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1. Mai 1921: Ein arabischer Pogrom in Jaffa (Teil 1)

Britische Polizei versucht, die Ordnung in Yaffa wiederherzustellen
Britische Polizei versucht, die Ordnung in Jaffa wiederherzustellen (Quelle: History Central)

Heute vor hundert Jahren, am 1. Mai 1921, begann in Jaffa im britischen Mandatsgebiet Palästina ein Pogrom von Arabern gegen jüdische Männer, Frauen und Kinder, der mehrere Tage dauerte und Juden in aller Welt empörte.

Die Pogrome, von denen die Europäer des Jahres 1921 in den Jahren zuvor hatten in der Zeitung lesen können, waren vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs nach der Russischen Revolution verübt worden: in Polen, Russland, Weißrussland und der Ukraine. Die „Unruhen von Mai“, wie die Briten den Pogrom nannten, ereigneten sich hingegen scheinbar aus heiterem Himmel – just in dem Land, das der Völkerbund Großbritannien zur vorübergehenden Verwaltung anvertraut hatte, damit es dort

„solche politischen, administrativen und wirtschaftlichen Bedingungen herstellen möge, die die Errichtung der jüdischen nationalen Heimstätte und die Entwicklung selbstverwaltender Institutionen sowie den Schutz der bürgerlichen und religiösen Rechte aller Bewohner Palästinas sicherstellen“.

So stand es in der Resolution, auf die die Siegermächte des Weltkriegs sich 1920 in San Remo geeinigt hatten und die die Basis für das Palästina-Mandat bildete.

Erstes Blutvergießen

Nicht, dass es in Palästina seit Kriegsende wirklich friedlich gewesen wäre: Am 1. März 1920 war Joseph Trumpeldor, ein bekannter Zionist und Veteran des Russisch-Japanischen Krieges, in Galiläa erschossen worden, als er das Dorf Tel Chai gegen arabische Angreifer verteidigte. Und vom 4. bis 7. April 1920 hatte es während des muslimischen Nabi-Musa-Festes in Jerusalem ein Pogrom gegeben.

Unter Rufen von „Tod den Juden!“ hatten Araber jüdische Wohnungen geplündert, Frauen und Mädchen vergewaltigt und Juden ermordet. Sie schlitzten die Bettdecken und Kissen ihrer Opfer auf – russischstämmige Juden sahen darin das „allzu gut bekannte Zeichen eines Pogroms“, schreibt der israelische Historiker Tom Segev. Am Ende gab es auf jüdischer Seite fünf Tote, 216 Verletzte und 18 Schwerverletzte; auf arabischer Seite vier Tote, 23 Verletzte und einen Schwerverletzten.

Diese Gewaltorgie wurde 1921 in Jaffa noch übertroffen. Dort wurden bei den „Unruhen im Mai“ 47 Juden und 48 Araber getötet; unter den Verletzten, die gezählt wurden, waren 146 Juden und 73 Araber.

Der Anlass bzw. Zünder: Ein nicht genehmigter Umzug von jüdischen Kommunisten, die am 1. Mai von ihrem Hauptquartier in Jaffas Viertel Menschieh in den jüdischen Vorort Tel Aviv zogen, wo es zu einer Schlägerei mit jüdischen Sozialisten kam, die dort eine genehmigte Demonstration zum Mai-Feiertag veranstalteten. Warum diese innerjüdische Angelegenheit zu einem Pogrom von Arabern gegen Juden eskalierte, ist nicht klar.

Ein Bericht, den eine von Herbert Samuel, dem britischen Hochkommissar für Palästina, eingesetzte Untersuchungskommission unter Leitung von Sir Thomas Haycraft erstellte, lässt den Schluss zu, dass die Araber in Jaffa Warnschüsse, die von Polizisten in die Luft abgegeben wurden, als Angriff von Juden missverstanden haben könnten. Das ist aber spekulativ, zumal nicht bekannt ist, was an diesem Tag in Jaffa alles passierte und welche antijüdischen Gerüchte womöglich gestreut wurden.

Die Lage am Vorabend des Pogroms

Der Haycraft-Bericht beginnt mit einer Darstellung der geografischen Lage:

„Die Altstadt von Jaffa, ein Labyrinth kleiner Straßen, die sich um Massen von malerischen Gebäuden winden, liegt dicht hinter dem Kai und ist vorwiegend von Moslems bewohnt; Christen und Juden besitzen jedoch Läden und Büros in dem Viertel oder in der Nähe des Viertels.

