Hartmut Metzger, der Chefredakteur der rheinland-pfälzischen Postille Evangelischer Kirchenbote, scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, möglichst oft Artikel zu publizieren, die, was die Dämonisierung Israels und der Juden angeht, weit über das in Deutschland übliche Maß hinausgehen und ihresgleichen nur in Medien der extremen Rechten oder der stalinistischen Linken finden.
Erst letztes Jahr hatte Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, einen Kommentar Metzgers im Evangelischen Kirchenboten als Beispiel für Antisemitismus in der Evangelischen Kirche angeführt. In seinem Leitartikel hatte Metzger einen – offenbar selbst ausgedachten – „bitterbösen Witz“ (so Metzger) zum Besten gegeben, der sich darum dreht, dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Beisein von Trump und Putin ankündigt: „Wir bringen 10.000 Palästinenser um“ und Putin davon nicht überrascht ist. Klein sprach im Hinblick auf diese antisemitische Grenzüberschreitung von einem „völligen Versagen kirchlicher Kontrollmechanismen“. Auch die Jüdische Allgemeine berichtete über Metzgers „wutschnaubenden Leitartikel“.
Verharmlosung palästinensischen Terrors
In der aktuellen Ausgabe des Kirchenboten veröffentlicht Metzger einen Aufsatz des umstrittenen Theologen Ulrich Duchrow, in dem dieser die Ermordung jüdischer Zivilisten in Israel relativiert, verniedlicht und pseudojuristisch rechtfertigt:
„In der Tat haben sich über die Jahrzehnte Palästinenser gegen die völkerrechtswidrige Besatzung auch mit Gegengewalt gewehrt. Aber dabei handelt es sich heute meist um verzweifelte Steinwürfe von Jugendlichen, Messerstiche und einige Raketen gegen israelische Unterdrückung und Provokationen, vergleichbar mit Davids Steinschleuder gegen den Goliath der hochgerüsteten israelischen Armee. Es besteht eine extreme Machtasymmetrie zwischen dem Staat Israel und dem palästinensischen Volk. Und es bleibt festzuhalten, dass Völker, denen das Selbstbestimmungsrecht mit Gewalt genommen wird, ein völkerrechtlich garantiertes Recht zum Widerstand haben. Faktisch setzt die große Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung dabei inzwischen auf gewaltfreien Widerstand. Anders der Staat Israel seit seiner Gründung.“
Man muss einen Augenblick innehalten, um Duchrows krude Gedanken nachzuvollziehen. Diejenigen, die Bomben in einer Diskothek zünden, eine von Familien mit vielen Kindern besuchte Pizzeria in die Luft sprengen, eine Familie im Schlaf massakrieren, mit einem Scharfschützengewehr ein im Kinderwagen liegendes zehn Monate altes Baby töten und diesen Monat die 17-jährige Rina Shenrav mit einer Bombe ermordet haben, die sind dann – was noch mal? Kaltblütige, sadistische Mörder? Nein, sie seien die wahren Opfer, sagt Duchrow, die man nicht „zu Tätern“ machen dürfe! Denn solche Morde sind für Duchrow bloß Gegengewalt:
Das Abschlachten von Juden mithilfe langer Messer macht Duchrow zu „Messerstichen“. Von da ist es gedanklich nicht weit zu „Nadelstichen“ oder bloßen Pieksen. Über 15.000 auf israelische Zivilisten geschossene Raketen (eintausend allein im letzten Jahr) sind für ihn bloß „einige Raketen“, und eigentlich ist die Ermordung von Juden mit „Davids Steinschleuder“ vergleichbar, also mit etwas, das Sympathie verdient: „Völker, denen das Selbstbestimmungsrecht mit Gewalt genommen wird“, hätten „ein völkerrechtlich garantiertes Recht zum Widerstand“, fantasiert Duchrow. Die Mörder hätten demnach ein verbrieftes Recht, wenn nicht vielleicht sogar einen moralischen Auftrag.
Duchrow wird den Juden den Holocaust niemals verzeihen
Der Staat Israel hingegen hat in Duchrows kruder Weltsicht seit 1948
„alles versucht, so viele Palästinenser wie möglich loszuwerden – durch Schikanen, Töten, Gefängnis ohne Gerichtsverfahren sowie Kollektivstrafen wie Häuserzerstörungen. Neo-Zionisten sehen in den Palästinensern sogar das biblische Volk der Amalekiter, das vernichtet werden muss. So wird alles getan, um Palästinenser zu dezimieren.“
Wie es kommt, dass sich die Zahl der arabischen Palästinenser in den letzten Jahrzehnten vervielfacht hat und ihre Lebenserwartung immer nur gestiegen ist, erklärt Duchrow nicht. Unterdessen zögen die Juden listig Vorteile aus der Shoah: „Wegen der Opferrolle im Holocaust“ blieben die Israelis „ewig unschuldig“ und könnten somit ungestraft all die Verbrechen begehen, die Duchrow ihnen andichtet, behauptet er.
