Erweiterte Suche

Iranische Atombombe: USA und Israel haben unterschiedliche Toleranzlevel

Ajatollah Khamenei bei Teheraner Ausstellung über die Errungenschaften der iranischen Atomindustrie im Juni
Ajatollah Khamenei bei Teheraner Ausstellung über die Errungenschaften der iranischen Atomindustrie im Juni (© Imago Images / ZUMA Wire)

Ein nuklearer Iran wird seine Waffen als geopolitischen Faktor einsetzen, um die Bedeutung seiner Stellvertreter gegen den jüdischen Staat und Amerika zu erhöhen.

Shimon Sherman

Die Islamische Republik habe in ihrem Streben nach Massenvernichtungswaffen »jede mögliche rote Linie« überschritten, sagte der Präsident des Jerusalem Institute for Strategy and Security (JISS), Efraim Inbar, unlängst. Und das US-Verteidigungsministerium berichtet, Teheran sei »in der Lage, in weniger als zwei Wochen genügend spaltbares Material für eine Atombombe herzustellen«. Doch trotz der heftigen Reaktionen auf den Bericht des Verteidigungsministeriums ist unklar, ob er eine signifikante Veränderung der iranischen Kapazitäten bedeutet.

»Die Iraner sind schon seit Jahren bloß Monate oder Wochen von einem Atomwaffenarsenal entfernt«, meinte etwa der ehemalige amerikanische Spitzendiplomat in Riad und Dozent für Nahost- und Islamstudien am Shalem College in Jerusalem, Robert Silverman: »Der Iran ist bereits seit langer Zeit ein nuklearer Schwellenstaat. Derzeit vermeidet er einige der letzten Schritte, die in den USA und Israel ein Warnsignal auslösen würden«, fügte er hinzu.

Der Iran-Experte bei JISS, Alexander Greenberg, erklärte, die neusten Enthüllungen in dem Bericht seien als »Rhetorik zu verstehen und bedeuten nicht, dass der Iran in zwei Wochen eine Waffe bauen kann. Es gibt immer noch technische Hindernisse, aber die Tatsache, dass er kurz davorsteht, ist seit Langem bekannt.«

Drei wesentliche Komponenten

Für den Iran-Experten am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv, Raz Zimmt, gibt es »drei Komponenten, die ein Land erreichen muss, um eine funktionsfähige Atomwaffe zu besitzen: Einen ausreichenden, auf 90 Prozent angereicherten Uranbestand, einen funktionsfähigen militärischen Atomsprengkopf und Langstreckenraketen, die technisch in der Lage sind, eine solche Waffe zu transportieren.«

Von der Erreichung des ersten Ziels sei der Iran »schon lange bloß Wochen entfernt, aber nach verschiedenen Schätzungen würden sie zwischen sechs Monaten und zwei Jahren brauchen, um die beiden anderen Ziele zu erreichen. Der Bericht des US-Verteidigungsministeriums bestätigte, dass der Iran an der Schwelle zu einem Atomwaffenarsenal steht, aber was fast noch wichtiger ist: er sagte auch, dass das Land sein Waffenprogramm nicht erneuert habe«, fügte Zimmt hinzu.

Efraim Inbar bestätigte diese Einschätzung: Die Welt habe aus dem vom israelischen Geheimdienst Mossad entwendete »iranischen Nukleararchiv erfahren, dass das Land Anstrengungen unternommen hat, eine Atombombe zu entwickeln, aber diese Bemühungen waren weitgehend erfolglos«.

