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Wenn sich Antisemitismus lohnt

Reza Afisina (4. v. li.) und Iswanto Hartono (2. v. re.) aus dem Documenta-Kuratorenteam Ruangrupa
Reza Afisina (4. v. li.) und Iswanto Hartono (2. v. re.) aus dem Documenta-Kuratorenteam Ruangrupa (© Imago Images / Hartenfelser)

Der Antisemitismusskandal auf der documenta hat dem künstlerisch verantwortlichen Kollektiv Ruangrupa nicht geschadet, im Gegenteil: Zwei Mitglieder erhielten sogar eine Gastprofessur in Hamburg. Dagegen richtet sich nun Protest, doch ob dieser Folgen haben wird, ist mehr als fraglich.

Wer die Berichterstattung und die medialen Diskussionen über die antisemitischen Exponate auf der Kunstschau documenta verfolgt hat, wird vielleicht den Eindruck gewonnen haben, dass es doch eine recht einmütige Ablehnung der betreffenden Werke gab, die Verantwortlichen vielfach deutlich kritisiert wurden und die künstlerische Leitung, die der indonesischen Künstlergruppe Ruangrupa übertragen worden war, sich gründlich selbst diskreditiert hat. Kurz: dass die documenta am Ende und gescheitert ist und es sie in dieser Form künftig gewiss nicht mehr geben wird.

Doch man sollte sich nichts vormachen: Personelle Konsequenzen gab es lediglich in Form des späten Rücktritts der documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann; eine Kürzung oder gar Einstellung der öffentlichen finanziellen Förderung ist nie ernsthaft diskutiert worden. Die Kunstschau wurde nicht vorzeitig beendet, und entfernt wurde nur das Schlachtengemälde »People’s Justice«, auf dem Juden als Nazis und Schweine dargestellt sind. Alle anderen antisemitischen Exponate wurden weiterhin gezeigt und allenfalls »kontextualisiert«, was so viel hieß wie: verharmlost und zu einem Problem der Rezipienten gemacht, die alles bloß falsch verstünden.

Die documenta war ein antizionistischer Frontalangriff, und dass sie das werden würde, stand schon ein halbes Jahr vor der Eröffnung fest. Damals hatte das Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus offengelegt, dass Sympathisanten der antisemitischen BDS-Bewegung an entscheidenden Stellen der documenta mitwirken: in der Findungskommission, in der künstlerischen Leitung, im künstlerischen Team, in Künstlergruppen. Und weil niemand einschreiten mochte, kam es, wie es kommen musste: Wo man BDS gewähren lässt, kommt Antisemitismus heraus, das hat sich nicht erst in Kassel gezeigt. Israel sollte als Kolonialmacht präsentiert werden, als brutaler Unrechtsstaat. Der jüdische Staat wurde in schriller Form dämonisiert und delegitimiert.

Proteste bei der Semestereröffnung

Widerspruch dagegen wurde abgewimmelt, auch jener des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der Ausstellung, das von den Gesellschaftern der documenta mit der Aufarbeitung der antisemitischen Inhalte betraut worden war. Als »Rassismus« und »Zensur« bezeichneten Ruangrupa und andere Künstler die Stellungnahme der Wissenschaftler. »Widerstand gegen den Staat Israel« sei »Widerstand gegen den Siedlerkolonialismus, Apartheid, ethnische Säuberung und Besatzung«, hieß es in einem Statement. Der »antikoloniale Kampf« der Palästinenser sei auf der documenta in vielen Werken thematisiert worden, »weil die transnationalen antikolonialen Kämpfe historisch miteinander verbunden« seien.

Ruangrupa ließ zum Ende der documenta also noch einmal besonders deutlich werden, warum die Kritik an der Ausstellung und ihrer künstlerischen Leitung vollauf berechtigt war und es keineswegs nur »Antisemitismusvorwürfe« waren, die gegen die Gruppe vorgetragen wurden, sondern belegte Tatsachen und gute Argumente.

Doch das führte keineswegs zu einer Distanzierung der Kulturszene zu Ruangrupa, ganz im Gegenteil: An der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK) erhielten zwei ihrer Mitglieder eine Gastprofessur, nämlich Reza Afisina und Iswanto Hartono. Beide haben unter anderem den stramm antizionistischen Aufruf »A Letter Against Apartheid« unterschrieben, in dem Israel als »Apartheidsystem« bezeichnet wird; zudem werden dem jüdischen Staat »Kolonialismus«, »ethnische Säuberungen« und »Verbrechen gegen die Menschheit« vorgeworfen.