Im Süden entlang der Küste befindet sich der moderne Vorort Ajami, der von Moslems und Christen bewohnt wird, während im Norden das von Moslems und Juden bewohnte Menshieh-Viertel liegt, durch das eine Hauptstraße verläuft, die auf beiden Seiten von meist von Juden betriebenen Geschäften gesäumt ist.

Am nördlichen Ende der wichtigen Verkehrsader Boustros Street, an einem als Morume Corner bekannten Punkt, zweigt eine Straße nach Nordosten ab, die zum jüdischen Vorort Tel Aviv führt und durch ein kleines Viertel führt, das als German Colony bekannt ist.

Zwischen Menshieh und einem ärmeren Viertel namens ‚Tin Town’, der nördlichen Fortsetzung von Menshieh entlang des Meeres, befindet sich ein sandiger Raum [im Folgenden von uns „Sanddünen“ genannt; S.F.], der diese Viertel von Tel Aviv trennt.“

Moslems und Christen, fährt der Autor fort,

„gehören zu dem syrisch-arabischen Menschenschlag, der die Städte Palästinas bevölkert, und unterscheiden sich in ihrem Aussehen erheblich von den Fellachen der Dörfer. Diese wiederum unterscheiden sich von den mehr oder weniger sesshaften Beduinen, die im Bezirk zu finden sind.

Man muss jedoch immer im Kopf behalten, dass unter den Moslems Palästinas die religiöse Solidarität so ist, dass es keinen anerkannten Unterschied in der Rasse gibt. Darüber hinaus haben die einheimischen Moslems und Christen nicht nur dieselbe arabische Nationalität, sondern bilden gegenwärtig in Bezug auf die zur Diskussion stehende politische Situation eine einheitliche Gruppe.“

Was die soziale Struktur betrifft, bildeten die nichtjüdischen Arbeiter von Jaffa zwar eine „kompakte Gemeinschaft“, unterschieden sich jedoch in wichtigen Punkten von einem europäischen Proletariat:

„Es gibt eine große Anzahl von Bootsleuten, Lastenträgern, Handwerkern und Arbeitern, die hauptsächlich im alten Jaffa, Menshieh und ‚Tin Town’ leben. Sie sind kontaktfreudig, leichtgläubig, leicht in Wallung zu bringen und sammeln sich jederzeit in Massen, wenn ein Grund zur Aufregung auftritt.

Aber bei den Moslems gibt es kein Klassenbewusstsein wie in einem europäischen Proletariat, das die Bande von Rasse und Religion durchbricht. Es gibt keine Klassen im europäischen Sinne. In Jaffa gibt es, wie in den meisten Häfen, ein nennenswertes Element von groben und schlechten Charakteren.“

Die Juden seien meist für sich, schreibt Haycraft; die „alten Juden“ (die, deren Sippen seit Jahrhunderten im Land waren) widmeten sich ihrer Religion, die Neuankömmlinge fleißig der Landwirtschaft, die sie sehr verbessert und effizienter gemacht hätten.

Versuche kommunistischer Agitation in Palästina

Die jüdische Gewerkschaftswelt war zu dieser Zeit gespalten in eine sozialdemokratische Großgewerkschaft namens Achdot-HaAvoda und eine an Russland und den Bolschewisten ausgerichtete kommunistische Splitterpartei namens M.P.S. Das Kürzel stand für „Sozialistische Arbeiterpartei im Mandatsgebiet Palästina“ und wurde von den jüdischen Palästinensern „Mops“ ausgesprochen.

Die M.P.S. hatte schon ab August 1919 versucht, die jüdischen Gewerkschaften in Palästina für die Ideen der bolschewistischen Dritten Internationale zu gewinnen. Doch vergeblich: Auf ihrem Höhepunkt im Jahr 1920 hatte die Partei in Palästina zwar rund 300 Mitglieder, danach aber ging es mit ihr bergab.

Man dürfe daraus aber nicht schließen, dass sie keine Außenwirkung gehabt habe, schreibt Haycraft. Im Oktober und November 1920 habe es unter den jüdischen Arbeitern „Arbeitskonflikte“ (labour trouble) gegeben, verursacht durch eine hohe Arbeitslosigkeit im Zuge einer Einwanderungswelle. Wenn die M.P.S. diese Konflikte auch nicht verursacht habe, so habe sie doch versucht, daraus Nutzen zu ziehen.

