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Gaza-Flüchtlinge: Ägyptische Firma verlangt exorbitante Summen für die Ausreise

Palästinensische Flüchtlinge an Gazas Grenze zu Ägypten
Palästinensische Flüchtlinge an Gazas Grenze zu Ägypten (© Imago Images / Xinhua)

Laut internationalen Berichten zahlen Menschen, die Gaza verlassen möchten, bis zu zehntausend Dollar pro Person an skrupellose Unternehmen, um nach Ägypten fliehen zu können.

Angesichts von Vertreibung, Bombardierungen und Lebensmittelknappheit haben Tausende von Menschen aus dem Gazastreifen seit Beginn des Kriegs am 7. Oktober versucht, über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten zu gelangen, während Vermittler, die von ihrer Verzweiflung profitieren, exorbitante Summen für die Passage durch den einzigen offenen Landkorridor verlangen, über den man den Gazastreifen verlassen kann. Internationale Medien berichten, dass Gazaner zwischen fünf- und zehntausend Dollar pro Person zahlen, um aus der umkämpften Enklave zu fliehen.

Die Ausreise aus dem Küstenstreifen war bereits vor Kriegsbeginn eine komplizierte Angelegenheit, da sowohl Israel als auch Ägypten seit dem Jahr 2007 eine Teilblockade über die von der Hamas regierte Enklave verhängt haben, um die Einfuhr von Waffen und anderem Material für die Kriegsmaschinerie der Terrororganisation zu verhindern.

Damals konnte die Genehmigung durch die Hamas zwar Monate dauern, aber die Bewohner des Gazastreifens hatten die Möglichkeit, einige hundert Dollar an einen der wenigen ägyptischen Vermittler zu zahlen, die sie an den Hamas-Listen vorbei nach Ägypten schleusen konnten. Seit dem 7. Oktober letzten Jahres ist der von den Hamas-Behörden verwaltete Grenzverkehr jedoch fast gänzlich eingestellt worden. Jene wenigen, die ausreisen dürfen, sind Ausländer und Doppelstaatsbürger sowie Verletzte, die in Ägypten behandelt werden sollen.

Horrende Summen

Für Palästinenser ohne ausländischen Pass gibt es nur noch die Möglichkeit, über ein ägyptisches Reisebüro namens Hala auszureisen. Alle paar Tage veröffentlicht das Unternehmen eine Liste mit Hunderten von Namen von Menschen aus dem Gazastreifen, die über die Grenze in Sicherheit gebracht werden können.

Einem Bericht des israelischen Fernsehsenders Channel 11 vom Februar zufolge verlangt das Unternehmen zweitausendfünfhundert Dollar für Kinder unter sechzehn Jahren und fünftausend für Erwachsene. Andere Quellen wie die britische Zeitung Guardian berichten, die Kosten für einen Erwachsenen könnten bis zu zehntausend Dollar betragen, während Inhabern ägyptischer Pässe nach Angaben des Organized Crime and Corruption Reporting Projectzwischen sechshundertfünfzig und tausendzweihundert Dollar berechnet werden. Den Berichten zufolge müssen die Gebühren bar hinterlegt werden; manchmal auch von Verwandten im Ausland an Mittelsmänner in Europa und den USA. 

Unter den Tausenden, denen die Flucht aus dem vom Krieg zerrütteten Gazastreifen gelungen ist, befinden sich auch Angehörige hochrangiger Hamas-Mitglieder, die in der Regel sehr viel wohlhabender sind als die allgemeine Bevölkerung. Channel 12 enthüllte letzte Woche, dass ohne Wissen Israels fünf Neffen des Hamas-Führers Yahya Sinwar sowie die beiden Kinder des Hamas-Polizeisprechers Ayman Albatanji und die engsten Angehörigen des Hamas-Politbüromitglieds Sameh Al-Siraj auf den jüngsten Reiselisten gestanden hätten.

Andere Bewohner des Gazastreifens, die nicht über die finanziellen Mittel der Hamas-Funktionäre verfügen, greifen auf Online-Crowdfunding-Kampagnen zurück, um die notwendigen Summen zu sammeln, die sich bei großen Familien auf mehrere zehntausend Dollar belaufen können. Die Website GoFundMe etwa listet Hunderte Aufrufe von Gazanern auf, die in der Regel im Ausland leben und Geld für ihre Angehörigen sammeln, um deren Ausreisegebühren zu bezahlen.

Wenig glaubwürdig

Die ägyptischen Behörden erklärten unterdessen, sie hätten dem lukrativen Geschäft mit den exorbitanten Grenzübertrittsgebühren ein Ende gesetzt. Die in London ansässige Zeitung Al-Quds Al-Arabi berichtete im Februar, Kairo habe das Unternehmen Hala angewiesen, seine Dienste einzustellen, nachdem Medienberichte über dessen Grenzgeschäfte für Aufregung gesorgt hatten. In einem Interview mit Sky News sagte der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry vergangene Woche, Kairo werde »gegen jeden vorgehen, der in solche Aktivitäten verwickelt ist«.

Die Behauptungen Kairos stoßen jedoch auf Skepsis bei denjenigen, die erklären, die ägyptische Armee, welche die Grenze kontrolliert und ein wichtiger Akteur in der ägyptischen Wirtschaft ist, müsse in die Machenschaften verwickelt sein. Der Ägyptenexperte der Organisation Human Rights Watch, Amr Magdi, erklärte diesbezüglich gegenüber Sky News, dass »es keine derartigen wirtschaftlichen Aktivitäten geben kann, insbesondere wenn es sich um ein Monopol handelt, ohne grünes Licht vom Militär und ohne tatsächliche Verbindungen zum Militär«.

Kriegsgewinnler

Das Reisebüro Hala zählt zum Unternehmen Abnaa Sina (deutsch: Söhne des Sinai), einer Bau- und Vertragsfirma, die dem Geschäftsmann Ibrahim al-Organi gehört und Teil seiner großen Organi-Gruppe ist. Als Stammes- und Milizenführer auf dem Sinai baute al-Organi vor zwei Jahrzehnten ein Schmuggelimperium auf, das von Ägypten bis nach Gaza und Israel reichte. Der Oligarch ist in der ägyptischen Geschäftswelt und dem Establishment aufgestiegen und gilt heute als einer der engsten Verbündeten von Präsident Abdel Fattah al-Sisi und dem ägyptischen Militär. Einige von Organis Unternehmen haben Joint Ventures mit der ägyptischen Armee und den Sicherheitsdiensten, wie die Nachrichtenseite Middle East Eye berichtet. Die Organi-Gruppe ist auch Sponsor des berühmten Kairoer Fußballklubs Al-Ahly, einer der erfolgreichsten Fußballmannschaften in Afrika.

Die Organi-Firmen scheinen vom Elend der Menschen im Gazastreifen nicht nur durch die Gebühren für die Passage für verzweifelte Zivilisten profitiert zu haben. Middle East Eye berichtete Ende Januar, dass die Firma Sons of Sinai von privaten humanitären Organisationen bis zu fünftausend Dollar für jeden Hilfsgütertransport in den Gazastreifen verlangt. Laut einem Artikel des Middle East Media Research Institute (MEMRI) waren Organis Baufirmen am Bau eines ummauerten Geländes außerhalb von Rafah beteiligt, in dem im Falle eines Massenexodus 100.000 Menschen aus dem Gazastreifen untergebracht werden könnten, und dass sein Bauimperium wahrscheinlich auch vom Wiederaufbau des Gazastreifens nach dem Krieg profitieren werde.

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