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»Amerika sitzt auf Pulverfass in Syrien«

Die USA haben noch rund 900 Soldaten in Syrien stationiert
Die USA haben noch rund 900 Soldaten in Syrien stationiert (© Imago Images / ZUMA Wire)

Im Nordosten Syriens eskalieren seit Jahren immer wieder aufkochende ethnische und soziale Spannungen zu blutigen Kämpfen zwischen den kurdischen SDF und arabischen Stammesmilzen.

Wäre es nach dem Willen des damaligen Präsidenten Donald Trump gegangen, hätten die US-Truppen Syrien längst verlassen. Als Trump 2018 spontan anordnete, die amerikanische Präsenz im Nordosten Syriens zu beenden, war dies eine Hiobsbotschaft für Amerikas kurdische Alliierte in der Region. Sie befürchteten eine türkische Invasion und das Ende der autonomen Region Rojava.

Durch Druck aus dem Verteidigungsministerium ließ sich der Präsident doch noch umstimmen. Vielleicht waren es auch die syrischen Ölquellen, die ihn letztlich überzeugten, ein paar hundert Soldaten im Land zu belassen. In einem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan betonte Trump jedenfalls, wie sehr es bei dem Einsatz ums Erdöl gehe: »Wir behalten das Öl, wir haben das Öl, das Öl ist sicher, wir haben Truppen nur für das Öl zurückgelassen.«

Dass die Beschlagnahme von Öl auf fremdem Territorium ohne die Erlaubnis der souveränen Regierung einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt, interessierte Trump nicht. Beamte des Verteidigungsministeriums stellten indes rasch klar, dass die USA die Ölquellen nicht ausbeuten, sondern vor der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) schützen würden, damit diese nicht vom Verkauf des Erdöls profitieren könne.

Tatsächlich sind die Ölquellen in Syrien bei Weitem nicht so ertragreich wie im Nachbarland Irak, wo im Jahr 2009 britische und chinesische Firmen sowie ein russisch-norwegisches Konsortium die von Bagdad vergebenen Förderlizenzen ersteigerten. Dennoch: Wer das Öl besitzt, kann auch in Syrien mit ständigen Einnahmen rechnen.

Die amerikanischen Truppen stellen mit ihrer Präsenz sicher, dass dieses Geld weder an den IS noch an das Assad-Regime, sondern an die Verwaltung der autonomen Region Kurdistan fließt. Dadurch stärken sie ihre Alliierten und schwächen die Regierung in Damaskus. Diese steckt in einer verheerenden Wirtschaftskrise und würde das Öl dringend brauchen, wie die seit Wochen andauernden Proteste gegen die vom Regime erhöhten Benzinpreise zeigen.

Aufmarschgebiet und Durchzugsland

Derzeit sind etwa 900 US-Soldaten in Syrien stationiert. Sie und ihre kurdischen Partner bilden eine Partei im Machtkampf um Syrien, der von den USA, Russland und dem Iran ausgefochten wird. Für alle drei ist das Land von großer strategischer Bedeutung.

Für Russland ist es ein Brückenkopf für seine Militärpräsenz im Nahen Osten, der syrische Hafen Tartus zudem der einzige Mittelmeerhafen der russischen Marine. Für den Iran ist Syrien ein wichtiges Verbindungsstück in seiner »Achse des Widerstands«, die von Teheran über Bagdad bis in den Libanon und nach Palästina reicht.

Die USA wiederum wollen diesen geopolitisch bedeutsamen Raum nicht ihren Gegnern überlassen. Da aber sowohl Barack Obama als auch – und noch viel mehr – dessen Nachfolger Trump einen umfangreichen Militäreinsatz in Syrien ablehnten, brauchten die USA Verbündete. Nachdem Versuche, mit arabischen Rebellen zu kooperieren, scheiterten, setzen die USA seit 2014 auf die Kurden, die sie durch Trainings und Waffenlieferungen zu schlagkräftigen Partnern gemacht haben.

Von besonderem Interesse für die USA und den Iran ist die Grenzregion zwischen dem Irak und Syrien. Ein strategisch wichtiger Grenzübergang ist Al-Qa’im, der zwischen der syrischen Stadt Al-Bukamal und dem irakischen Al-Qa’im liegt und die beiden Hauptstädte Damaskus und Bagdad miteinander verbindet. Dieser Übergang wird von schiitischen Milizen kontrolliert, was Teheran ermöglicht, ungehindert Personal und Waffen aus dem Irak nach Syrien zu verschieben.

Diese Bewegungsfreiheit von irantreuen Milizen wollen die USA einschränken. Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen Drohnen- und Luftschläge zu sehen, die von US-Truppen und gelegentlich auch von Israel in der Grenzregion geflogen werden.

