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Türkische Gemeinderatswahlen: Der wahre Gewinner ist nicht die Opposition

Türkische Gemeinderatswahlen: Der wahre Gewinner ist nicht die Opposition„Als die Umfragen zeigten, dass seine Partei hinterherhinkt, hielt Erdogan sich an sein übliches Drehbuch: Verteufelung seiner Gegner, Dominanz in Funk und Fernsehen, Schuldzuweisung an Ausländer und das Spielen der Religionskarte. Es war eine Wahl darüber, wer die Straßen pflastert, die Gehsteige fegt und sich um die Parks kümmert, aber die AKP versuchte, Raqqa, Mekka und Gaza zum Thema zu machen. Kein Wunder, dass das bei den Wählern nicht angekommen ist.

Ob Erdogans AKP die Ergebnisse bestehen lässt, bleibt abzuwarten. Die Partei hat ihre Niederlage in Istanbul noch nicht eingestanden, und es gibt Grund zur Sorge, dass sie es nicht tun wird. Es ist ein unheilvolles Zeichen, dass Erdogan die Idee einer Wiederholung der Wahlen in Istanbul ins Spiel gebracht hat, nachdem der Antrag der AKP auf eine Neuauszählung aller ungültigen Stimmen den Vorsprung des siegreichen Oppositionskandidaten nicht wettgemacht hat.

Lokalregierungen sind das Lebenselixier der AKP. Im Jahr 2018 betrug das Budget der Metropole Istanbul 42,6 Milliarden Lira (8,85 Milliarden Dollar), mehr als 6 Prozent des Staatshaushalts. Auch andere Metropolen sind bemerkenswert wohlhabend: Die Metropolregion Ankara zum Beispiel verfügt über ein Budget von 14 Milliarden Lira (etwa 2,5 Milliarden Dollar) … Der Verlust der Kontrolle über Städte wie Istanbul und Ankara könnte für Erdogan verheerend sein, da sie für seine politische Maschine von entscheidender Bedeutung sind. (…)

Der eigentliche Gewinner der Niederlage von Erdogan wird jedoch nicht die Opposition sein, sondern der Juniorpartner seiner Regierungskoalition, Devlet Bahcelis Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Zu ihr sind die kulturell konservativen, einkommensschwächeren Wähler des anatolischen Kernlandes übergelaufen, als sie Auswirkungen der türkischen Wirtschaftskrise zu spüren bekamen, für die Erdogan und seine Partei maßgeblich verantwortlich sind.

Durch sein Bündnis mit Erdogan machte Bahceli das Programm seiner Partei zur offiziellen Politik Ankaras. Das Durchgreifen der Regierung gegen Rechte und Freiheiten, ihr harter Umgang mit den Kurden und ihre Abkehr vom Westen spiegeln die sicherheitszentrierte Agenda der MHP, ihre ultranationalistische Identität und ihre kriegerische Rhetorik wider. Bahceli ist nicht an der Macht, aber seine Ideen sind es. (…)

Obwohl die Siege der säkularen Opposition bedeutsam sind, ist ihr Erfolg bescheidener als allgemein angenommen. Im Vergleich zum Gesamtergebnis von 2014 verlor die AKP dieses Jahr die Macht in 42 Gemeinden, während die prokurdische Demokratische Partei der Völker 19 verlor. Die säkulare Republikanische Volkspartei und die nationalistische Iyi-Partei hatten zusammen einen Nettogewinn von 30 Gemeinden (17 bzw. 13). Der größte Gewinner am Sonntag war nicht die Opposition – es war Bahceli. Er setzte sich nicht nur gegen Aksener [von der Iyi-Partei] durch, sondern erzielte auch einen Nettogewinn von 40 Gemeindeparlamenten, mehr als die gesamte Opposition zusammen.

Der Sieg Bahcelis ist, was wirklich zählt, denn er hat Erdogan nun in eine schwierige Lage gebracht. Der Präsident kann nicht mehr zu seinen ehemaligen Verbündeten, den Gülenisten und Kurden, zurückkehren, und selbst wenn er das täte, wären sie für ihn von geringem Nutzen, da sie bei weitem nicht mehr so viel Macht haben wie früher. (…) Da er sich an niemanden sonst mehr wenden kann, ist Erdogan mit Bahceli gefangen.“ (Selim Sazak: „Erdogan’s Worst Enemy Is His Only Ally“)

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