Bosporus; im asiatischen Teil der Stadt gebe es genug Wasser. Und dieses könnte, wenn auch mangels entsprechender Infrastruktur nur in beschränkter Menge, auf die andere Seite gepumpt werden. Einschränkungen oder stundenweise Unterbrechungen seien aber möglich.
Die Stadt, die früher für ihr ausgeklügeltes System der Wasserversorgung berühmt war, hat dennoch ein ernstes Problem. Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu macht den Klimawandel für den Wassermangel verantwortlich, und tatsächlich spielen natürliche Einflüsse, wie aktuell Rekordtemperaturen und eine ungewöhnlich langanhaltende Dürre, eine Rolle. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn die wichtigsten Faktoren sind ohne Zweifel das kaum gebremste Wachstum der Stadt und die teils gigantomanischen Bauvorhaben, die entweder schon durchgeführt wurden oder für die Zukunft geplant sind.
Verschlechterung der Wasserqualität
Schon in der Vergangenheit ist die Wasserinfrastruktur dem Wachstum Istanbuls hinterhergehinkt, Bauprojekte wie der riesige neue Flughafen im Nordwesten der Stadt nahe der Schwarzmeerküste oder Präsident Recep Tayyip Erdoğans Lieblingsprojekt, der künstliche Istanbul-Kanal, mit dem der Schiffsverkehr durch den Bosporus entlastet werden soll, werden den Wasservorräten den Rest geben.
Schon heute muss Wasser aus dem rund zweihundert Kilometer weit entfernten Melen-Fluss nach Istanbul gepumpt werden, aber die massive Wasserentnahme setzt dem Fluss zu und wird eine Verschlechterung der Wasserqualität bewirken. Und sollte die Metropole mit ihren heute rund sechzehn Millionen Einwohnern noch weiterwachsen, sieht der Mitarbeiter des Wasserversorgers schwarz, wie er gegenüber der taz sagte: »Das kann die Wasserinfrastruktur nicht mehr leisten. Wenn die Stadt weiterwächst, kollabiert sie.«