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Afghanistan: Dieses Desaster hätte nicht sein müssen

US-General Petraeus mit dem früheren afghanischen Präsidenten Karzai
US-General Petraeus mit dem früheren afghanischen Präsidenten Karzai (© Imago Images / UPI Photo)

Entgegen den Gepflogenheiten des US-Militärs, sich aus der Politik heraus- und auch öffentlich zurückzuhalten, äußert sich General David Petraeus deutlich zum Debakel des US-Abzugs aus Afghanistan.

Wenn es einen gibt, den dieser Tage zu interviewen sich lohnt, dann dürfte es der US-General David Petraeus sein. Wie kaum ein anderer hochrangiger Militär war er am War on Terror beteiligt, der fast vor genau zwanzig Jahren begann.

Das von ihm mitverfasste „Counterinsurgency Manual“ gilt als die bislang beste Anleitung, um asymmetrische Kriege zu gewinnen. Und das gelang den USA auch, nachdem ihm im Irak die Verantwortung im so genannten „Surge“ zur Befriedung des sunnitischen Dreiecks übergeben wurde.

Er tat, was die USA nach 2003 versäumten, und es gelang dem Militär unter ihm, Al-Qaida und andere Jihadisten weitestgehend zu besiegen und loyale sunnitische Verbände aufzubauen. 2010, kurz bevor unter der Obama-Administration die USA ihr Militär aus dem Irak abzogen und daraufhin der Islamische Staat erstarkte, war der Zentralirak befriedet.

Auch in Afghanistan war Petraeus aktiv, später sogar Direktor der CIA. Zu Recht fragt man sich dieser Tage, wie sich jemand wie er angesichts der Bilder aus Kabul wohl fühlen muss und wie er die Situation beurteilt. Peter Bergen von CNN hat ihn interviewt und Petraeus antwortet erstaunlich offen, bedenkt man, dass unter US-Militärs es eigentlich, anders etwa als bei ihren britischen Kollegen, die ihre Regierung viel offener kritisieren, zum guten Ton gehört, sich aus Politik heraus- und auch öffentlich zurückzuhalten.

Liest man dieses Interview, wird erschreckend klar, dass selbst ein US-Abzug hätte ganz anders verlaufen können. Der, der das so deutlich sagt ist, wie gesagt, jemand, der weiß, wovon er spricht.

Ganz klar widerspricht er dem Narrativ der Biden-Regierung, dass das, was nun geschehen ist, sowieso so oder in einer anderen Form hätte geschehen müssen. Da wären zuerst die von Trump initiierten so genannten Friedensverhandlungen mit den Taliban, die so wie sie liefen, verheerende Konsequenzen hatten, nämlich:

„Erstens signalisierten sie dem afghanischen Volk und den Taliban , dass die USA wirklich die Absicht hatten, abzuziehen (…) Zweitens untergruben wir die gewählte afghanische Regierung, so fehlerhaft sie auch gewesen sein mochte, indem wir bei den Verhandlungen, die wir über das Land führten, das sie tatsächlich regierten, nicht auf ihre Teilnahme bestanden.

Drittens zwangen wir die afghanische Regierung im Rahmen des eventuellen Abkommens zur Freilassung von 5.000 Taliban-Kämpfern, von denen viele schnell als Verstärkung für die Taliban in den Kampf zurückkehrten. Viertens gaben sie Präsident Biden eine zusätzliche Rechtfertigung/Entschuldigung, das zu tun, was er ohnehin wollte: gehen.“

Alternativlos?

Auch räumt Petraeus dankenswerter mit dem mehrfach in Washington vorgebrachten Argument auf, man wäre an die Vereinbarungen, die Trump ausgehandelt hatte, gebunden gewesen. Schließlich hätte die neue US-Regierung auch andere Entscheidungen ihrer Vorgängerin – wie den Ausstieg aus dem Pariser Klima Abkommen – rückgängig gemacht.

(And dieser Stelle sei erwähnt, dass Ex-Außenminister Mike Pompeo, man mag von ihm halten, was man will, sich kürzlich ebenfalls zu Wort gemeldet hat und erklärte, die Taliban hätten sich nicht an die Vereinbarungen gehalten, weshalb es auch die USA nicht hätten tun sollen.)

Weiter betont Petraeus, die afghanische Armee habe, anders als ihr neuerdings unterstellt wird, sehr wohl gekämpft, allerdings begriffen, dass die USA sie de facto im Stich lassen wird. Ganz besonders fatal sei die fehlende Luftunterstützung gewesen, die in asymmetrischen Kriegen entscheidend sei. Außerdem sei der Anzug anderer Experten und Vertragsfirmen fatal gewesen:

„Als die rund 18.000 Spezialisten zusammen mit den US-Streitkräften abzogen, begann auch die Fähigkeit der afghanischen Luftwaffe zu erodieren, zumal das Wartungsfrequenz extrem hoch war und viele Flugzeuge von Einsätzen mit Gefechtsschäden zurückkehrten.

Doch die afghanische Luftwaffe war das entscheidende Element, um sicherzustellen, dass afghanische Soldaten vor Ort wussten, dass ihnen jemand in einem harten Kampf den Rücken freihielt. Ohne funktionsfähige afghanische Luftwaffe im Rücken, wussten die afghanischen Soldaten, dass ihnen niemand mehr zu Hilfe kam.“

Wie andere Militärs in den letzten Tagen auch, insistiert Petraeus darauf, dass es längst nicht mehr um eine für amerikanische Soldaten bedrohliche Kampfsituation in Afghanistan ging, sondern nur noch um Unterstützung lokaler Einheiten, bei der in den letzten Jahren kein US-Soldat mehr zu Tode kam. Als auch diese und in Folge die anderen 7.000 Nato-Soldaten abgezogen wurden, „begriffen die afghanischen Soldaten, dass sie auf sich alleine gestellt waren“.

Deutlicher kann in der Tradition des US-Militär ein ehemaliger General kaum werden, aber die Einschätzung ist unmissverständlich genug: Das Desaster von Kabul hätte keineswegs stattfinden müssen und wäre recht leicht zu verhindern gewesen, hätte die US-Regierung es denn verhindern wollen.

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