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Prozess gegen IS-Rückkehrerin:Terroristin oder treusorgende Mutter?

Das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg
Das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg (© Imago Images / Hoch Zwei/Angerer)

Diese Frage will das Hanseatische Oberlandesgericht nun klären. Dabei steht auch der Anwalt der IS-Rückkehrerin im Blickpunkt. 

Von Birgit Gärtner und Saïda Keller-Messahli

Von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt begann am vergangenen Montag vor dem 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) der Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Omaima A., der von der Generalbundesanwaltschaft die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation vorgeworfen wird. Ihr Anwalt Tariq Elobied – in salafistischen Kreisen kein gänzlich unbekannter Rechtsbeistand – hingegen behauptet, sie sei in Raqqa nur ihren Mutterpflichten nachgekommen. Im Juni 2020 wird voraussichtlich das Urteil gesprochen werden.

Treusorgende Ehefrau oder aktive IS-Unterstützerin?

Die IS-Unterstützerin Omaima A. konnte im Januar 2015 unbehelligt ins IS-Kalifat aus- und im September 2016 wieder nach Deutschland einreisen, obwohl ihre Familie bereits 2012 ins Visier des Verfassungsschutzes geraten war. Erst durch die Recherchen der libanesischen Journalistin Jenan Moussa wurde der Fall im Frühsommer 2019 bekannt, Omaima A. im September 2019 schließlich verhaftet und in Untersuchungshaft genommen.

Im März 2020 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage, nun soll in 13 Gerichtstagen ermittelt werden, welche Rolle die Deutsch-Tunesierin in Raqqa spielte: War sie nur treusorgende Ehefrau des ranghöchsten deutschen IS-Anhängers Denis Cuspert alias Deso Dogg oder aktive Unterstützerin ihres prominenten Ehemannes?

Die Generalbundesanwaltschaft wirft ihr zudem „Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht“ vor, weil sie ihre Kinder mit in das Gefahrengebiet nahm und dadurch deren körperliche und psychische Entwicklung gefährdete.

Per E-Mail soll sie Frauen in Deutschland aufgefordert haben, sich ebenfalls der Terrororganisation anzuschließen. Außerdem muss sie sich wegen „Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft zulasten eines Kindes unter 14 Jahren“ verantworten, weil in dem Haushalt eine minderjährige Jesidin als Sklavin gehalten worden sein soll. Das bestreitet ihr Anwalt indes.

„Sie habe ihre Kinder betreut und den Haushalt geführt, erklärte der Anwalt Tarig Elobied vor dem 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Das sei ihre Pflicht gewesen. Die Anklage wolle aus politischen Motiven jeden Aufenthalt im früheren IS-Gebiet kriminalisieren. Auch habe die 35-jährige Deutsch-Tunesierin keine Sklavin gehalten.“

Salafisten-Solidarität

Die treusorgende Ehefrau und Mutter firmierte nach ihrer Rückkehr aus dem IS-Kalifat in Hamburg als Übersetzerin und Eventmanagerin, die Burka tauschte sie gegen modische Outfits, das lange Haar ließ sie elegant über die Schultern fallen.

Nichts deutete daraufhin, dass die junge Frau aus der Zentrale der Macht des IS kam und mit dem ranghöchsten deutschen Funktionär der Terrororganisation verheiratet war. Fast nichts, denn wenn die zuständigen Behörden sie auf dem Schirm gehabt hätten, dann wäre ihnen vermutlich aufgefallen, dass sie auf der Facebook-Seite von „Ansaar International“ kommentierte. Das war dem Material zu entnehmen, das Jenan Moussa der Hamburger Staatsanwaltschaft präsentierte.

Omima A. avisierte Sachspenden, was zunächst völlig unverdächtig ist. Brisant ist nur, dass sie diese einer Organisation aus dem salafistischen Spektrum zukommen lassen wollte, der vom Bundesinnenministerium vorgeworfen wird, die HAMAS zu unterstützen. Das wird seitens „Ansaar International“ indes bestritten.