Bei der Semestereröffnung gab es dann auch Proteste. Kritiker verteilten Flugblätter mit dem Titel »Antisemitismus ist keine Kunst« an die etwa dreihundert Gäste. HfbK-Präsident Martin Köttering musste sich während seiner Rede mehrmals Widerspruch in Form von Zwischenrufen anhören, etwa, als er sagte, Antisemitismus habe an der Hochschule keinen Platz, und die beiden Gastprofessoren seien keine Antisemiten. Als höflich in der Form, aber deutlich in der Sache charakterisierten Spiegel und Süddeutsche Zeitung den Protest. Köttering überließ den Protestierenden schließlich das Mikrofon, ein ursprünglich vorgesehener weiterer Redner kam nicht mehr zum Einsatz, die Veranstaltung wurde abgebrochen.

»Wir sind keine Schweine«

Auch Mitglieder der Hamburger Bornplatzsynagoge veranstalteten eine Protestaktion unter dem Motto »Wir sind keine Schweine«. Vor der Hochschule für bildende Künste demonstrierte unter anderem der Landesrabbiner Shlomo Bistritzky. Gemeinsam mit anderen forderte er, dass die an Reza Afisina und Iswanto Hartono erteilten Gastprofessuren zurückgezogen werden. In der kommenden Woche werde er sich mit HfbK-Präsident Köttering zum Gespräch treffen, sagte der Rabbiner zur Jüdischen Allgemeinen. Auch Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg, plädierte dafür, den beiden Ruangrupa-Mitgliedern den Lehrauftrag zu entziehen.

Auf »völliges Unverständnis« stieß die Nominierung von Afisina und Hartono als Gastprofessoren beim Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zumal die Berufung mit Steuermitteln finanziert werde. Stefan Hensel, der Antisemitismusbeauftragte der Stadt Hamburg, wies unter anderem darauf hin, dass die beiden Ruangrupa-Aktivisten den antiisraelischen »Letter Against Apartheid« unterzeichnet hätten, in dem »unter anderem zu einem Boykott der kulturellen Beziehungen mit Israel aufgerufen« werde. Hensel sprach sich dafür aus, keine Lehraufträge an Personen zu vergeben, die sich öffentlich gegen eine Kooperation mit israelischen Künstlern positioniert haben.

Zudem betonte er, dass die Hochschule nicht zum ersten Mal eine Gastprofessur an problematische Personen vergeben habe. So lehrte im vergangenen Jahr der Fotokünstler Adam Broomberg an der HfbK. Er sympathisiert mit der BDS-Bewegung und hält Israel für ein »Apartheidregime«. Die Hochschule beendete die Zusammenarbeit mit dem Künstler, dennoch kritisierte Stefan Hensel: »Eine ausdifferenzierte Bearbeitung des Phänomens Antisemitismus sieht anders aus.« Zudem sei es beklagenswert, dass die Kritik der jüdischen Gemeinde und anderer Organisationen nicht ernst genommen werde.

Das bisschen Antisemitismus

Auch die deutsche Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sieht die Berufung von Afisina und Hartono »sehr kritisch«, wie sie auf Twitter schrieb. Die HfbK müsse »alle offenen Fragen klären und dann Konsequenzen ziehen« – welche Fragen da aus ihrer Sicht auch immer noch offen sein mögen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt sagte, die Ruangrupa-Mitglieder dürften »nach dem über Monate dauernden Antisemitismus-Skandal bei der documenta nicht noch mit zwei staatlich geförderten Gastprofessuren belohnt werden«. Die Bundestags-Resolution vom Mai 2019 sei eindeutig: »Keine Bundesmittel für BDS-Unterstützer!«

Die Hochschule selbst dagegen denkt nicht daran, Reza Afisina und Iswanto Hartono von ihren Aufgaben zu entbinden, sie will stattdessen »aufarbeiten«, »ins Gespräch kommen« und was sonst noch gerne angeboten wird, wenn es um Antisemitismus geht.

Konsequenzen müssen die beiden Ruangrupa-Mitglieder also nicht befürchten, ihnen hat das antisemitische Desaster in Kassel nicht zum Schaden gereicht. Unterstützt werden sie von Meron Mendel, dem Leiter der Bildungsstätte Anne Frank. Afisina und Hartono »als Antisemiten zu verbannen – auf der Ranghöhe von großen Antisemiten, die nichts in der deutschen Öffentlichkeit zu suchen haben –, wäre ein großer Fehler«, findet er.

Ein bisschen Antisemitismus ist also nicht so schlimm, auch nicht bei Gastprofessoren, die vorher eine große Kunstschau kuratiert haben, auf der Juden mitten in der Stadt als Nazis und Schweine dargestellt worden sind und die israelische Armee mit der deutschen Wehrmacht während des Nationalsozialismus gleichgesetzt worden ist. Die Abberufung von Afisina und Hartono wäre sogar »eine Art von Berufsverbot«, glaubt Mendel, der die Gastprofessur für eine »Chance« hält. Es steht zu befürchten, dass ihn die Ruangrupa-Aktivisten beim Wort nehmen.

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