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Bergisch Gladbach: »Brückenbau« zulasten Israels

Die israelische Partnerstadt von Bergisch-Gladbach: Ganey Tikva
Die israelische Partnerstadt von Bergisch-Gladbach: Ganey Tikva

In Bergisch Gladbach organisieren zwei Vereine, die für die Partnerschaft mit einer israelischen und einer palästinensischen Stadt zuständig sind, eine Veranstaltungsreihe. Dazu wurden auch Befürworter von BDS-Maßnahmen eingeladen.

Schon einmal hat MENA-Watch darüber berichtet, wie in Bergisch Gladbach, einer Stadt mit rund 100.000 Einwohnern in der Nähe von Köln, die Städtepartnerschaften mit Ganey Tikva in Israel und mit Beit Jala im Westjordanland in der Praxis gestaltet werden und wie sich das Stadtoberhaupt dazu positioniert.

Im Dezember 2018 hatte der seinerzeitige Bürgermeister Lutz Urbach (CDU) dem Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach ein halbes Jahr zuvor das Mandat entzogen und die Zusammenarbeit aufgekündigt. Als Begründung für diesen außergewöhnlichen Schritt sagte er damals, der Verein spüre »inquisitorisch« dem Antisemitismus nach, betreibe eine »radikale Israelpolitik« und sei zu Unrecht auf Konfrontation mit dem Beit-Jala-Verein gegangen.

Ein Kampf gegen den Hass auf Juden, der über jährliche Gedenkveranstaltungen hinausgeht und sich nicht auf den rechtsextremen Antisemitismus beschränkt, sondern auch den israelbezogenen in anderen politischen Lagern sehr deutlich benennt, war also so wenig im Sinne des Bürgermeisters wie eine entschlossene Solidarität mit dem jüdischen Staat.

Einen Antrag des Ganey-Tikva-Vereins, die antisemitische und antiisraelische BDS-Bewegung sowie den Aufruf zum Boykott von israelischen Waren, Unternehmen, Wissenschaftlern und Künstlern zu verurteilen, lehnte der Stadtrat von Bergisch Gladbach dann auch ab. Bürgermeister Urbach argumentierte, man habe »lediglich ein kommunalpolitisches Mandat« und sei deshalb »nicht zuständig«.

Inzwischen heißt der Bürgermeister Frank Stein, der der SPD angehört; sein Vorgänger ist nun Vorsitzender des erst vor einem Jahr gegründeten Städtepartnerschaftsvereins Ganey Tikva – Bergisch Gladbach.

Die Namensähnlichkeit zum israelsolidarischen Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach, dem Urbach das Mandat entzogen hatte, ist zumindest auf den ersten Blick verwirrend; im Internet haben beide Vereine zudem eine fast gleichlautende URL, nur die Endungen – ».gl« beim jüngeren, ».de« beim älteren – unterscheiden sich. Auch der vor einem Jahr ins Leben gerufene Verein tritt also, gewiss nicht zufällig, als »Ganey-Tikva-Verein« auf.

Kämpfer für den Frieden?

Inhaltlich aber könnten die beiden Vereine kaum unterschiedlicher sein, wie auch das Programm von Urbachs Verein für die kommenden Monate zeigt. Sechs Veranstaltungen unter dem Motto »Wanderer zwischen den Welten« richtet man zusammen mit dem Beit-Jala-Verein aus, den der israelsolidarische Ganey-Tikva-Verein in der Vergangenheit mehrmals deutlich kritisiert hatte – etwa wegen Leserbriefen von Vereins- respektive Vorstandsmitgliedern, in denen antisemitische und antiisraelische Positionen vertreten wurden, und weil der Beit-Jala-Verein kurzzeitig für eine »Nakba«-Ausstellung geworben hatte, in der Israel dämonisiert und delegitimiert wird.

Der vor einem Jahr gegründete Städtepartnerschaftsverein Ganey Tikva – Bergisch Gladbachhingegen, dem der Ex-Bürgermeister vorsteht, hat mit dem Verein, der sich der Städtepartnerschaft mit Beit Jala widmet, keine Probleme – im Gegenteil.

Gemeinsam hat man beispielsweise einen Israeli und einen Palästinenser eingeladen, am 16. Juni im Ratssaal Bensberg zu sprechen; der Titel der Veranstaltung lautet: »Israelis und Palästinenser im Dialog: Mutige Brückenbauer vor Ort packen es an!« Bei diesen »Brückenbauern« handelt es sich um Rami Elhanan und Bassam Aramin, die jeweils »durch Gewalt eine Tochter verloren« haben, wie es in der Veranstaltungsankündigung heißt:

»Ramis Tochter Smadar wurde 1997 im Alter von dreizehn Jahren von einem palästinensischen Selbstmordattentäter vor einem Jerusalemer Buchladen getötet. Bassams Tochter Abir starb 2007 mit zehn Jahren vor ihrer Schule durch die Kugel eines 18-jährigen israelischen Grenzpolizisten.«

Nun engagieren sich die beiden Männer »für die Überwindung der Feindseligkeiten im Nahen Osten«, wie es im Text weiter heißt. Beide sind Mitglieder der 2006 gegründeten Combatants for Peace (CfP), in der sich frühere israelische Soldaten und einstige palästinensische Terroristen zusammengetan haben. Sie seien eine Gruppe, deren Mitglieder sich früher »aktiv am Kreislauf der Gewalt in unserer Region beteiligten«, heißt es auf der Website der CfP:

»Israelische Soldaten, die in der IDF [Israelische Verteidigungsstreitkräfte, Anm. d. Red.] dienten, und Palästinenser, die als Kämpfer für die Befreiung ihres Landes Palästina von der israelischen Besatzung kämpften.«

Jetzt sei man aber den »Prinzipien der Gewaltlosigkeit« verpflichtet.