Kein unbeschriebenes Blatt

Dass sie nicht ganz so harmlos ist, wie ihr Anwalt Tarig Elobied tut, dafür steht vor allem allerdings er selbst. Denn der Berliner Strafverteidiger ist kein x-beliebiger Jurist, der zufällig an seine Angeklagte kam, sondern offenbar in salafistischen Kreisen so bekannt und beliebt, dass der islamistische „Gefangenenbetreuer“ Bernhard Falk ihn ausdrücklich lobt und empfiehlt.

Bernhard Falk beobachtete seinerzeit auch den Prozess gegen Murat K., einen Salafisten aus Hessen, der 2012 wegen versuchten Polizistenmordes angeklagt war, weil er bei einer Demonstration gegen eine Kundgebung der rechtsextremen „PRO NRW“ gegen die Bonner “König-Fahd-Akademie” zwei Polizeibeamte mit einem Messer schwer verletzte. Denis Cuspert adelte Murat K. seinerzeit als „Löwen“, Omaima A. eröffnete ein Spendenkonto für den „Bruder“, an dem „die Tawaghit [Feinde Mohammeds, Anm. Mena-Watch] ein Exempel statuieren“ wollen.

Außerdem war der Verteidiger Tarig Elobied als Anwalt auf der Webseite der Organisation „Al Asraa – die Gefangenen“ gelistet. Diese Webseite ist unterdessen vom Netz genommen, das Facebookprofil der Organisation stillgelegt, jedoch existiert im Webarchiv ein Nachweis. Zu „Al Asraa“ schreib der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in seinem Bericht 2018:

„Die salafistische Vereinigung Al Asraa – Die Gefangenen, welche im Jahre 2015 erstmalig namentlich in sozialen Netzwerken auftauchte, hat sich auf die Betreuung von inhaftierten Muslimen und ihren Angehörigen spezialisiert. … Das Aufgabenfeld der Vereinigung lässt sich in fünf Tätigkeitsfelder gliedern:

► persönliche Besuche inhaftierter Muslime
► Betreuung und Unterstützung von inhaftierten Muslimen und deren Angehörigen
► Prozessbeobachtung vor Gericht und Berichterstattung über das vermeintliche „Leid“ muslimischer Gefangener
► Interaktive Kommunikation in sozialen Netzwerken und
► Schaffung einer besseren Vernetzung innerhalb der salafistischen Szene. Inhaftierte und ihre Angehörige werden in Deutschland durch „seelische“ und finanzielle Zuwendungen unterstützt. Diese Zuwendungen erfolgen vorwiegend durch das Versenden von handgeschriebenen Briefen, selbstgemalten Bildern – auch von Kindern – oder Büchern von islamistischen Ideologen an Inhaftierte. Daneben werden sogenannte „Patenschaften“ vermittelt, um einen dauerhaften persönlichen Kontakt zu Inhaftierten aufzubauen.

Insbesondere die öffentliche Berichterstattung über das vermeintliche „Leid“ muslimischer Gefangener sowie über den Verlauf von Gerichtsprozessen nehmen einen hohen Stellenwert in der Öffentlichkeitsarbeit von Al Asraa – Die Gefangenen ein. Als Begründung für die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen wird öffentlich erklärt, dass diese „Arbeit“ eine „religiöse Verpflichtung“ darstelle, die mit der Hoffnung „auf den Lohn bei Allah“ verbunden sei. Über soziale Netzwerke findet ein interaktiver Austausch mit potentiellen Unterstützern und Spendern statt. (…)

Die Vereinigung Al Asraa – Die Gefangenen versucht, durch Aufrechterhaltung des Kontaktes zu muslimischen Gefangenen diese und ihre Angehörigen in der salafistischen Szene zu binden. Personen sollen von dem salafistischen Gedankengut überzeugt oder in ihrer bereits vorhandenen extremistischen Überzeugung gefestigt werden. Hierbei wird auf Zitate und Quellen der salafistischen und der jihadistischen Ideologie zurückgegriffen und in sozialen Netzwerken veröffentlicht.