Nun wollen die USA ihre Gangart gegen den Iran offenbar verschärfen: Obwohl das Pentagon es bisher bestritten hat, häufen sich seit Mitte August Meldungen in arabischen Medien, wonach amerikanische Truppen an der Straße zwischen Al-Bukamal und Al-Qa’im stationiert wurden, um die Landroute vom Irak nach Syrien für den Iran zu blockieren.

Kämpfe zwischen Kurden und Arabern

In der Zwischenzeit geraten die mit den USA verbündeten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) weiter unter Druck. Ende August brachen in der nordöstlichen Provinz Deir ez-Zor Kämpfe zwischen den kurdisch geführten SDF und arabischen Stammesmilizen aus. Ein SDF-Sprecher beschuldigte Teheran und Damaskus, die arabischen Milizen zu entsenden, um im Nordosten Syriens, wo die meisten der fast 900 US-Soldaten stationiert sind, Unruhen und Revolten zu entzünden.

Die Stammesführer wiederum erklärten, die Zusammenstöße seien ausgebrochen, weil sie sich um ihren Ölreichtum betrogen fühlen. Denn die Ölquellen seien nach Abzug des IS von Amerika bzw. in weiterer Folge von den SDF übernommen worden. Außerdem beklagten sie, dass ihre Gebiete zugunsten der mehrheitlich kurdisch bewohnten Regionen infrastrukturell vernachlässigt würden. Anfang September weiteten sich die Kämpfe von Deir ez-Zor in die benachbarte Provinz Al-Hassakeh aus und erreichten die westlich gelegenen Provinzen Raqqa und Aleppo.

In einem Interview mit dem Online-Magazin Al-Monitor gestand der Oberkommandierende der SDF, Mazlum Kobane, Defizite bei der Bereitstellung von kommunalen Dienstleistungen in arabisch besiedelten Gebieten ein. Ebenso gebe es Probleme im Justizapparat und mit der Sicherheit. Kobane stellte in Aussicht, diese gemeinsam mit Stammesführern und Akteuren der Zivilgesellschaft lösen zu wollen, sobald die Ruhe wiederhergestellt sei.

Gefragt nach den Vorwürfen, die Kurden hätten das Öl der Araber gestohlen, meinte Kobane, der Brennstoffbedarf der lokalen Bevölkerung werde damit weitgehend gedeckt. Bezüglich der Verteilung und Förderung des Öls gebe es Abkommen mit den Stammesführern. Hier sei jedoch die Konkurrenz zwischen den Stämmen groß, jeder wolle in das Erdölgeschäft einsteigen. Insgesamt sehe er aber ein, dass der Handel besser reguliert werden müsse.

Derzeit sieht dieser Handel wie folgt aus: Etwa die Hälfte des Erdöls wird in Dieselkraftstoff umgewandelt und zu subventionierten Preisen an die lokale Bevölkerung verteilt. Wie viel davon an die kurdische und wie viel an die arabische Bevölkerung geht, ließ Kobane offen. Der Rest des Öls werde an die Rebellen in der Provinz Idlib und an das Regime verkauft.

Amerika sitzt auf einem Pulverfass

Für Aron Lund von der Denkfabrik Century International spielen bei der Eskalation weniger ethnische Konflikte eine Rolle als vielmehr soziale und politische Spaltungen sowie intensiver ausländischer Druck: »Die Vereinigten Staaten, die Türkei und die Regierung in Damaskus, die von Russland und dem Iran unterstützt wird, mischen sich auf vielfältige Weise politisch und anderweitig ein. Hinzu kommt natürlich [der IS], der sich immer in Spannungsgebieten aufhält und nach rekrutierbaren Unzufriedenen Ausschau hält.«

 Lund geht davon aus, dass die SDF mit ihren verbliebenen arabischen Verbündeten militärisch stark genug sind, um sich durchzusetzen. Eine ausländische Einmischung – sei es von Ankara, Teheran oder Moskau – könnte dieses Gleichgewicht aber zum Kippen bringen: »Es ist keine stabile Situation.«

Joshua Landis, Direktor des Zentrums für Nahost-Studien an der Universität von Oklahoma, geht davon aus, dass die USA nicht in der Lage sein werden, auf Dauer die nationalen Ambitionen der Kurden und der arabischen Bevölkerung unter einen Hut zu bringen. Hinzu komme, dass alle Nachbarstaaten Syriens, mit Ausnahme Israels, die USA loswerden wollten. »Sie werden auf dieses Ziel hinarbeiten, indem sie die ethnischen Spannungen verschärfen und den Wunsch der arabischen Stämme schüren, über das Euphratbecken und Deir ez-Zor zu herrschen, um mehr von den Öleinnahmen zu erhalten«, so Landis. »Amerika sitzt auf einem Pulverfass.«

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