Deutschland und Israel: Lippenbekenntnisse statt Solidarität

Von Alex Feuerherdt

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag der FDP, der regelmäßigen Zustimmung Deutschlands zu antiisraelischen Resolutionen der Vereinten Nationen ein Ende zu bereiten, mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Die Begründungen dafür sind fadenscheinig und fragwürdig. Großbritannien, Dänemark und Australien dagegen zeigen derzeit im UN-Menschenrechtsrat, dass es auch anders geht.

Deutschland und Israel: Lippenbekenntnisse statt Solidarität408 Nein-Stimmen, 155 Ja-Stimmen und 63 Enthaltungen – mit diesem Ergebnis lehnte der Deutsche Bundestag in der vergangenen Woche den Antrag der FDP-Fraktion ab, das deutsche Abstimmungsverhalten bei UN-Resolutionen zum Thema Israel grundlegend zu ändern. Die Eingabe der Freidemokraten ging auf eine Initiative der Parlamentarier Frank Müller-Rosentritt und Bijan Djir-Sarai zurück, die die Beteiligung Deutschlands an den alljährlich wiederkehrenden zahlreichen Verurteilungen des jüdischen Staates in der Generalversammlung der Vereinten Nationen bereits Ende des vergangenen Jahres kritisiert hatten. Im Antrag der Liberalen hieß es unter anderem, die andauernde, zahlenmäßig überproportionale Verurteilung Israels gehe „im Gesamtbild weit über legitime Kritik hinaus“ und sei „nur vor dem Hintergrund einer beabsichtigten Delegitimierung Israels durch eine signifikante Zahl von UN-Mitgliedsstaaten erklärbar“. Eine Änderung des deutschen Abstimmungsverhaltens sei daher dringend geboten, um „die deutsche Staatsräson mit Leben zu füllen, zu der nach der vollen Überzeugung des Deutschen Bundestags die Sicherheit und das Existenzrecht Israels gehören“.

Zuletzt hatte Deutschland bei 16 der 21 antiisraelischen Resolutionen in der Generalversammlung zugestimmt und sich bei vier weiteren enthalten. Gegen andere Länder als den jüdischen Staat richteten sich nur sechs Resolutionen. Eine absurde Dämonisierung und Delegitimierung Israels, die der deutsche Außenminister Heiko Maas gleichwohl mit der Begründung verteidigte, man verfolge die Linie, sich an den Diskussionen über die betreffenden Resolutionsentwürfe bis zum Schluss zu beteiligen, statt den Rückzug anzutreten und mit „Nein“ zu stimmen. Auf diese Weise habe man viele Beschlüsse abmildern können. Wörtlich hatte Maas gesagt: „Anstatt frühzeitig aus der Debatte rauszugehen und damit Resolutionstexte zu bekommen, die deutlich schärfer gegen Israel gerichtet sind, wollen wir in den Debatten Einfluss nehmen und dafür sorgen, dass die Texte so ausfallen, dass sie nicht die Schärfe haben, sondern dass Dinge, die dort stehen und die wir nicht mittragen können, auch nicht verabschiedet werden.“

Hillel Neuer, der Geschäftsführer der Organisation UN Watch, hatte dieses Prozedere, zu dem es auch in anderen UN-Gremien mithilfe der Europäer regelmäßig kommt, vor knapp drei Jahren als „das alte Spiel zwischen Brüssel und Ramallah“ bezeichnet: Die Palästinenser – oder ihre Verbündeten – reichten erst „einen noch drastischeren Entwurf ein – im Wissen, dass er später revidiert werden wird –, damit die Europäer so tun können, als hätten sie einen ‚ausgewogeneren‘ Text erreicht“. Von Israel erwarte man dann, zu feiern, „nur mit einem dünneren Strick gelyncht worden zu sein“. In der Tat ist der deutsche Ansatz abwegig. Denn die Beschlüsse sind auch in ihrer abgeschwächten Form untragbar, schon weil ihre schiere Zahl – gerade verglichen mit den wenigen Verurteilungen anderer Länder – für eine weitere Verteufelung der einzigen Demokratie im Nahen Osten sorgt. Das ist so offensichtlich, dass es eigentlich keiner näheren Begründung bedarf.

 

Ablenkung und Allgemeinplätze

Deutschland und Israel: Lippenbekenntnisse statt Solidarität
Initiatoren der Eingabe: Frank Müller-Rosentritt, Bijan Djir-Sarai (Quelle: Twitter)

Doch in der Bundestagsdebatte über die Eingabe der FDP verteidigte beispielsweise der CDU-Abgeordnete Andreas Nick dieses Vorgehen. Andere Redner wie der CDU-Parlamentarier Roderich Kiesewetter kritisierten die Freidemokraten dafür, auf einer sofortigen namentlichen Abstimmung über den Antrag bestanden zu haben, statt einer Beratung über ihn in den zuständigen Ausschüssen zuzustimmen. Ein rein formales Argument für die Ablehnung, das den Gepflogenheiten im Bundestag entsprechen mag, aber vor allem zeigt, wie groß der Unwille ist, sich auf eine inhaltliche Auseinandersetzung einzulassen und der grotesken deutschen Abstimmungspraxis ein Ende zu bereiten. Vor diesem Hintergrund wirken Beteuerungen wie die von Andreas Nick, „selbstverständlich“ seien „Resolutionstexte, die das Existenzrecht Israels negieren oder infrage stellen, für uns immer eine rote Linie“, wie Hohn gegenüber dem jüdischen Staat.

