Von Stefan Frank
Als der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, im Oktober zusammen mit Kardinal Marx den Tempelberg besuchte und die beiden ihr Kreuz abnahmen bzw. verhüllten, provozierte das heftige Kritik von Christen, auch innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Doch der eigentliche Skandal droht dabei aus dem Blick zu geraten.
Dieser besteht zum einen darin, dass es auf dem Tempelberg keine Religionsfreiheit gibt, zum anderen in mehreren Äußerungen, die Bedford-Strohm als Rechtfertigung vorbrachte, und die so klingen, als wären die Juden oder Israel daran schuld, dass der Bischof in eine unangenehme Lage kam, in der er, wie er sagte, „nur zwei schlechte Optionen“ gehabt habe.
Doch reden wir erst einmal von dem auf dem Tempelberg herrschenden Regime: Unter der jordanischen Waqf, der muslimischen Behörde, die dort das Sagen hat, ist der Tempelberg ein Ort der Angst; das Handeln des Landesbischofs ist dafür ein schlagender Beweis. Denn er hat aus Angst gehandelt, aus Furcht, das Tragen des Kreuzes könne einen Konflikt heraufbeschwören, der womöglich sogar in Gewalt mündet. Der Landesbischof ist sicherlich kein besonders ängstlicher Mensch, und er hat auch keine Wahnvorstellungen. Völlig richtig realisierte er, als er auf dem Tempelberg stand, dass dies ein gefährlicher Ort ist, wo selbst die harmlosesten Handlungen zu Gewalt führen können. Juden, die dort von Frauen, die dafür bezahlt werden, beschimpft oder aus der Al-Aksa-Moschee heraus mit Steinen beworfen werden, wissen das.
Es herrschen Diskriminierung und eine Art Apartheid. Zehn der elf der Tore zum Tempelberg sind den Muslimen vorbehalten; Nichtmuslime dürfen den Tempelberg nur zu wenigen Stunden des Tages – an manchen Tagen auch gar nicht – durch ein einziges Tor betreten. Am Eingang müssen sie Kontrollen wie am Flughafen über sich ergehen lassen. Bibeln und jüdische religiöse Gegenstände müssen unten abgegeben werden, und auf dem Tempelberg selbst gibt es Wächter, die darauf achten, dass kein Jude die Lippen zum Gebet bewegt. Man kann beinahe von saudischen Verhältnissen sprechen.
Nichtmuslime können nur dann auf den Tempelberg, wenn sich gerade keine Muslime zum Gebet dort aufhalten. Den Tempelberg erleben sie folglich als gespenstischen, fast menschenleeren Ort. Sie sind als Nichtmuslime erkennbar und allzeit unter den Blicken der Wächter und bezahlten Krawallmacher. Kürzlich wurde gar ein Reiseleiter mit einer gelben Karte verwarnt, weil einer der muslimischen Wächter gehört hatte, dass er das Wort „Tempel“ benutzt hatte. Ihm wurde eingeschärft, dies nie wieder zu tun.
Dass es auf dem Tempelberg keine Religionsfreiheit gibt, nicht für Christen und schon gar nicht für Juden – was so ist, als würde man Muslimen verbieten, nach Mekka zu pilgern –, ist der eine Skandal, um den man wissen muss, wenn man verstehen will, wie Bedford-Strohm überhaupt auf die Idee kam, sein Kreuz zu verhüllen. Nun hätte man erwarten können, dass der Bischof, als er von Mitgliedern seiner Kirche kritisiert wurde, diese Lage erklärt und Religionsfreiheit einfordert – oder zumindest in höchst diplomatischen Worten der Hoffnung Ausdruck verleiht, dass es diese eines Tages geben werde. Das tat er nicht. Stattdessen machte er, und das ist der zweite Skandal, Juden und Israel für sein eigenes Handeln verantwortlich: nicht einmal, nicht zweimal, sondern dreimal.
Die erste Behauptung war: Er sei „den Bitten der muslimischen und jüdischen Zuständigen für die heiligen Stätten der jeweiligen Religionen gefolgt.“ Dies dementierte der israelische Militärsprecher Arye Sharuz Shalicar. Daraufhin änderte Bedford-Strohm seine Darstellung: Er habe „situativ der Bitte eines gut meinenden Menschen entsprochen, der uns geführt hat“. Kurz zuvor sei die Stimmung „zusätzlich aufgeheizt“ worden, „als eine Gruppe offensichtlich jüdischer Siedler“ versucht habe, „auf den Tempelberg zu gelangen“.
