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Auch nach dem Hamas-Massaker: Ewiges Muster Judenhass

Der Wiener Stadttempel in der Seitenstettengasse nach dem IS-Terroranschlag im November 2020
Der Wiener Stadttempel in der Seitenstettengasse nach dem IS-Terroranschlag im November 2020 (Imago Images / ZUMA Wire)

Könnte die Tatsache, dass jüdische Einrichtungen geschützt werden müssen, vielleicht daran liegen, dass dort Juden zusammenkommen? 

Ich bin ja schon eine Weile auf diesem Planeten. Seit ich mich erinnern kann, müssen jüdische Institutionen, auch in Österreich, von Polizei und eigenen Sicherheitskräften beschützt werden. Auch meine Kinder, die zum Teil schon über fünfzig Jahre alt sind, kennen bereits seit ihrer Zeit in jüdischen Kindergärten und Schulen, dass Bewaffnete auf sie aufpassen müssen. Selbst ihre Nachfolgegenerationen kennen es nicht anders. 

Müssen auch katholische, evangelische, muslimische oder buddhistische Institutionen bewacht und vor Terrorattacken beschützt werden? Nicht, dass ich wüsste. Warum also sind jüdische Kindergärten, Schulen, Synagogen, Kulturveranstaltungen und Friedhöfe gefährdet? Hat das irgendetwas mit dem sogenannten Nahostkonflikt zu tun?

(Übrigens: Warum nennt man das eigentlich Nahostkonflikt, wenn man von Israel und den Palästinensern spricht? Der Nahe Osten ist um ein Vielfaches größer als das winzige Israel. In dieser Region ermorden unablässig arabische Staaten ihre eigenen Bürger und kämpfen gegen einander. Die Zahl unschuldiger Zivilisten, die dabei alles verlieren, geht in die Millionen. Ich denke da zum Beispiel an den Krieg in Syrien oder den Krieg im Jemen, und es gibt noch viele Beispiele mehr. Hatten wir dagegen schon einmal eine Demonstration am Stephansplatz oder sonst wo in Europa?)

Könnte die Tatsache, dass jüdische Einrichtungen geschützt werden müssen, vielleicht daran liegen, dass dort Juden zusammenkommen? 

Henryk Broder brachte es in der Welt auf den Punkt: »Antisemitismus gehört zum Weltkulturerbe.« Arik Brauer sprach schon lange bevor dieser Gedanke von anderen entdeckt wurde vom »importierten Antisemitismus«, den er für das jüdische Leben in der Gegenwart für wesentlich gefährlicher hielt als den »guten alten« Antisemitismus.

Langanhaltende Muster

Im Jahr 1981 hätte ich eigentlich bei einer Bar-Mitzwa-Feier im Wiener Stadttempel in der Seitenstettengasse sein wollen, war aber verhindert. An diesem Tag griff dort ein palästinensisches Terrorkommando die Besucher der Synagoge an, ermordete zwei fromme Juden und verletzte zwanzig weitere, von denen einige später an den Folgen starben. Warum? Weil dort Juden zusammenkommen.

Warum fanden die aktuellen Anti-Israel-Demonstrationen in Europa schon statt, bevor die israelische Armee überhaupt damit begonnen hatte, auf das Hamas-Massaker vom 7. Oktober zu reagieren? Was haben die Teilnehmer dieser Veranstaltungen gefeiert? Wogegen haben sie protestiert? Dass die Hamas noch nicht genug Juden abgeschlachtet hat? Dass die Juden und die Weltöffentlichkeit von dem brutalen Massaker womöglich entsetzt sein könnten? 

Es gibt Muster, die sich über lange Zeiträume hinweg immer wieder wiederholen. Judenhass. Einfach so. Judenhass. 

Ein weiteres Muster ist, dass Nicht-Angriffspakte nicht halten. Ich denke jetzt gar nicht an den berühmtesten aller Nicht-Angriffspakte zwischen Hitler und Stalin. Ich denke an den Pakt zwischen dem offiziellen Österreich und der Abu-Nidal-Organisation nach dem Terrorangriff auf den Stadttempel in Wien 1981. Zwar gab es nach dem Anschlag Verurteilungen, aber die Terroristen kamen nach einiger Zeit wieder frei. Der Kopf der Terrorbande wurde mit Aufenthaltsverbot belegt, konnte aber als Staatenloser nicht ausgewiesen werden. Auch einer der Attentäter auf den Wiener Flughafen 1985 wurde vorzeitig aus der Haft entlassen. 

Mehr als das! Man hatte doch allen Ernstes mit der Terrorgruppe des Anschlags von 1981 vereinbart, sie in Ruhe in Wien herumspazieren zu lassen, wären sie denn so nett, künftig nichts anzustellen. Erst in den 1990er Jahren ist das aufgeflogen.

Tödlicher Gedankenfehler

Und? Hat es gewirkt? Ist danach nie wieder ein Terrorangriff in Wien passiert? Die meisten anderen Nicht-Angriffspakte, die es im Lauf der Geschichte gab, haben ebenfalls nicht gehalten. 

Sie meinen, das ist ja Vergangenheit und Nicht-Angriffspakte sind sowieso nicht mehr üblich? Weit gefehlt. 

Sogar Israel, das sich der Gefahrenlage sehr viel bewusster ist, fiel auf diesen Irrglauben herein und unterschätzte die Terroristen, mit – oder neben – denen es täglich seit Jahrzehnten leben muss. Auch Yahya Sinwar, der als Chef der Hamas in Gaza und als Mastermind des Hamas-Massakers vom 7. Oktober gilt, wurde unterschätzt. Er wurde zwar mehrfach zu lebenslanger Haft verurteilt und saß lange in einem israelischen Gefängnis, kam aber im Jahr 2011 frei, und zwar im Austausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit, wie auch über tausend weitere palästinensische Gefangene. 

Es ist ein ehernes Gesetz, mit Terroristen nicht zu verhandeln, aber es geschieht in dem verzweifelten Bemühen, das Leben Unschuldiger zu retten, trotzdem immer wieder. Der tödliche Gedankenfehler der zivilisierten, demokratischen, westlichen Welt ist aber leider: Mörder verstehen die Sprache von Nicht-Mördern nicht. 

Dies ist ein Auszug aus unserem Newsletter vom 8. November. Wenn Sie den nächsten Newsletter erhalten möchten, melden Sie sich an!

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