Als Hetzer bekannt
Mit der Veröffentlichung dieser antisemitischen Hetzschrift – die Duchrow auch vor der Gemeinde der Evangelisch-Reformierten Kirche Bremen-Blumenthal und dem Protestantischen Club der Evangelischen Akademikerschaft in Neustadt vorgetragen hat – provoziert Metzger die Führung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die EKD ist überhaupt nicht als israelfreundlich bekannt, aber Duchrow steht selbst für sie jenseits einer roten Linie – das will etwas heißen.
Auf dem Evangelischen Kirchentag im Juni 2019 war ihm gewissermaßen Redeverbot erteilt worden. Eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung – der Stiftung der Partei Die Linke – geplante Veranstaltung mit dem Titel „Imperien des Mammons oder Wege der Gerechtigkeit?“, auf der Duchrow und einer seiner Brüder im Geiste sprechen sollten, wurde abgesagt. Nachdem der Blog Die Ruhrbarone über die beiden Referenten berichtet hatte, zog die Leitung des Kirchentages – die von Duchrows geplantem Auftritt nach eigener Darstellung zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst hatte – die Notbremse: Nur etwa 24 Stunden bevor die Veranstaltung beginnen sollte, stellte sie die Rosa-Luxemburg-Stiftung vor die Wahl: „Wir haben hier eine klare Haltung als Kirchentag und haben die Rosa-Luxemburg-Stiftung aufgefordert, die Referenten auszuladen oder die Veranstaltung abzusagen“, sagte die Generalsekretärin des Kirchentags, Julia Helmke.
Duchrow ist in der EKD spätestens seit 2016 als Hetzer bekannt. Damals erschien in der Evangelischen Verlagsanstalt ein Sammelband mit dem Titel „Armut und Ausgrenzung überwinden“. Zu den Autoren gehörten u.a. der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, die Hamburger Ex-Bischöfin Margot Käßmann – und Ulrich Duchrow. Er steuerte einen Text bei mit dem Titel: „Unterdrückung über Ausbeutung hinaus. Das Beispiel Israel/Palästina in theologischer Perspektive“.
Die EKD distanzierte sich bald nach Erscheinen des Buches ausdrücklich davon, was ein sehr ungewöhnlicher Vorgang ist.
In seinem Text bezeichnet Duchrow den Staat Israel als „die Speerspitze der gegenwärtigen Phase des globalen imperialistischen kapitalistischen Systems“ und benutzt Bilder des klassischen Antisemitismus: Juden als Kriegs- und Krisenprofiteure, Unterdrücker und Ausbeuter:
„Die Wirtschaft Israels braucht keinen Frieden. Das Land kann mehr Gewinne machen, wenn es Güter und Dienstleistungen verkauft, die Menschen unterdrücken und überwachen. … Innerhalb dieser Logik braucht [Israel] die Palästinenserinnen und Palästinenser nicht. Im Gegenteil. Sie sind überflüssig. Sie müssen nur eingemauert und fortgeekelt oder vertrieben werden, während die Kolonisierung ihres Landes fortschreitet. Das Land einzuzäunen und zu stehlen, wenn möglich es gänzlich ethnisch zu säubern, um das Land ohne Menschen zu haben, ist die rationalste Strategie eines zionistischen Israel, das die Palästinenser in einem Dauerkrieg bekämpft … Seit der Nakba will man die Menschen einfach loswerden, das Land von ihnen ‚reinigen‘, sie tyrannisieren und schikanieren, damit sie von sich aus das Land verlassen.“ (Hervorhebungen die des Verfassers)
„Von dem Text von Herrn Duchrow distanziert sich die EKD inhaltlich ausdrücklich“, teilte die EKD mit. Für den Rat der EKD sei „Antisemitismus Gotteslästerung“.