Zunächst einmal ist hier zu fragen, wie man „Siedler“ eigentlich erkennt: Tragen sie bestimmte Trikots oder Mützen? Nein. War der gut meinende Mensch vielleicht einer von denen, für die alle israelischen Juden „Siedler“ sind? Wir werden es nicht herausfinden, da das Büro des Landesbischofs sich dazu nicht äußern will. Es spielt auch keine Rolle, ob es Siedler, Chorknaben oder Latein-Lehrer waren – jeder Mensch sollte den Tempelberg besuchen dürfen. Dieses Gebot der Religionsfreiheit hat der Landesbischof nicht nur nicht unterstützt, er scheint es sogar abzulehnen: Wenn er davon spricht, dass „jüdische Siedler“ „versucht“ hätten, auf den Tempelberg „zu gelangen“, dann klingt das so, als hätte jemand versucht, sich irgendwo unrechtmässig Zugang zu verschaffen; von einem versuchten Einbruch ist dann im Polizeibericht die Rede. Und wenn er sagt, schon der bloße Besuch von Juden auf dem Tempelberg würde die Stimmung „aufheizen“, dann weist er ihnen die Rolle von Störenfrieden zu (während er diejenigen, die mit ihren Hasspredigten und Aufrufen zur Gewalt im Namen von Al-Aksa den Frieden wirklich stören, einen Persilschein gibt).
Es ist schwer, in Worte zu fassen, wie skandalös die Äußerung Bedford-Strohms ist. Nicht nur, dass er gläubige Juden verbal in die Nähe von Einbrechern rückt; er bezieht jemanden in seinen Konflikt mit ein, der damit gar nichts zu tun hat. Halten wir uns vor Augen: Bedford-Strohm war bei Muslimen zu Besuch, und er hat sich dort so benommen, wie er meinte, dass es sich geziemt. Ob er recht damit tat, mögen die Mitglieder seiner Kirche entscheiden. Aber dass er dann, als er merkte, dass sein Verhalten bei vielen Christen gar nicht gut ankommt – von einem „verheerenden Signal für die Christen im Orient“ sprach etwa der Inspektor des Landeskirchlichen Gemeinschaftsverbandes, Pfarrer Konrad Flämig –, dass er dann „jüdische Siedler“ (mit-) verantwortlich für sein Handeln und dessen Folgen macht, das ist eine sehr, sehr schlechte moralische Entscheidung.
Und das war leider nicht das letzte Wort des Landesbischofs in dieser Sache. Noch ein drittes Mal zeigte er mit dem Finger auf die Juden: „Ich bin tieftraurig über das Aggressionspotenzial, das gegenüber dem Tragen von religiösen Symbolen an diesen Orten in Israel herrscht.“ Das lässt sich nicht mehr als Gedankenlosigkeit entschuldigen. Die Äußerung ist beleidigend und zeugt davon, dass Bedford-Strohm keine Ahnung vom Zusammenleben der Religionen in Israel hat. Jedes Jahr kommen Hunderttausende Christen nach Israel und erleben dort eine einzigartig herzliche Gastfreundschaft – vonseiten der Juden, Muslime, Christen, Drusen oder Bahai gleichermaßen. Es ist Israel zu verdanken, dass Christen seit 1967 überhaupt wieder viele wichtige Orte wie die Grabeskirche in Jerusalem besuchen können, die ihnen zur Zeit der jordanischen Besatzung verwehrt waren.
In Israel herrscht völlige Religionsfreiheit; christliche Gruppen, die aus der ganzen Welt nach Kapernaum, zum Berg der Seligpreisungen oder zur Taufstätte Jardenit am Jordan kommen, erleben diese Orte als Plätze der reinen, unbeschwerten Freude. Da wird gebetet, gesungen, Gitarre gespielt, und jeder, der dabei war, kehrt mit schönen Erinnerungen nach Hause zurück, die ihn sein Leben lang begleiten. Das Wort „Aggressionspotenzial“ ist hier völlig fehl am Platz. Wohl jeder Christ, der Israel bereist hat, wird sich wundern, woher Bedford-Strohm diese Idee bloß genommen haben mag.
Ja, es gibt ein Aggressionspotenzial auf dem Tempelberg: Manchmal werden in der Al-Aksa-Moschee Steine und Brandsätze gelagert. Es gibt Extremisten, die den Tempelberg dazu missbrauchen, um zum Mord an Juden aufzurufen. Aber mit denen wollte sich Bedford-Strohm offenbar nicht anlegen. Lieber macht er diejenigen für sein Handeln verantwortlich, die seit Jahrhunderten dafür bekannt sind, dass man ihnen die Schuld an allem Möglichem geben kann, ohne dass sie sich wehren.
Nachdem der Bischof sich einmal entschieden hatte, sein Kreuz zu verhüllen, hätte er dies ehrlich mit seinen Befürchtungen erklären können oder mit seinen Auffassungen darüber, was sich beim Besuch einer Moschee geziemt. Mit dem Finger auf Israel und „jüdische Siedler“ zu zeigen, ist kein schöner Zug. Offenbar hat er vergessen, dass auch sie Respekt erwarten können: nicht nur als Gastgeber, sondern als Menschen, die auch Rechte haben – und ja: auch auf dem Tempelberg.