Auch BDS-Befürworter eingeladen

Man sucht in dieser Selbstbeschreibung vergeblich das Wort »Terror«, dafür ist jedoch umso häufiger von der »Besatzung« die Rede, für deren Beendigung die Organisation eintritt. Dass die mitwirkenden Palästinenser als »Kämpfer für die Befreiung ihres Landes« firmieren und nicht als ehemalige Terroristen, deren Ziel eine Kein-Staat-Israel-Lösung war, ist einerseits erstaunlich.

Andererseits ist es typisch für solche israelisch-palästinensischen Projekte, die überaus häufig der israelischen Seite ein deutlich größeres Entgegenkommen abverlangen als der palästinensischen und die den elementaren Unterschied zwischen Terrororganisationen und der Armee eines demokratischen Landes verwischen.

Die Combatants for Peace halten Israel für einen »Apartheidstaat« und verorten Friedenshindernisse auch ansonsten fast ausschließlich dort und nicht in den palästinensischen Gebieten. Im Mai 2019 sprachen sie sich dagegen aus, dass der deutsche Bundestag sich in einem Beschluss gegen die BDS-Bewegung positionierte. Man stelle sich, so schrieben sie, zwar nicht formal auf der Seite von BDS, halte den Boykott aber »für ein legitimes Instrument des gewaltlosen Widerstandes gegen Unterdrückung und Besatzung«.

Zumindest das CfP-Mitglied Rami Elhanan, das in Bergisch Gladbach sprechen soll, unterstützt die BDS-Bewegung allerdings sehr wohl, wie etwa aus einem von ihm unterzeichneten Aufruf aus dem Jahr 2015 hervorgeht, der sich für einen Ausschluss Israels aus dem Weltfußballverband FIFA aussprach und explizit einen Boykott des jüdischen Staates befürwortete.

Am 20. August empfangen die beiden Städtepartnerschaftsvereine Yuval Ben-Ami zur Veranstaltung »Von einem, der auszog, das Fürchten zu verlernen. Als Reiseleiter unterwegs in Israel und Palästina«. Ben-Ami arbeitet auch als Journalist und rief im Dezember 2017 in einem Text die Sängerin Lorde dazu auf, ihr für Juni 2018 geplantes Konzert in Tel Aviv abzusagen und es stattdessen ins Westjordanland zu verlegen.

Dabei bezog sich Ben-Ami zustimmend auf die BDS-Bewegung, die Lorde zuvor zu einem Boykott Israels gedrängt hatte. Tatsächlich folgte die Sängerin dem Aufruf und stornierte ihren Auftritt in Tel Aviv, was Yuval Ben-Ami »bedeutend« fand und als »richtige Wahl« begrüßte.

»Brückenbau« heißt »Israelkritik«

Am 13. September wiederum lesen Achim Dehmel und Heinz-D. Haun aus dem Buch Apeirogon von Colum McCann, dessen Protagonisten Rami Elhanan und Bassam Aramin sind, die Referenten der Veranstaltung vom 16. Juni. Dehmel ist Beisitzer im Ganey-Tikva-Städtepartnerschaftsverein, Haun ist der Vorsitzende des Beit-Jala-Vereins.

Letzterer hatte im Juni 2019, damals war er stellvertretender Vorsitzender des Vereins, in einem Leserbrief an den Kölner Stadt-Anzeiger geschrieben, Israel zementiere mit seinem Nationalstaatsgesetz die »ethnisch beziehungsweise rassistisch motivierte Einschränkung sozialer und bürgerlicher Rechte nichtjüdischer Bürger«, und genau das entspreche »der UN-Definition von Apartheid«. Nicht zuletzt diese öffentliche Äußerung führte seinerzeit zu einer deutlichen Kritik des israelsolidarischen Ganey-Tikva-Vereins, die dieser auch in einem Schreiben an den seinerzeitigen Bürgermeister Lutz Urbach zum Ausdruck brachte.

Die gesamte Veranstaltungsreihe findet »mit freundlicher Unterstützung der Stadt Bergisch Gladbach« statt, wie der offiziellen Ankündigung zu entnehmen ist. Der neue sozialdemokratische Bürgermeister Frank Stein setzt also die Linie seines christdemokratischen Vorgängers Lutz Urbach fort.

Unter »Brückenbau« versteht man in Bergisch Gladbach mit Blick auf die beiden Städtepartnerschaften offensichtlich die sattsam bekannte »Israelkritik« und lädt zu diesem Zweck israelische Referenten ein, die zumindest in der jüngeren Vergangenheit auch BDS-Maßnahmen wie Boykotte befürwortet haben. Anscheinend ist das, anders als die Positionierung gegen die BDS-Bewegung, vom »kommunalpolitischen Mandat« gedeckt.

Der israelisch-palästinensische Konflikt müsse »die Bergisch Gladbacherinnen und Bergisch Gladbacher nicht entzweien«, schreibt der neue Städtepartnerschaftsverein Ganey Tikva – Bergisch Gladbach zu seiner Veranstaltungsreihe mit dem Beit-Jala-Verein. »Im Gegenteil: Der Nahostkonflikt kann uns in Bergisch Gladbach in dem Bemühen um eine sachliche Auseinandersetzung einen.«

Diese Einigkeit besteht offenbar darin, dass Israel das Problem ist und Boykottmaßnahmen gegen den jüdischen Staat der Verständigung dienen, während die Hamas und andere antisemitische Terrororganisationen nicht weiter der Rede wert sind. Wer das anders sieht wie der israelsolidarische Ganey-Tikva-Verein, bekommt das Mandat entzogen, für Bergisch Gladbach zu sprechen. Das spricht Bände.

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