Andere Wortbeiträge waren noch ärger. Dem Linken-Abgeordneten Stefan Liebich beispielsweise war es wichtig, „dass wir aufpassen, dass die UN-Debatte nicht von einer anderen Debatte ablenkt“ – nämlich von den angeblichen Manövern der israelischen Regierung, „die Kritik am israelischen Besatzungsregime in den Palästinensergebieten [zu] disqualifizieren“. Auch Omid Nouripour von den Grünen glaubte, vor einer Instrumentalisierung warnen zu müssen: „Für Donald Trump und viele Nationalisten ist die Frage der Unwucht in der Befassung der Vereinten Nationen mit Israel eigentlich nur ein Instrument von vielen, um die Vereinten Nationen und um den Multilateralismus zu verunglimpfen.“ Den Antragstellern eine Ablenkung vorzuwerfen, indem man selbst ablenkt, nämlich ganz bewusst in Richtung Israel und USA – eine bezeichnende Taktik. Ansonsten waren von diesen Rednern und von jenen der Regierungsparteien viele nichtssagende Allgemeinplätze zu hören, zur Zweistaatenlösung etwa, zum Existenzrecht Israels, zur Komplexität der Lage im Nahen Osten und zum angeblich prinzipiell segensreichen Wirken der Vereinten Nationen.

Am Ende stimmten die Fraktionen der SPD, der Union (mit Ausnahme von Hans-Peter Friedrich) und der Linken (mit Ausnahme von Michael Leutert) geschlossen mit Nein, die Grünen enthielten sich. Zustimmung zum Antrag gab es außer von der FDP selbst (69 Ja-Stimmen) noch von der AfD (81 Ja-Stimmen, drei Enthaltungen) und drei fraktionslosen Abgeordneten, die ursprünglich für die AfD in den Bundestag eingezogen waren. Ja, die Alternative für Deutschland hat zahlreiche klassische Judenhasser, Schuldabwehrantisemiten und Geschichtsrevisionisten in den eigenen Reihen, und ihre Solidarität mit Israel ist instrumentell. Umso beschämender ist es, dass sich alle anderen Parteien außer der FDP in dieser Diskussion von ihr vorführen lassen und demonstriert haben, dass ihr vorgebliches Eintreten für die Sicherheit des jüdischen Staates – auch als Konsequenz aus der deutschen Geschichte – in erster Linie ein folgenloses Lippenbekenntnis ist, das nichts gilt, wenn es darauf ankommt.

 

Gegenwind im Menschenrechtsrat

Deutschland und Israel: Lippenbekenntnisse statt SolidaritätSchlimmer noch: Mit der Ablehnung der erfreulich klaren und Selbstverständliches benennenden Eingabe der Freidemokraten bekräftigt die Mehrheit des Bundestages ein Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen, durch das Israel immer wieder zum Paria gemacht wird. Dass es auch anders geht, haben nicht nur die USA und Kanada bei den jüngsten Resolutionen in der Generalversammlung unter Beweis gestellt, sondern es zeigt aktuell auch Großbritannien: Anlässlich der derzeit stattfindenden Sitzungen des notorisch israelfeindlichen UN-Menschenrechtsrats erklärte Außenminister Jeremy Hunt, auf die Abschaffung des „Item 7“ drängen zu wollen. Dabei handelt es sich um einen Tagesordnungspunkt bei jeder Ratssitzung, der sich „Menschenrechtliche Situation in Palästina und anderen besetzten arabischen Gebieten“ nennt und sich explizit und ausschließlich der Dämonisierung und Delegitimierung Israels widmet. Einen solchen festen „Item“ gibt es für kein anderes Land. Er bildet den organisatorischen Rahmen dafür, dass der jüdische Staat auch in diesem UN-Gremium häufiger verurteilt wird als alle anderen Länder der Welt zusammen.

Hunt kündigte nun an, dass Großbritannien künftig gegen die antiisraelischen Resolutionsentwürfe votieren wird, die unter diesem Tagesordnungspunkt im Menschenrechtsrat zur Abstimmung kommen. Auch Dänemark und Australien forderten den Rat dazu auf, „seine einseitige und voreingenommene Behandlung Israels zu beenden“. Während dessen gegenwärtiger Sitzungsperiode in diesen Tagen kommt es zur Vorstellung von nicht weniger als sieben Berichten, die gegen Israel gerichtet sind – darunter die Langfassung des Berichts der vom Rat eingesetzten Untersuchungskommission zum „Großen Rückkehrmarsch“ der Palästinenser und der israelischen Reaktion darauf im vergangenen Jahr. Die zentralen Ergebnisse dieser Untersuchung wurden bereits kürzlich bekannt: Wie nicht anders zu erwarten war, wird der jüdische Staat schwerster Verbrechen bezichtigt, während die Dominanz von Terrorgruppen bei den Ausschreitungen in Abrede gestellt wird. Zu den sieben Berichten werden fünf Resolutionen kommen, in denen Israel verurteilt wird.

Es ist also das übliche israelfeindliche Spektakel – doch inzwischen gehen zumindest einige demokratische Staaten auf Distanz. Deutschland ist derzeit kein Mitglied des Menschenrechtsrates. Ansonsten dürfte man gespannt sein, wie es sich angesichts der Kritik von Großbritannien, Australien und Dänemark verhalten würde. Nicht anders als in der Generalversammlung, so stünde zu vermuten.

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