Die ständigen Angriffe der Huthi-Milizen auf die Schifffahrt im Roten Meer beeinträchtigen das internationale Wirtschaftsgeschehen. Ein grenzüberschreitender Handel im gesamten Nahen Osten unter Einschluss Israels könnte zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Handelszone führen.
Kürzlich berichtete Mena-Watch über eines der aufregendsten Friedensprojekte im Nahen Osten: den Güterfernverkehr zwischen Israel und dem Persischen Golf. Zur Erinnerung: Reedereien meiden den Weg per Schiff durch das Rote Meer, weil dort die Huthi-Terroristen den Seeleuten auflauern, um sie zu entführen oder ihre Schiffe mit Raketen zu versenken. Darum werden mehr und mehr Güter im Hafen Jebel Ali in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder im Hafen Mina Salman in Bahrain auf Lkw geladen und dann über Saudi-Arabien nach Jordanien und von dort nach Israel transportiert, wo sie entweder in Haifa wieder auf Schiffe geladen werden oder den Weg nach Ägypten antreten, um von dort aus verschifft zu werden.
Es ist wahrscheinlich, dass kaum einer der beteiligten arabischen und israelischen Kaufleute und Lkw-Fahrer daran denkt, dass er das große Rad des Friedensprozesses anstößt. Gerade darum funktioniert es vielleicht so gut.
Auch das Ende des Kalten Kriegs zwischen dem Westen und dem kommunistischen Ostblock wurde maßgeblich vom Handel vorbereitet. Wenn zwei zum beiderseitigen Vorteil miteinander Geschäfte machen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich an die Gurgel gehen. Darum hätten die Feinde des Friedens ja so gern, dass alle wirtschaftlichen Bande gekappt und Israel isoliert würde.
Den Zusammenhang zwischen Handel und Frieden hat Voltaire im sechsten seiner Briefe über die Engländeranschaulich und amüsant – und, zugegeben, auch mit etwas Ironie – dargestellt: »Werfen wir einen Blick auf die königliche Börse in London, ein Ort, ehrwürdiger als viele Gerichtshöfe, wo die Vertreter aller Nationen sich zum Nutzen der Menschheit treffen. Dort führen der Jude, der Mohammedaner und der Christ gemeinsam Transaktionen durch, als wenn sie alle derselben Religion angehörten, und die Bezeichnung ›Ungläubige‹ geben sie lediglich den Bankrotteuren. Dort vertraut der Presbyterianer dem Wiedertäufer, und der Kirchenmann verlässt sich auf das Wort des Quäkers.«
Die Vision des Shimon Peres
Mit dem grenzüberschreitenden Handel in der MENA-Region unter Einschluss Israels geht ein Teil von Shimon Peres’ Vision in Erfüllung. Der frühere israelische Außenminister, Ministerpräsident und Präsident beschrieb seinen Traum vom Frieden im Nahen Osten 1993 in seinem Buch Die Versöhnung. Der neue Nahe Osten. Das Beispiel der Europäischen Gemeinschaft vor Augen, glaubte Peres daran, dass der zukünftige Nahe Osten zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Handelszone würde, in der Staatsgrenzen die Völker nicht mehr trennen würden.
Der Bau von grenzüberschreitender Infrastruktur im Nahen Osten werde »den diplomatischen Dimensionen der Befriedung vorauseilen und als Katalysator für den gesamten Prozess dienen«, schrieb Peres prophetisch. »Straßen zu bauen, Schienen zu legen, Flugrouten zu bestimmen, Elektrizitätsnetze zu spannen, moderne Kommunikationsverbindungen herzustellen, Öl und Wasser überallhin zu leiten unter dem Aspekt wirtschaftlicher und nicht politischer Logik, Produktion und Dienstleistungen mit elektronischer Datenverarbeitung zu steuern – all dies wird neues Leben in den Nahen Osten bringen, so wie die Adern im menschlichen Körper dessen physische Existenz ermöglichen.«
Da viele Maßnahmen internationale Kooperation benötigten, werde »der Friedensprozess auf eine höhere Stufe gehoben«. Die Etablierung regionaler Institutionen werde »ein friedensstabilisierender Faktor werden, um Investitionen von außerhalb der Region anzuziehen und zum Vorteil aller Menschen im Nahen Osten die Weiterentwicklung zu fördern«. Im Laufe der Geschichte, so Peres, sei der Nahe Osten »immer ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt« gewesen. »Durch ihn verliefen die Straßen von Ost nach West und von Nord nach Süd.«
Kriege und Konfrontationen im 20. Jahrhundert hätten »die Freisetzung des enormen Potenzials, das in seiner geografischen Lage steckt«, verhindert. »Die Konfrontation erforderte Abgeschlossenheit, sowohl aus Verteidigungsgründen wie auch als Ergebnis der psychologischen Entfremdung zwischen den Feinden. Dagegen bedeutet der Friede Offenheit und Öffnung. Nur unter Friedensbedingungen verwandeln sich die Grenzen von militärischen Barrieren zwischen Staaten in offene Grenzen zwischen den Menschen.«
Mehr und mehr Wirklichkeit
Dies wird im Zuge der Abraham-Abkommen mehr und mehr Wirklichkeit. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit gedeiht, und seit 2020 zählten die Vereinigten Arabischen Emirate mehr als eine Million Besucher aus Israel.