Geschichtsklitterung
Die Vertreibung von ca. 850.000 Juden aus arabischen Ländern leugnet Duchrow rundheraus, sie habe nicht stattgefunden; mit der Ausnahme Ägyptens hätten die Juden die arabischen Länder allesamt freiwillig verlassen, behauptet Duchrow in einem Vortrag:
„Es wird nun manchmal behauptet, die Misrachi-Juden [Juden aus der arabischen Welt; S.F.] seien ebenfalls aus den arabischen Ländern vertrieben worden. Die Realität sah anders aus, wie man in einem Offenen Brief israelischer WissenschaftlerInnen an die Heinrich Böll-Stiftung, die diese Falschmeldung verbreitet hatte, nachlesen kann.“
Dieser „Offene Brief“ ist von gänzlich unbekannten, unbedeutenden Leuten unterschrieben, die angeben „Musiker“, „Student“, „Künstlerin“ oder „Filmregisseur“ zu sein. Als Fundort der Quelle führt Duchrow einen Blog mit dem Titel „Schmok. Schnöseliger, gesinnungsloser, rabulistischer Schreiberling“ an. (Fußnote 9 in diesem Dokument).
Duchrow leugnet eine historische Tatsache – die massenhafte und systematische Vertreibung von Juden aus der arabischen Welt –, und der einzige Beleg für seine Behauptung ist, dass er das auf einem obskuren Blog im Internet gelesen hat. Das sagt alles über seine Seriosität und viel über seine Motivation: Juden dürfen für Duchrow keine Opfer sein oder höchstens Opfer ihrer eigenen bösen Taten („Gerechtigkeit [ist] die Vorbedingung für langfristige Sicherheit der Israelis“, schreibt Duchrow an einer Stelle). Kann er nicht bestreiten, dass Juden Opfer sind – wie im Fall des Holocaust –, dann fügt er die Behauptung hinzu, dass sie das ja auch weidlich auskosteten und zu ihrem Vorteil nutzten.
Sympathien für die Hamas
Duchrow radikalisierte sich in den letzten Jahren offenbar weiter und bekennt mittlerweile offen seine Sympathien für die Hamas. 2018 veröffentlichte er ein Buch, das der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit als „zutiefst israelfeindliches Machwerk“ bezeichnete.
Duchrows Verleger Wilhelm Hopf – der das Buch erst nach Erscheinen gelesen hatte – war von dem Inhalt so schockiert, dass er die Auslieferung stoppte. Das muss man erläutern: Der Verlag hat nicht einfach nur aufgehört, das Buch zu drucken und die bereits gedruckten Exemplare in modernen Antiquariaten verramscht, wie es Verlage mit Büchern tun, die nicht mehr gut laufen. Nein, er hat umgehend aufgehört, die bereits gedruckten Bücher auf irgendeine Weise zu verkaufen (darum können wir hier nur das zitieren, was öffentlich darüber bekannt ist), so sehr missfiel es dem Verleger, mit dem „Machwerk“ in Verbindung gebracht zu werden. Was man sofort versteht, wenn man nur liest, was der Deutschlandfunk darüber berichtete:
„Verleger Wilhelm Hopf stört sich vor allem an Passagen aus dem Buch, in dem der BDS-Boykott Israels unterstützt wird und die Hamas als eine ‚seriöse politische Kraft mit großer sozialer Tiefe’ bezeichnet wird.“
„Jüdische Herrschaftsgruppe“
In seinem Aufsatz „Unterdrückung über Ausbeutung hinaus“ beschreibt Duchrow den Staat Israel als viel schlimmer als das Südafrika während der Apartheid:
„Südafrika war ausbeuterisch und unterdrückerisch. Das reicht nicht für die Beschreibung Israels. Dessen Intention ist es, die Menschen minderen Rechts komplett loszuwerden und die Übrigbleibenden zu ghettoisieren wie in Gaza.“
Duchrow verbreitet zudem die klassische antisemitische Verleumdung, wonach Juden aus der Thora die Rechtfertigung für angeblich von ihnen verübte Verbrechen zögen. Auf fast einer ganzen Buchseite zitiert er aus dem 5. Buch Mose Gottes Weisung an die Israeliten, wie sie mit den Götzendienern im Land Kanaan umzugehen hätten. Duchrow folgert:
„Dieser Text und seine Parallelen scheinen tatsächlich die ethnischen Säuberungen des heutigen Staates Israel seit der Nakba zu rechtfertigen. Wie soll man also denen antworten, die diese Art Texte als Rechtfertigung benutzen für Landraub, Schikanieren oder Töten von Menschen, also für die Methoden, mit denen der Staat Israel so viel palästinensisches Land wie möglich in seinen Besitz zu bringen versucht?“
Duchrow denkt sich das aus oder besser gesagt, er bildet es sich ein: Weil er den Juden alles Böse zutraut, glaubt er, sie leibhaftig vor Augen zu sehen, wie sie rauben und morden und ständig beteuern, dass sie das dürften, weil es ja so in der Thora stehe.
