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»Mudschaheddin, die ihr Volk verteidigen«: Erdoğan unterstützt Hamas wie eh und je

Antisemitische Demonstration von Erdoğan-Anhängern in Istanbul
Antisemitische Demonstration von Erdoğan-Anhängern in Istanbul (Imago Images / ABACAPRESS)

Auch wenn kolportiert wird, die Türkei habe den Leiter des politischen Büros der Hamas vor Wochen aufgefordert, das Land zu verlassen, hat die türkische Politik nicht mit der Hamas gebrochen – wie nicht zuletzt die jüngsten Aussagen von Präsident Erdoğan zeigen.

Die amerikanische Website Al-Monitor zitierte türkische Quellen mit der Aussage, die Türkei habe Ismail Haniyeh aufgefordert, Istanbul zu verlassen, nachdem in Videoclips zu sehen war, wie der Leiter des Politbüros der Hamas den von seiner Bewegung am 7. Oktober auf Israel verübten Terrorangriff feierte. Haniyeh und einige Hamas-Führer leben seit Jahren in Katar und der Türkei. Die Quellen fügten hinzu: »Die Türkei hat Haniyeh und sein Gefolge aufgefordert, auszureisen, weil sie nicht den Eindruck erwecken will, die Hamas zu schützen, nachdem die Gruppe israelische Zivilisten getötet hat.«

Doch nur Stunden nach der Veröffentlichung des Al-Monitor-Berichts postete das der türkischen Präsidentschaftskanzlei angegliederte Anti-Desinformationszentrum einen Tweet auf der Plattform X, in dem es hieß: »Die Behauptungen, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hochrangige Hamas-Funktionäre angewiesen hat, die Türkei sofort zu verlassen, entbehren jeder Grundlage.«

Seit dem Frühjahr 2022 hat die Annäherung zwischen der Türkei und Israel, welche von beiden Ländern als »Wendepunkt« in ihren Beziehungen bezeichnet wurde, bei der Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert und deren Mitglieder regelmäßig in die Türkei reisen, Besorgnis ausgelöst. Darüber hinaus hat sich der gesellschaftliche Diskurs in der Türkei während des aktuellen Kriegs im Vergleich zu den Jahren 2018, 2014 und 2012 verändert, wo die türkische Sympathie noch ausschließlich auf der Seite der Hamas lag. 

Alles bloß hohle Phrasen

Der türkische Politologe und Mitglied von Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), Yusuf Katiboglu, ist der Meinung, der aktuelle Diskurs sei »ausgewogen«. Die Türkei sei neutral und berücksichtige die sogenannten regionalen Gleichgewichte, wie die Äußerungen türkischer Beamter zeigten, die darauf hinwiesen, dass Ankara eine Vermittlerrolle spielen will: »Die Türkei versucht, den Krieg auszulöschen, denn seine Entzündung wird sich in der gesamten Region ausbreiten und zu einem Vorwand für die Intervention ausländischer Kräfte werden«, erklärte Katiboglu mit blumigen Worten.

Vor einigen Tagen erklärte Präsident Erdoğan, sein Land sei bereit, in der aktuellen Krise zu vermitteln. Die in London erscheinende Zeitung Al-Arab zitierte Beobachter mit den Worten, Erdoğan betrachte die Krisen in der Region in jüngster Zeit aus einer pragmatischen Perspektive: Er nehme eine versöhnliche Haltung gegenüber jenen Parteien ein, mit denen er in der Vergangenheit in verbale Auseinandersetzungen verwickelt war, wenn die wirtschaftlichen Umstände dies erforderten.

Diese Beobachter fuhren fort, Erdoğan habe »die Idee akzeptiert, dass der Gaza-Krieg einen kurzfristigen politischen Gewinn für den Iran und einen Verlust für die Türkei in der Region darstellt«. Das sei aber »ein ›wünschenswerter‹ Verlust«, weil die Kosten einer weiteren Solidarität mit der Hamas und der daraus resultierenden Verärgerung Israels hoch wären und sich negativ auf die »wachsenden gemeinsamen Interesse zwischen Israel und der Türkei, insbesondere in Bezug auf das Gas im Mittelmeer« auswirken würden.

