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Arabisch-israelische Ra’am-Partei: Die Bedenken der jüdischen Israelis

Der Vosritzende der arabisch-israelischen Partei Ra’am (Vereinigte Arabische Liste), Mansour Abbas
Der Vosritzende der arabisch-israelischen Partei Ra’am (Vereinigte Arabische Liste), Mansour Abbas (© Imago Images / UPI Photo)

Für Israels jüdische Gesellschaft ist gewöhnungsbedürftig, dass eine arabische Partei bei Koalitionsverhandlungen eine entscheidende Rolle spielt. Dass es sich dabei ausgerechnet um eine Partei der Islamischen Bewegung handelt, die somit auch der Hamas nahesteht, weckt bange Fragen.

Im Laufe der letzten Woche hatten die Einwohner der Grenzregion zu Gaza kaum eine ruhige Nacht. Wiederholt kam es zum Raketenbeschuss aus dem Küstenstreifen. Vor knapp einer Woche mussten Israels Bürger der Grenzregion in einer einzigen Nacht Schutz vor 36 Raketen suchen. Das ist ein Szenario, mit dem Israelis seit 20 Jahren leben, genau gesagt: seit dem 16. April 2001 als die ersten Hamas-Raketen aus dem Gazastreifen auf die israelische Kleinstadt Sderot niedergingen.

Zugleich vernehmen Israelis gegenwärtig, dass die Hamas nicht nur aus dem Gazastreifen heraus Israel angreift, sondern versucht, den Unruhen in Jerusalem einen organisierten Charakter zu verleihen. Und nicht nur die Heilige Stadt soll, wenn irgend möglich, in Unruhe versetzt werden: Die Hamas hängt es natürlich nicht an die große Glocke, hat aber ebenfalls Interesse daran, dass der Funke auch ins Westjordanland überspringt.

Als sei das nicht genug, hat sich die Hamas unterdessen dem Tenor des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas angeschlossen, der Israel die Schuld dafür gab, dass er die Wahlen aussetzte. Israel als jüdischer Staat ist es gewohnt, zum Sündenbock ernannt zu werden, so wie seine Bürger an fast tägliche Meldungen gewöhnt sind, die keinen Zweifel daran lassen, dass die palästinensische Seite Terror verherrlicht und Terroristen als Helden glorifiziert ebenso wie die Behörden dies auch noch finanziell belohnen.

Alarmglocken springen an

Anfang des Monats kam in Israel niemand mehr um die Tatsache herum, dass ausgerechnet die Partei Ra’am (Vereinigte Arabische Liste) eine neuerlangte Machtrolle in der israelischen Politik innehat.

Die Partei ist seit ihrer Gründung 1996 als politischer Flügel der Islamischen Bewegung in der israelischen Politik vertreten. Zwar handelt es sich dabei um die Islamische Bewegung Süd, die ideologisch sehr viel leiser tritt als die Islamische Bewegung Nord, doch das Wahlergebnis 2021 zerrte die 2018 aktualisierte und 2019 bereits unter dem gegenwärtigen Partei-Chef Mansour Abbas überarbeitete Ra’am-Charta an die breitere Öffentlichkeit, die zweifelsohne veranschaulicht: Die Muslimbruderschaft ist das ideologische Zuhause dieser Partei.

Ebenfalls Anfang April dieses Jahres wurde Israels Bürgern in Zusammenhang mit Ra’am noch etwas ganz anderes als lediglich das Hofieren dieser Partei im Gerangel um eine regierungsfähig Koalition in Erinnerung gerufen.

So ließ der Name Ibrahim Sarsour altbekannte Alarmglocken anspringen. Sarsour ist dem jüdischen Israel nicht als Knesset-Abgeordneter von Ra‘am (2006-2015) im Gedächtnis geblieben, sondern weil er Israels militärische Reaktionen auf den Raketenbeschuss aus Gaza mit NS-Praktiken gleichsetzte, den Iran-Handlanger Hisbollah zu „Siegen über Israel“ beglückwünschte und zur Einrichtung eines Kalifats mit Hauptstadt Jerusalem aufrief.

Terrorverherrlichung

Als Ra‘am-Chef Mansour Abbas im Zuge der Fahrt aufgenommenen Koalitionsverhandlungen von fast allen Parteien umgarnt wurde, gehörte Sarsour in der zentralisraelischen Stadt Baqa al-Ġarbijja zum Begrüßungskomitees für Rushdi Abu Mokh. Das jüdische Israel nahm nicht nur wahr, dass arabische Bürger des Staates einen nach 35 Jahren Haft auf freien Fuß gesetzten Mörder, der seine grausame Tat im Namen der u.a. von der EU als Terrororganisation gelisteten PFLP verübte, bejubelten – sondern auch, dass unter ihnen der Ex-Chef jener Partei war, die gerade im Zentrum der Koalitionsverhandlungen steht.

Dass Ra’am-Chef Mansour Abbas zu dem Vorfall in Baqa al-Ġarbijja schwieg, nahm man ebenso wahr wie die neuesten Ausführungen eines seiner engsten Vertrauten. Rechtsanwalt Shuaa Masarwa Mansour, der als Bürgermeister der arabisch-israelischen Stadt Taibe amtiert, meinte erst vor wenigen Tagen in einem Interview: „Es ist Mansour Abbas, der den Ton vorgibt und die öffentliche wie auch die politische Tagesordnung des Staates Israel bestimmt.“

Bange Fragen

Die jüdische Mehrheitsgesellschaft Israels tut sich schwer damit, dass die arabischen Bürger des Landes ein „duale Identität“ haben und eine Identifikation mit dem palästinensischen Volk pflegen. Man nimmt sehr wohl wahr, dass die arabische Gesellschaft des Landes viele Facetten aufweist.

