Israelischen Geheimdiensten und der Armee lagen Warnungen vor einem Angriff der Hamas vor, die aber als »Fantasie« abgewiesen wurden.
Sobald der Krieg gegen die Hamas vorbei ist, wird in Israel sehr genau untersucht werden, wie es zu dem blutigen Überraschungsangriff am 7. Oktober kommen konnte und warum die hoch gelobten israelischen Geheimdienste von der monatelangen Vorbereitung der Terroristen auf ihren großen Tag nichts mitbekommen haben. Mit ziemlicher Sicherheit wird es eine Untersuchungskommission geben, die unangenehme Fragen stellen und Konsequenzen für die Verantwortlichen haben wird, ähnlich wie die Agranat-Kommission, die das Versagen der Geheimdienste vor dem Jom-Kippur-Krieg 1973 untersuchte.
Doch je mehr Zeit seit dem schrecklichen Angriff der Hamas vergeht, umso deutlicher zeichnet sich ab, dass es sehr wohl Warnungen gegeben hat, diese von den Verantwortlichen offenbar aber nicht ernst oder gar nicht zur Kenntnis genommen wurden. So berichtet die Times of Israel, Mitglieder der Einheit 8200, der für sogenannte Signal-Intelligence zuständigen Eliteeinheit des Militärgeheimdienstes Aman, sollen ihre Vorgesetzten davor gewarnt haben, »dass die Hamas eine hoch organisierte und sorgfältig geplante Masseninvasion in Israel vorbereitet«, doch seien die Warnungen als bloße »Fantasien« abgetan worden.
Kein rotes Licht
Auf Basis einer Vielzahl an geheimdienstlichen Hinweisen und Beobachtungen über ungewöhnliche Trainingsaktivitäten der Hamas drei Monate vor dem 7. Oktober, die unter anderem »Vorbereitungen für eine Masseninvasion an mehreren Einfallspunkten nach Israel« umfassten, hätten Mitglieder der Spezialeinheit vor einem Szenario gewarnt, das jenem des später tatsächlich erfolgten Angriffs sehr ähnelten, deren Vorgesetzte jedoch nichts unternommen hätten. »Sie wurden in Echtzeit informiert«, sagte eine namentlich nicht genannte Quelle aus den Reihen der Einheit gegenüber israelischen Medien. »Es gab so viele Dinge, die ein rotes Licht hätten auslösen müssen.«
Darüber sei der israelischen Armee ein »Terror-Handbuch« in die Hände gefallen, das detaillierte Anweisungen zur Eroberung der israelischen Regionen nahe des Grenzzaunes zum Gazastreifen enthalten habe.
»Das Handbuch beschreibt die Übernahme von IDF-Stellungen, die Eroberung von Kibbuzim und Städten in der Region, die Tötung und Entführung von Bewohnern sowie den Angriff und die Eroberung der drei regionalen Städte Sderot, Ofakim und Netivot. Es wurde beschrieben, wie die Invasion mit Pick-up-Trucks, Motorrädern und Hängegleitern sowie mit Panzerabwehrraketen unter dem Deckmantel des Raketen- und Mörserbeschusses aus dem Gazastreifen durchgeführt werden sollte – exakt so, wie es am 7. Oktober geschah.«
Das Terror-Handbuch sei den zuständigen Entscheidungsträgern in der Armee bekannt gewesen, aber es sei nichts unternommen worden, da man angenommen habe, »dass die Hamas nicht über die operativen Fähigkeiten verfüge, einen solchen Angriff durchzuführen«.