Die Website Emirate Al-Mashhad argumentierte, die Abkühlung der Beziehungen zwischen Ankara und der Hamas sei nicht unumkehrbar. Es ist unwahrscheinlich, dass Ankara seine Beziehungen zur palästinensischen Terrororganisation in dem Maße zurücknimmt, wie es die westlichen Partner wünschen. Zugleich versuche Ankara, die Kommunikationskanäle offen zu halten, um eine Vermittlerrolle zu spielen, die seinen Einfluss in der Region unterstreicht.

Wie sehr alle Kommentatoren wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatten, bewies der Ideologe Erdoğan, als er alle taktischen Überlegungen fahren ließ und die Hamas am Mittwoch in höchsten Tönen lobte. In einer Rede vor dem Parlament in Ankara behauptete Erdoğan, der palästinensische Ableger der ihm nahestehenden Muslimbruderschaft sei eine Gruppe von Mudschaheddin, die «ihr Land und ihr Volk verteidigen«.

»Die Verursacher des Massakers und der Zerstörung im Gazastreifen sind diejenigen, die Israel uneingeschränkt unterstützen«, sagte der türkische Präsident und fügte hinzu: »Israels Angriffe auf den Gazastreifen sind sowohl für Israel selbst als auch für diejenigen, die es unterstützen, Mord und Geisteskrankheit. Westliche Tränen, die für Israel vergossen werden, sind ein Ausdruck von Betrug.«

Annäherung auf Eis gelegt

In einer Reaktion erklärte das israelische Außenministerium am Mittwochabend, Ankaras »aufrührerische Worte werden nichts an den Schrecken ändern, die die ganze Welt gesehen hat«. Der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Lior Haiat, ließ die Welt wissen, der jüdische Staat weise »die kaltblütigen Worte des türkischen Präsidenten über die Terrororganisation Hamas von ganzem Herzen zurück«. 

»Die Hamas ist eine verabscheuungswürdige Terrororganisation, schlimmer als der Islamische Staat, die brutal und absichtlich Babys, Kinder, Frauen und ältere Menschen ermordet, Zivilisten als Geiseln nimmt und ihre eigenen Leute als menschliche Schutzschilde benutzt«, schrieb Haiat in einer auf X (früher Twitter) veröffentlichten Erklärung. »Auch der Versuch des türkischen Präsidenten, die Terrororganisation zu verteidigen, werden nichts an den Schrecken ändern, die die ganze Welt gesehen hat, und an der eindeutigen Tatsache: Hamas = IS«, schloss der Ministeriumssprecher.

Am 20. September hatte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bei einem Treffen am Rande der jährlichen Generaldebatte der UN-Generalversammlung in New York noch zu Erdoğan gesagt, die Beziehungen der beiden Länder verbesserten sich, und die beiden Politiker hatten vereinbart, die bilateralen Beziehungen weiter auszubauen.

Vor Erdoğans warmen Worten an die Hamas war erwartet worden, dass Netanjahu noch vor dem kommenden Dezember die Türkei besuchen könnte, womit er der erste israelische Premierminister seit 2008 gewesen wäre, der eine solche Reise unternimmt. Erdoğan plante im Gegenzug einen Besuch im jüdischen Staat, wie sein Büro Ende letzten Monats bekannt gab.

Am Mittwoch erklärte Erdoğan jedoch vor den Abgeordneten, er habe seine geplante Reise nach Jerusalem abgesagt, da sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht verbessern würden. »Wir hatten ein Projekt, nach Israel zu reisen, aber es wurde gestrichen; wir werden nicht reisen«, erklärte der türkische Präsident.

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