Trotzdem haben jüdische Israelis immer wieder erfahren müssen, dass Terror nicht nur von Nachbarn kommen kann, sondern daran immer wieder auch einmal Bürger des eigenen Landes beteiligt waren. Die Zweite Intifada wie auch die Terrorwelle der „Einsamen Wölfe“ ab Herbst 2014 veranschaulichten das Land auf, Land ab.

Juden und Araber arbeiten in Israel zusammen in den gleichen öffentlichen wie privaten Institutionen, sie besuchen als Studenten die gleichen Seminare und bauen gemeinsam diverse Wirtschaftsunternehmen auf, so wie man sich ebenfalls mit vereinten Kräften in sozialen Projekten einbringt.

Ob aufgrund persönlicher Kontakte, im Zuge punktueller Erlebnisse wie einer Einladung in diesen Tagen bei Muslimen zum Iftar-Mahl, mit dem das tägliche Ramadan-Fasten gebrochen wird, oder wegen Medienberichten: Jüdische Israelis wissen, dass eine Identifikation der Araber des Landes mit dem palästinensischen Volk nicht automatisch mit einer per se mit Feindseligkeit gegenüber Israel gleichzusetzen ist.

Bedenken trotz Wandel

Im Februar 2020 zeigten Umfragen noch, dass lediglich 23% der jüdischen Wähler die Idee befürworten würden, dass arabische Parteien des Landes eine israelische Regierung von außen stützen und infolgedessen auch an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt wären. Eine Anfang dieses Jahres vom selben Israel Democracy Institute durchgeführte Umfrage zeigt unterdessen auf, dass sich ein Wandel vollzogen hat, denn dieser Satz ist auf 44% angestiegen.

Trotzdem bleiben – eben nicht von ungefähr kommende – grundsätzliche Bedenken, wenn es um Themen wie Verteidigung und öffentliche Sicherheit oder gar Außenpolitik geht.

Solche Bedenken bekommen nochmal eine andere Dimension, wenn man sich die Ra’am-Charta zu Gemüte führt: „Der Staat Israel geht auf das rassistische Zionismus Projekt zurück“, heißt es dort, und es wird die Einheit muslimischer Araber eingefordert, „bis die Besatzung ein Ende findet und ein palästinensischer Staat im Westjordanland und im Gazastreifen sowie im noblen Jerusalem“ gegründet wird „und die Vertriebenen und Entwurzelten in ihre Heime und ihre Heimat zurückgekehrt sind.“

Werden sich Abgründe auftun?

Israelis jedweder politischer Einstellung können sich schwerlich mit solchen Ansichten arrangieren. Eine Partei mit einer solchen Charta gibt nun auch noch den „Ton der politischen Tagesordnung Israels vor“, wie sie selbst sagt. Weiter gesteigert wird diese absurde Situation durch eine Äußerung, die Ra’am-Wahlkampagnen-Chef Aaed Kayal erst dieser Tage machte: „Bei einem fünften Wahlgang werden wir um 20% mehr Stimmen bekommen.“

Vermutlich liegt er damit nicht ganz falsch – allerdings unter einer Voraussetzung: Der gegenwärtige Ra’am-Chef Mansour Abbas wird bei seinem pragmatischen Ansatz bleiben müssen. Dass seine Partei so gut abschnitt, ist in einem großen Maße der Tatsache geschuldet, dass er den Wandel, der sich in der arabischen Gesellschaft des Landes vollzieht, frühzeitig erkannt und aufgegriffen hat.

Bereits Anfang 2019 veröffentlichten die Abraham Initiatives und die Friedrich-Ebert-Stiftung, dass mittlerweile zwei Drittel der für die Studien befragten arabischen Bürger Israels befürworten, dass sich arabische Parteien einer Regierung des Landes anschließen.

Das ist in Israel eine völlig neue Haltung. Schaut man sich das Wahlverhalten näher an, so wird klar: Ein nicht geringer Anteil der Ra’am-Wähler gab der Partei die Stimme, weil man praktische Lösungen für die eigene Gemeinschaft herbeiführen möchte. Man will Veränderungen in den Bereichen Bildung, Wohnungsbau und Wohlfahrt, möchte Themen wie Arbeitslosigkeit lösen, aber auch Gewalt, illegale Waffen und Kriminalität auf der politischen Agenda angegangen wissen.

Realpolitik oder Ideologie?

Dass Ra’am-Wähler Prioritäten setzen, heißt nicht, dass Weltanschauung und Ideologie unter den Tisch fallen, aber sie treten in den Schatten; zumindest einstweilen, so wie es Mansour Abbas mit seiner Umschiffung von fast allen heiklen Themen in den Koalitionsverhandlungen getan hat.

Das hat ihn in den eigenen Reihen zwar einige Federn gekostet, aber er hält bislang den von ihm eingeschlagenen Weg durch. Welche Konstellationen das koalitionstechnisch letztlich annehmen wird, dürfte sich in den nächsten Tagen herausstellen, obschon Mansour Abbas es bestens versteht, die Spannung bis zur letzten Minute aufrechtzuhalten und auch noch zu schüren.

Dass Israels Realität vielleicht doch noch mit Ereignissen aufwarten wird, die Ra’am aus der realpolitischen Schleife zurück auf die ideologischen Grundfesten katapultieren könnte, ist durchaus möglich. Zu bezweifeln ist allerdings, dass der gesellschaftliche Wandel, der sich sowohl in der jüdischen als auch der arabischen Gesellschaft des Landes vollzogen hat, dadurch rückgängig gemacht bzw. null und nichtig werden wird.

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