Das Argument, ihre Religion gebe den Juden einen Freibrief zu Verbrechen, geht zurück auf den antisemitischen Theologen August Rohling (1839-1931), der den von den Nationalsozialisten häufig gebrauchten Schmähbegriff „Talmudjude“ geprägt hat. In seinem Buch „Der Talmudjude“ schrieb Rohling, dass „der Jude von Religions wegen befugt ist, alle Nichtjuden auf jede Weise auszubeuten, sie physisch und moralisch zu vernichten“. Duchrow ist noch radikaler als Rohling: Zionisten glaubten bloß, dass die Bibel ihnen das Recht gäbe, Verbrechen zu verüben, das sei aber gar nicht wahr, sie würden die Heilige Schrift auch noch auf böswillige Art verdrehen:
„Eine Regierung heute, die ihren Landraub, die Unterdrückung und Ermordung von Palästinenserinnen mit Gottes Landverheißung rechtfertigt, stellt die biblischen Erzählungen und Rechtsformen auf den Kopf. … Somit liegt offen zutage, dass das zionistische Israel das genaue Gegenteil von dem tut, was die Propheten und die Tora fordern: Gerechtigkeit“
Duchrow begnügt sich nicht damit, den Juden den Bruch irdischer Gesetze vorzuwerfen: Auf der Grundlage seiner Bibelauslegung glaubt er mit Sicherheit sagen zu können, dass Israel „den Bund [mit Gott; S.F.] gebrochen“ habe und „dafür zur Rechenschaft gezogen“ werden müsse. Wenn Gott es nicht tut, müssen es die Menschen tun.
Duchrow will den „zionistischen Narrativ“ zerstören. Das beste Mittel dazu sei die BDS-Kampagne: „Boykott ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein erzieherisches [sic!] Mittel.“ Das „symbolische Kapital“, „zur jüdischen Herrschaftsgruppe [sic!] zu gehören“, müsse geschmälert werden.
„Druck der Lobby“ in „Tel Aviv“
Dass sein ehemaliger Verleger das Grausen bekommen hat, als er Duchrows Pamphlet las und es darum nicht verkaufen will, hält Duchrow für das Ergebnis der jüdischen Weltverschwörung: Der LIT Verlag in Münster erhalte seine Anweisungen aus „Tel Aviv“. In einem Brief an seine Unterstützer schreibt Duchrow, gegen ihn werde eine „Kampagne“ geführt, und zwar
„von Personen und Organisationen, die Kritik an der Völkerrecht und Menschenrechte verletzenden Politik des Staates Israel als Antisemitismus diffamieren, obwohl unser Buch zwei Beiträge von jüdischen Autoren aus den USA und einen Beitrag eines israelischen Ökonomen enthält.“
Wir erfahren: Einige von Duchrows besten Freunden sind Juden. Die „Kampagne“ werde von Tel Aviv aus gesteuert, sie stehe
„im Zusammenhang mit verdeckten und offenen Methoden, die die Regierung Netanjahu einsetzt, um Menschen besonders in Deutschland und den USA so zu beeinflussen, dass sie die Realität in Palästina/Israel nicht wahrnehmen und deshalb ihre eigenen Regierungen nicht herausfordern, ihre Unterstützung Israels an Bedingungen des Rechts zu knüpfen. Denn ohne die bedingungslose Unterstützung dieser Länder wäre die Regierung in Tel Aviv [sic!] nicht in der Lage, die illegale Besatzung und den Landraub fortzusetzen.“
Dies ist das, was man den Ilhan-Omar-Topos nennen kann: „Israel hypnotisiert die Welt…“ Dass der LIT Verlag sich entschlossen haben könnte, die Auslieferung des Machwerks zu stoppen, weil Duchrow darin die Hamas als „seriöse politische Kraft mit großer sozialer Tiefe“ bezeichnet, kann sich Duchrow nicht vorstellen. Er tippt eher darauf, dass der Verlag „dem Druck der Lobby“ nachgegeben habe.
Wie sein Hass und sein Glaube an die jüdische Verschwörung Duchrow auf dieselbe Wellenlänge bringt wie Hartmut Metzger, den Chefredakteur des Evangelischen Kirchenboten, und was die EKD zu alldem zu sagen hat, darüber wird Mena Watch im September berichten.