Am 7. November 1920 war die M.P.S. mutig genug geworden, Jaffa und Tel Aviv mit vor Ort angefertigten Plakaten zu überziehen, auf denen sie die Arbeiter Palästinas aufrief, an der sozialen Revolution teilzunehmen, sich „vom britischen Bajonett loszusagen“ und den 7. November, den Jahrestag der Errichtung der Sowjetherrschaft in Russland, durch einen halbtägigen Streik zu würdigen. Der Agitationstext endete mit der Parole: „Lang lebe das sozialistische Palästina!“

Der Streikaufruf wurde nicht gehört, und so drangen die Kommunisten in eine Möbelfabrik ein, entfachten einen Streit und „zerstörten die Maschinen“, wie Haycraft schreibt. Vergeblich, bei den jüdischen Arbeitern stießen sie auf Ablehnung.

So entschieden sich die Kommunisten, die Araber zu agitieren. Die arabische Bevölkerung hatte das Wirken der verschiedenen linken jüdischen Parteien und Gewerkschaften bis dahin von außen beobachtet. Doch als die M.P.S. anfing, kommunistische Propaganda auf Arabisch, die sie von ihrem Hauptquartier in Wien hatte kommen lassen, unter die Leute zu bringen, verursachte das in der arabischen Bevölkerung ein Gefühl diffuser Beunruhigung – a vague alarm, heißt es im Haycraft-Bericht.

Kurz vor dem 1. Mai verteilten Mitglieder der M.P.S. Flugblätter, in denen die jüdischen und arabischen Arbeiter aufgefordert wurden, die „Unterdrücker“ zu „stürzen“ und die „Folterer und Tyrannen unter euch niederzuschlagen“. Die arabische Fassung endete mit den Parolen:

„Nieder mit den britischen und französischen Bajonetten!
Nieder mit den arabischen und ausländischen Kapitalisten!
Lang lebe die dritte kommunistische Internationale!
Lang lebe die sozialistische Weltrevolution!
Lang lebe die Diktatur des Proletariats!
Lang lebe das sowjetische Palästina!“

Der 1. Mai 1921 in Jaffa und Tel Aviv

Während der 1. Mai in Europa ein Tag der Anspannung war, war in Palästina an diesem Datum noch nie etwas passiert, und so rechnete man auch dieses Mal nicht damit. So entspannt war die Polizei, dass Mr. Wainwright, der Distriktkommandant der Polizei von Jaffa, für einige Tage zur Erholung nach Gaza gefahren war.

Dennoch hatte die Obrigkeit ein Auge auf mögliche Unruhestifter. Wainwrights Stellvertreter, Abdin Bey, hatte angeordnet, dass Oberinspektor Cohen mit neun berittenen Polizisten die Achdot-HaAvoda-Demonstration in Tel Aviv beobachten würde, während Oberinspektor Tewfik Bey jegliche Demonstration der M.P.S. unterbinden sollte.

Am Morgen des 1. Mai versammelten sich im Borochoff-Club in Jaffa, dem Treffpunkt der M.P.S., 70 bis 80 Anhänger der Kommunisten und machten sich mit Fahnen und Transparenten auf den Weg nach Tel Aviv. Tewfik Bey hielt sie an, und es gelang ihm mithilfe einer arabischen Menschenmenge, die Demonstranten zu versprengen. Die Araber „drückten ihre Missbilligung der Demonstration aus“, heißt es in dem Bericht, „doch begingen keinen Akt der Feindseligkeit“. Danach gelang es der M.P.S., die Polizei abzuschütteln und die Außenbezirke von Tel Aviv zu erreichen, um ihre Demonstration dort fortzusetzen.

Die HaAvoda-Demonstration setzte sich um zehn Uhr vormittags in Tel Aviv in Bewegung, gefolgt von sechs berittenen Polizisten und einem Wachtmeister. Kurz vor dem Gymnasium tauchte linkerhand die M.P.S. auf. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, bog die HaAvoda-Demonstration rechterhand in eine Seitenstraße ab. Doch die Nachzügler gerieten dennoch in eine Konfrontation mit der M.P.S. Ein Redner der M.P.S. wollte sich an die Demonstranten wenden, wurde aber von jüdischen Schülern daran gehindert.

