Wieso Mena-Watch-Herausgeber Erwin Javor angesichts eines Artikels im Newsletter der Wiener Stadtzeitung Falter an den jungen Yossi aus Baden denken musste.
Ich bin ein glühender Fan der Wiener Stadtzeitung Falter. Wirklich. Denn der Falter gehört nicht zu den in vorauseilendem Gehorsam sich duckenden, angepassten Mainstream-Medien, die mich so frustrieren, sondern hat unverdrossen den Mut zu nonkonformistischem Journalismus. Ich habe schon vor Jahren immer wieder öffentlich kundgetan: Solange Armin Thurnher schreiben darf, kann man es in diesem Land aushalten!
Aber das heißt natürlich nicht, dass ich deswegen mit allen Falter-Inhalten konform gehe. Die aktivistische Agenda von Tessa Szyszkowitz zum Beispiel, die schon vor ihrer Zeit beim Falter viele Jahre in verschiedenen Medien offenbar hauptsächlich Israel (oder eigentlich: Anti-Israelisches) im Kopf hatte, brauche ich wirklich nicht. Wie mir scheint, leidet sie an einem fortgeschrittenen Kreisky-Syndrom und verarbeitet vielleicht öffentlich ein persönliches Lebensthema, als Leser finde ich dies aber mehr als entbehrlich.
Im Betreff eines Falter maily, des »fast täglichen Falter-Newsletters«, schrieb Nina Brnada neulich, »Matan will weg«. Sie erzählte von einem jungen Israeli, dem »Freund eines Freundes einer Freundin«, der nach seiner Militärzeit »auf den Spuren seiner Vorfahren, Opfer der Shoa«, Europa bereiste. Er würde »ernsthaft überlegen«, Israel zu verlassen. Die politische Situation sei »unerträglich geworden« und treibe ihn zur Verzweiflung.
Da ist mir die Geschichte vom kleinen Mosche eingefallen, der eifrig alles über Würmer gelernt hatte – und zur Prüfung eine Frage über Elefanten gestellt bekam. Er schluckte kurz und beantwortete die Frage völlig logisch: »Elefanten haben einen wurmartigen Rüssel. Würmer teilt man ein in …«
In anderen Worten: What else is new?
Seit der Existenz Israels gibt es viele traurige Gründe zu verzweifeln: Kriege, Tote, Hass auf Juden, politischer Irrsinn der jeweiligen Regierungen, Terroristen und ihre Raketen und vieles mehr. Generation um Generation wünscht sich nichts sehnlicher als ein normales Leben für sich und ihre Familien, ohne Auseinandersetzungen – zumindest keine kriegerischen und bewaffneten – darüber, ob ihr Land und sie selbst überhaupt das Recht hätten zu existieren. Diese berechtigte Verzweiflung kann man angesichts der aktuellen Regierung in Israel natürlich auch als direkte Folge befürchteter (Fehl-)Entwicklungen im Land einordnen, muss man aber nicht.
Übrigens, hab’ ich Ihnen schon erzählt: Yossi will auch weg! Das ist eine ganz ähnliche Geschichte eines jungen Mannes. Yossi, der Cousin eines Cousins einer Cousine, stand eines Tages wieder einmal vor unserer Tür in Tel Aviv. Oder war’s Ruben, der Sohn eines Enkels einer Tante? Oder Avi, der Neffe des Onkels eines Bruders? Oder Michi, sein Freund und Bruder einer Nichte? Oder alle gemeinsam? Ich kann mich jetzt nicht mehr genau erinnern, diese Geschichten kommen öfter vor.
Jedenfalls, Yossi tauchte wieder einmal bei uns auf, als wir gerade in Israel waren. Er ist ein junger Mann aus Baden, der gerade das Bundesheer in Allentsteig hinter sich gebracht hatte und jetzt auf den Spuren seiner Vorfahren, Israelis der Pionierzeit nach der Staatsgründung, die das Land mit aufbauten, Israel bereiste.
Er überlege, Österreich zu verlassen, erzählte er, weil die politische Situation unerträglich wäre und ihn zur Verzweiflung treibe: Weit und breit KEINE monatelangen, nicht nachlassenden Demonstrationen der Zivilgesellschaft gegen türkis-blaues Kuscheln in den Landesregierungen; keine Erinnerungen an Ibiza oder Donnerstagsdemos gegen Schwarz-Blau; keine Transparente gegen die Gefahr eines »Volkskanzlers« Kickl; keine jungen Leute, die in Zelten vor den Stufen der Landesregierung in St. Pölten oder dem Parlamentsklub der FPÖ in Wien campieren und auf demokratische Werte bestehen.
Yossi ist also verzweifelt. Ruben, Avi und Michi auch. Zu Recht. Sie fragen sich, ob es »die richtige Strategie« war, einfach so weiterzumachen wie bisher, »als wäre nichts gewesen«, »getragen von der Hoffnung, dass die Verhältnisse irgendwann besser werden würden«. Sie und ihre Freundinnen überlegen, Alija zu machen, nach Israel auszuwandern. Als Juden haben sie Anspruch auf die israelische Staatsbürgerschaft. »Ihre Anträge haben sie bereits gestellt.«
Ich kenne die genauen Zahlen nicht, weil viele Juden pendeln, so, wie ich es mache. Da kann man schon einmal den Überblick verlieren, aber alles in allem ist es so, dass die Zahl der Juden in Israel, darunter viele Wiener, steigt und jene in Europa sinkt. Ich versteh’s. Als ich vor ein paar Tagen nach anstrengenden Demonstrationen aus Israel zurück nach Wien gekommen bin und vor meinem Haustor wieder der »Stolpersteine«, die der ermordeten Juden gedenken sollen, gewahr wurde, wäre ich am liebsten gleich wieder in den nächsten Flieger nach Tel Aviv gestiegen. Trotz allem.