Alexander Greenberg bezeichnete Teherans Langstreckenraketenprogramm als »bei Weitem nicht vollständig. Die Iraner sind noch dabei, Interkontinentalraketen (ICBM) für den Transport von Atomwaffen zu entwickeln. Diese sind entscheidend, um eine glaubwürdige nukleare Bedrohung darzustellen, und derzeit ist das Programm nicht weit genug fortgeschritten.«

Das Haupthindernis für das iranische ICBM-Programm sei die notwendige Erhöhung der Präzision der Raketen von derzeit 87 auf 95 Prozent oder mehr, so Greenberg, der auf ein weiteres Hindernis für die nuklearen Ambitionen der Islamischen Republik hinwies: »Jedes Land, das Atomwaffen besitzt, muss einen Atomtest durchführen. Ohne diesen ist ihr Atomprogramm unvollständig.«

Zimmt stellte diesen Standpunkt jedoch infrage, denn es gebe »bereits das Beispiel einer bestimmten Nation im Nahen Osten, die über nukleare Fähigkeiten verfügt, ohne einen offiziellen Test durchgeführt zu haben«, sagte er und bezog sich damit offensichtlich auf Israel. Greenberg wies dieses Beispiel zurück, indem er auf unbestätigte Berichte über einen israelischen Atomtest im Indischen Ozean im Jahr 1979 verwies.

Künftige rote Linie

»Israel hätte früher, sogar viel früher, auf die iranischen Vorstöße reagieren müssen. Zum aktuellen Zeitpunkt sind alle roten Linien überschritten«, sagte JISS-Präsident Inbar. »Die Strategie der verdeckten Operationen ist gescheitert und muss schnell auf kinetische Aktionen wie Flugzeugangriffe umgestellt werden.«

Laut Iran-Experten Zimmt hingegen mangle es derzeit wahrscheinlich an einer Einigung zwischen Jerusalem und Washington über das, was eine angemessene rote Linie für die Zukunft sein könnte. »Für Israel ist es vernünftig, dass eine 90-prozentige Anreicherung eine rote Linie darstellt, aber es ist unklar, ob Amerika dem zustimmt. Für die USA ist es möglich, nicht das Gefühl zu haben, dass eine rote Linie überschritten wurde, solange die Iraner nicht versuchen, eine Atomwaffe zu entwickeln.«

Dieser Konflikt zwischen den Einschätzungen Israels und den USA wurde deutlich, als General Mark Milley, der bis vor wenigen Tagen Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff war, bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus im vergangenen März erklärte, die USA sind »weiterhin der Politik verpflichtet, dass der Iran keine einsatzfähige Atomwaffe haben wird«. Diese Aussage gab Anlass zur Befürchtung, die USA und Israel hätten sehr unterschiedliche Toleranzlevel für die iranischen Nuklearambitionen.

Allerdings ist unklar, ob Israel technisch in der Lage wäre, einen Schlag auszuführen, der das iranische Massenvernichtungswaffenprogramm ohne Unterstützung der USA eindämmt. »Aufgrund der großen Entfernung und eines sehr fortschrittlichen Verteidigungssystems, zu dem auch sehr tiefe Bunker gehören, gibt es ein großes Problem bei der Betankung«, analysierte Inbar. »Mit genügend Einfallsreichtum gibt es jedoch kein unknackbares Ziel.«

Greenberg sagte, der Fall des Irans wäre »nicht so wie damals, als Israel die syrischen oder irakischen Atomziele ausschaltete. Das ist eine viel fortschrittlichere Operation, und es gibt kaum Hoffnung, das Programm vollständig zu zerstören, man kann nur hoffen, es zu verzögern.«

Ein nuklearer Iran würde den jüdischen Staat nicht nur direkt bedrohen, sondern auch, weil ein nuklearer Schutzschirm die Stellvertreter der Islamischen Republik ermutigen würde. Greenberg sagte dazu, sollte der Iran über Atomwaffen verfügen, bestehe die Bedrohung weniger darin, dass der Oberste Führer Ali Khamenei »den roten Knopf drückt, sondern darin, dass dies die Aggression der Hisbollah freisetzt und Israel den iranischen Nuklearschirm berücksichtigen muss, wenn es eine Reaktion erwägt«. Ein nuklear bewaffneter Iran werde seine Waffen als geopolitischen Faktor einsetzen, »um die Bedeutung seiner Stellvertreter und die von ihnen ausgehende Bedrohung gegen Israel und Amerika zu erhöhen«, sagte er abschließend.

 (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!