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Literatur-Nobelpreis: Die Auszeichnung ist auch ein politisches Statement

Bekanntgabe der Gewinnerin des Literatur-Nobelpreises 2022
Bekanntgabe der Gewinnerin des Literatur-Nobelpreises 2022 (© Imago Images / TT)

Einer beiden im Vorfeld als Favoriten Gehandelten ist ein Opfer der islamistischen Diktatur im Iran, die andere unterstützt seit Jahren die antisemitische BDS-Bewegung.

Von der Trägerin des diesjährigen Literatur-Nobelpreises habe ich noch nichts gelesen, von Salman Rushdie einiges. Vielleicht verdient Annie Ernaux den Preis, ich weiß es nicht. Antisemiten haben schon großartige Musik komponiert, vielleicht schreiben manche auch großartige Bücher.

Aber wenn einer der beiden Favoriten ein Opfer der islamistischen Diktatur im Iran ist und die andere seit Jahren massiv die BDS-Bewegung unterstützt, ist die Auszeichnung zugleich ein politisches Statement. Entweder man stellt sich an die Seite der tapferen Frauen und Männern im Iran, die – nicht zum ersten Mal – ihr Leben für Freiheit und Menschrechte riskieren, oder man legitimiert die antisemitische Israel-Boykottbewegung. Allen, die intellektuell nicht vollständig abgedankt haben, muss heuer der Symbolwert der Entscheidung bewusst gewesen sein.

Im Mai 2019 unterzeichnete Ernaux zusammen mit über hundert anderen französischen Künstlern einen Brief, in dem sie zum Boykott des Eurovision Song Contest in Tel Aviv aufriefen. Die Unterzeichner haben das französische Fernsehen sogar aufgefordert, die Veranstaltung nicht zu übertragen, wie die Jerusalem Post berichtete.

Ernaux mag offene Briefe. Im Jahr davor hat sie einen Brief unterzeichnet, in dem sich die Verfasser über die Kultursaison Frankreich-Israel im November 2018 empörten. Die Veranstaltung sei eine »Weißwaschung« Israels, schrieben sie, und es sei »eine moralische Verpflichtung für jeden Menschen mit Gewissen, die Normalisierung der Beziehungen zum Staat Israel abzulehnen«. An anderer Stelle hat sie die Freilassung von Georges Abdallah gefordert, einem libanesischen Terroristen, der 1982 wegen der Ermordung eines amerikanischen Offiziers und eines israelischen Diplomaten in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. In dem Aufruf wurde der verurteilte Mörder als »engagiert für das palästinensische Volk und gegen die Kolonialisierung« beschrieben.

Kurz nach dem Konflikt zwischen Gaza und Israel 2021, der »Operation Guardian of the Walls«, unterschrieb Ernaux einen »Brief gegen die Apartheid«. Darin wurden Angriffe auf Araber und Palästinenser sowie israelische Angriffe auf den Gazastreifen aufgelistet, ohne die von israelischen Arabern angeführten Unruhen in ganz Israel oder die mehr als 4.000 Raketen auch nur zu erwähnen, die aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert wurden. »Es ist falsch und irreführend, dies als einen Krieg zwischen zwei gleichberechtigten Seiten darzustellen. Israel ist die kolonisierende Macht. Palästina ist kolonisiert. Das ist kein Konflikt, das ist Apartheid«, heißt es darin.

Man mag die Wahl von Ernaux literarisch begründen können. Das hätte allerdings in gleichem Maße für eine Entscheidung zu Gunsten Rushdies gegolten. Wie immer man es dreht und wendet, es bleibt beim bitteren Fazit: Das Nobelpreiskomitee hat Position bezogen – gegen Freiheit und Demokratie, für Unterdrückung und Judenhass.

Dies ist ein Auszug aus unserem Newsletter vom 12. Oktober. Wenn Sie den nächsten Newsletter erhalten möchten, melden Sie sich an!

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