Doch manches, das Peres sich in seiner Friedensvision des Nahen Ostens vorstellte, ging, bislang zumindest, nicht in Erfüllung. Der Gazastreifen hätte nach Peres’ Vorstellung ein wirtschaftlicher und logistischer Knotenpunkt mit einer boomenden Tourismusindustrie werden sollen. Vor drei Jahrzehnten schrieb er: »Bislang ist der Hafen von Gaza nichts anderes als ein lokaler kleiner Fischerhafen, und dies spiegelt das Schicksal des gesamten Gaza-Streifens wider. Unter Friedensbedingungen könnte dieser Hafen prosperieren und vielen Tausend Familien in Gaza Arbeit und Brot verschaffen.«
Der Hafen müsse »mit moderner Technologie ausgerüstet werden«, so Peres, »um ihn in einen der leistungsfähigsten Häfen des Mittelmeers zu verwandeln«. »Die Waren, die in ihm umgeschlagen werden, würden die wirtschaftliche Revolution symbolisieren, die die ganze Region, vor allem die Palästinenser, erwartet. Selbstverständlich würde Gaza mit seinem großen Hafen auch ein Knotenpunkt für Schiene und Straße werden, ein regionales Fischereizentrum und damit ein Anziehungspunkt für Kapital aus der ganzen Welt.«
Noch seien in dem »dichtbesiedelten, vernachlässigten Streifen« die »Gesundheits- und Hygienebedingungen unter aller Würde« und für die Bewohner gebe es keine Erwerbsquellen. Sie seien »seit langen Jahren die Geiseln des Konflikts und von Geburt an dazu verdammt, in Mangel, Not und Demütigung zu leben«. Das werde sich ändern: »Dieser Gaza-Steifen wird wieder aufblühen, und seine Bewohner werden in Wohlstand und Würde leben. Mit seinem herrlichen Strand könnte sich Gaza auch in ein wichtiges Touristenzentrum verwandeln. In dem neuen Hafen könnte eine Marina für Jachten angelegt werden.«
Die Hamas hat andere Prioritäten
All dies ist nicht geschehen, denn die Hamas und ihre Herren in Teheran hatten andere Pläne. Ein schönes Leben wollen die in Luxushotels in Doha lebenden Hamas-Führer nur für sich selbst. Dem Wohl ihrer Mitmenschen hingegen ist am besten gedient, wenn man sie auf dem schnellsten Weg als »Märtyrer« in den Tod expediert: »So wie unsere Feinde das Leben lieben, lieben wir den Tod«, lautet das Motto.
Jeder »Märtyrer« wird gefeiert wie in Israel oder anderswo in der Welt Geburten und Hochzeiten. Statt Wohlstand für alle will die Hamas ein nie endendes Blutbad. Hamas-Führer Isamil Haniyeh sagte am 26. Oktober im Fernsehen: »Das Blut der Frauen, Kinder und Alten […] wir sind diejenigen, die dieses Blut brauchen, damit es in uns den revolutionären Geist weckt, damit es bei uns die Entschlossenheit weckt.«
Als Israel sich 2005 vollständig aus dem Gazastreifen zurückzog, hinterließen die Israelis Tausende von intakten Gewächshäusern, die dem Gazastreifen hätten helfen können, zu einem der größten Obst- und Gemüseexporteure der Mittelmeerregion zu werden. Was taten die Palästinenser im Gazastreifen? Sie zerstörten die Gewächshäuser.
Dann putschte 2007 die Hamas. Ressourcen flossen nur noch in den Luxussektor für die Oberschicht, vor allem aber in die Infrastruktur des Todes. Pro Monat wurden zehn Kilometer Tunnel fertiggestellt, insgesamt über siebenhundert Kilometer – ausgestattet mit Küchen, Kommunikationsnetzen, Elektrizität und sanitären Einrichtungen. Aber nicht für die Zivilbevölkerung bestimmt, wie Mousa Abu Marzouk, Mitglied des Politbüros der Hamas, noch im Herbst betonte, sondern nur für die Terroristen. Alles dient dem Krieg und dem Ziel der Vernichtung Israels. Es erinnert an Erich Kästners Vers: »Was man auch baut – es werden stets Kasernen.«
Da ging sie hin, die Idee von Frieden und Wohlstand. Zumindest im Gazastreifen. Die Hamas hatte andere Prioritäten. Doch richtet man den Blick auf den größeren Nahen Osten, einschließlich der Golfregion, dann sieht man, dass Shimon Peres ein großer Realist war: Die Wirklichkeit des Friedens, die sich heute Schritt für Schritt einstellt, konnte er schon vor dreißig Jahren vor seinem geistigen Auge sehen.
Literatur:
Shimon Peres: Die Versöhnung. Der neue Nahe Osten, Berlin 1993
Voltaire: Lettres sur les Anglais, Cambridge 2014