Später kam es zu einem zweiten Aufeinandertreffen der Gruppen in der Nähe des Spector’s Hotel. Im Bericht heißt es:

„Es gab viel Lärm, aber die einzig ernsthafte Verletzung war die einer Frau der M.P.S.-Partei, die zu Boden geschlagen wurde und sich dabei ernsthaft am Kopf verletzte. Diese beiden Aufeinandertreffen waren die ersten Konflikte des Tages.“

Nachdem Oberinspektor Cohen die Lager getrennt hatte, drängte er die M.P.S. mit Unterstützung der Polizisten von Tewfik Bey in das Sanddünengebiet zwischen Tel Aviv und Menshieh zurück. „Ungefähr zu dieser Zeit“, so der Bericht, kamen aus Menshieh Juden, die berichteten, dass sie von Arabern verprügelt worden seien und die Polizei untätig zuschaue. Sie waren nur leicht verletzt. Von diesem Zeitpunkt an ist der Ablauf der Ereignisse unklar.

Aus Menshieh, so Haycraft, kamen mit Stöcken bewaffnete Araber, die von Anfang an gegen die Demonstration der Kommunisten gewesen waren und die gehört hatten, dass es in Tel Aviv Zusammenstöße gegeben hatte. Sie versammelten sich an der westlichen Seite der Sanddünen, wo sie sehen konnten, was in Tel Aviv vor sich ging. Auf der östlichen Seite der Dünen waren Juden.

Die Demonstrationen von HaAvoda und M.P.S. waren zu diesem Zeitpunkt beendet, die Teilnehmer auf dem Nachhauseweg. Hätte es nicht einen „tiefer liegenden Groll der Araber gegen die Juden gegeben, wäre es der Polizei nicht schwergefallen, den Frieden zu wahren“, schreibt Haycraft, und knüpft daran eine allgemeine Beobachtung:

„Die arabische Bevölkerung ist für gewöhnlich sehr gehorsam gegenüber der Obrigkeit, und wird nur dann schwer zu bändigen, wenn irgendein religiöses oder rassisches Gefühl erregt wird. Die Juden sind weniger gehorsam gegenüber der Obrigkeit und schwerer zu kontrollieren; andererseits neigen sie weniger dazu, plötzlich zu Gewalt zu greifen, was den Araber auszeichnet, wenn er durch ein wirkliches oder eingebildetes Unrecht oder eine Provokation erregt wird.“

Die Polizei trennte nach besten Kräften Araber und Juden in den Sanddünen zwischen Tel Aviv und Menshieh. Polizisten feuerten mit ihren Gewehren Warnschüsse ab.

Der Pogrom beginnt

Bald darauf kamen Berichte von Juden aus Menshieh, die sagten, dass ihre Läden aufgebrochen worden seien und dass geschossen werde. Die Polizei verlor „völlig die Kontrolle“, schreibt Haycraft. Der Gouverneur des Mandatsgebiets, Herbert Samuel, bat drei angesehene Araber um Hilfe, unter ihnen Assim Bey el-Said, den Bürgermeister von Jaffa. Als sie Menshieh erreichten, sahen sie, dass der jüdische Markt dort völlig geplündert war. Wo sie hinkamen, stoppten die Ausschreitungen, gingen aber weiter, sobald sie sich entfernten.

Viele der örtlichen Polizisten seien „völlig ineffizient“ gewesen, so Haycraft, „entweder, weil sie sich nicht imstande sahen, mit den Tumulten fertig zu werden“ oder „weil sie nicht willens waren, zu versuchen, sich der Wut ihrer eigenen Leute entgegenzustellen“. Was auch immer der Anlass der Gewalt gewesen sein mochte, schreibt Tom Segev,

„Dutzende von Zeugen – Juden, Araber und Briten – erzählten alle die gleiche Geschichte: Arabische Männer brachen in jüdische Gebäude ein und ermordeten die Bewohner; später kamen Frauen und plünderten. Araber griffen jüdische Fußgänger mit Knüppeln, Messern und in einigen Fällen mit Pistolen an und zerstörten jüdische Wohnungen und Geschäfte. Sie schlugen und töteten Juden, darunter Kinder, in ihren Wohnungen; in einigen Fällen spalteten sie die Schädel der Opfer.

In einer Reminiszenz an die Nebi-Musa-Ausschreitungen im Vorjahr schilderten viele Zeugen, wie der Mob Bettdecken und Kopfkissen zerrissen und in den Straßen verteilt hatte, just so, wie es russische Schläger während der Pogrome getan hatten.“

Das Einwandererwohnheim in Jaffa wurde mit Bomben und Gewehren angegriffen – auch von Polizisten –, glücklicherweise gelangten die Angreifer nicht ins obere Stockwerk, wo sich rund hundert Bewohner aufhielten. Der Pogrom dauerte am folgenden Tag an.

Um die Ereignisse des 2. Mai 1921 wird es im morgen hier erscheinenden Teil 2 des Artikels gehen.

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