Eine kritische Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Inhaftierung oder den Gerichtsurteilen findet nicht statt. Für Al Asraa – Die Gefangenen ist nur die „religiöse Ausrichtung“ eines Menschen relevant. Wer nach diesen Vorstellungen „wahrhaft muslimisch“ ist, gehört zur Gemeinschaft und muss vor „schädlichen“ Einflüssen bewahrt werden.

Inhaftierte Muslime werden glorifiziert und daraus schlussfolgernd als wahre Muslime präsentiert, die nur aufgrund ihres „Glaubens“ große Ungerechtigkeiten in und durch Gefangenschaft erleiden müssen. Im Betreuungsspektrum sind durchweg nur inhaftierte Straftäter aus der extremistisch-salafistischen Szene anzutreffen.“

Salafisten-Verteidiger

Dass Tarig Elobied von „Al Asraa – die Gefangenen“ empfohlen wurde, lässt sich also belegen. Ebenfalls, dass der ebenfalls von „Bruder“ Bernhard Falk gelobte Anwalt Ali Aydın gemeinsam mit Seda Basay-Yıldız eine Angeklagte namens Jennifer W. vertrat, die ebenfalls IS-Rückkehrerin ist. Ihr wird vorgeworfen zugelassen zu haben, dass ihr Mann, ein IS-Kämpfer, ein „fünfjähriges jesidisches Mädchen, das als Sklavin im Haus lebte“ in der Sonne ankettete und verdursten ließ. „Auch Ali Aydın war bei „Al Asraa – die Gefangenen“ als Anwalt gelistet.

2018 vertrat Tarig Elobied gemeinsam mit Ali Aydın vier junge Männer in einem Verfahren, in dem ihnen vorgeworfen wurde, in IS-Gebiet ausreisen zu wollen, um sich dort „an Waffen und Sprengstoff ausbilden zu lassen“. Der Berliner Morgenpost zufolge soll Emrah C., den Tarig Elobied in dem Verfahren verteidigte, „im Dschihadisten-Treff der Moabiter Fussilet-Moschee […]eine führende Rolle gespielt haben.“ In besagter Moschee verkehrte auch Anis Amri, der als Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz gilt. Bei dem Terroranschlag mit einem LKW kamen am 19. Dezember 2016 elf Besucherinnen und Besucher des Weihnachtsmarktes um, 55 weitere wurden verletzt. Der Fahrer des LKW wurde erschossen.

Die Fussilet-Moschee spielt auch in einem anderen Verfahren eine Rolle, bei dem Tarig Elobied ebenfalls als Verteidiger auftritt. Dem 31jährigen Magomed-Ali C. wurde vorgeworfen, einen Sprengstoffanschlag – möglicherweise auf das Berliner Einkaufszentrum „Gesundbrunnen-Center“ – geplant zu haben; gemeinsam mit einem weiteren Islamisten namens Clément B., der in Frankreich angeklagt wurde. Auch Anis Amri soll „für einige Wochen im Oktober 2016 dabei gewesen sein“. Magomed-Ali C. soll „zum inneren Kreis der drei Anführer“ der berüchtigten Moschee gehört haben.

Selbstverständlich kann es Zufall sein, dass Mandantinnen und Mandanten aus dem salafistischen Milieu sich ausgerechnet an Verteidiger Tarig Elobied wenden, das dieser von „Bruder“ Bernhard Falk empfohlen wird und er wieder rein zufällig das Mandat für die treusorgende Hausfrau Omaima A. erhielt. Möglicherweise ist das aber auch ein Indiz dafür, dass in Deutschland eine gut vernetzte salafistische Szene existiert, die auf die Unterstützung bürgerlich wirkender Anwälte bauen kann – die genauso wenig harmlos sind wie ihre Mandantschaft.

Mehr zum Thema auf Mena-Watch: Deutsche Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen IS-Rückkehrerin

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