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Libyen: Angst vor neuem Chaos

Libyens Premier Abdul-Hamid Dbeibah spricht der Abschlussfeierlichkeit an einer Militärakademie
Libyens Premier Abdul-Hamid Dbeibah spricht der Abschlussfeierlichkeit an einer Militärakademie (© Imago Images / Xinhua)

Nach der Verschiebung der Wahlen auf unbestimmte Zeit ist die innenpolitische Lage in Libyen völlig ungeklärt.

Nach mehreren internationalen Konferenzen und großen Hoffnungen auf eine Lösung ist die Lage in Libyen angesichts der Ungewissheit im Zusammenhang mit dem Wahlprozess und den besorgniserregenden Bewegungen bewaffneter Milizen in der Hauptstadt wieder am Nullpunkt angelangt.

Vor einer Woche erklärte der Leiter der Hohen Nationalen Wahlkommission in Libyen, Imad al-Sayeh, dass die Wiederaufnahme des Wahlprozesses sechs bis acht Monate in Anspruch nehmen werde. Bei einem Briefing vor dem libyschen Repräsentantenhaus sagte er:

»Die Verfahren, die die Kommission in der kommenden Zeit durchführen muss, erfordern einen Zeitraum von sechs bis acht Monaten, damit wir den Wahlprozess abschließen können.

Wir haben den 24. Dezember [für den die Wahlen angesetzt waren] verpasst, und wenn wir über einen neuen Prozess mit einem neuen Datum sprechen, muss die Wählerregistrierung wiederholt werden, weil es Bürger gibt, die mittlerweile das gesetzliche Alter von 18 Jahren erreicht haben, um ihr Wahlrecht auszuüben.«

Al-Sayeh erklärte, dass mehrere Verfahren nötig seien, damit »der Wahlprozess ohne Hindernisse und ohne den Einfluss höherer Gewalt wieder aufgenommen werden kann«.

Streit um Regierung

Bislang haben sich die libyschen Parteien noch nicht auf einen neuen Wahltermin geeinigt. Zwischen den verschiedenen Institutionen, insbesondere dem Parlament und der Wahlkommission, gibt es diesbezügliche Unstimmigkeiten.

Parallel zur Krise um die Wahlen eskalierte in den vergangenen Tagen der Streit zwischen dem im Osten des Landes ansässigen Repräsentantenhaus einerseits und der Regierung der Nationalen Einheit unter Führung von Abdel Hamid al-Dabaiba, die ihren Sitz in Tripolis im Westen hat, andererseits.

Letzte Woche erklärte Parlamentspräsident Aguila Saleh, das Parlament müsse eine alternative Regierung bilden, welche die (Übergangs-)Regierung der Nationalen Einheit ablösen und einen Prozess zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung einleiten solle.

Die von Saleh angedachten Schritte würden die Neuwahlen, die der Beendigung des jahrelangen Kriegs zwischen den Fraktionen im Osten und Westen des Landes dienen sollen, um Monate verzögern.

Die (Übergangs-)Regierung der Nationalen Einheit wurde im vergangenen Jahr gebildet, um das Land bis zu den für den 24. Dezember 2021 geplanten Wahlen zu verwalten, die jedoch verschoben wurden, worauf heftige Kontroversen über die Legitimität der Regierung ausbrachen.

Aqila Saleh erklärte in seinen umstrittenen Äußerungen, die Regierung der Nationalen Einheit besitze keine Legitimität mehr, weswegen eine neue Regierung und ein neuer Ausschuss für die Verfassungsänderung gebildet werden müssten. Die einseitige Ankündigung des Parlaments, eine neue Regierung zu bilden, könnte die Spaltung zwischen dem Osten und dem Westen des Landes wieder verschärfen.

Unterdessen erklärte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, in einem Bericht an den Sicherheitsrat, dass die Libyer

»nun zusammenarbeiten müssen, um die Kernprobleme anzugehen, die zur Verzögerung der Wahlen geführt haben, und die notwendigen politischen und sicherheitspolitischen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ohne weitere Verzögerung abgehalten werden können«.

Die Sonderberaterin des UN-Generalsekretärs, Stephanie Williams, sagte, sie dränge darauf, dass die Wahlen bis zum nächsten Juni abgehalten werden, anstatt eine neue Regierung zu ernennen.

In diesem Zusammenhang sagte der Berater der libyschen Organisation für nationale Sicherheitsstudien, Ramzi Al-Rumah, das Parlament könne die Regierung zwar rechtmäßig entlassen, wies jedoch darauf hin, dass die mögliche Bildung einer solchen neuen Regierung die Krise und das Chaos im Land verlängern würde.

Sollte das Repräsentantenhaus tatsächlich die Regierung entlassen und den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung veranlassen, bestünde das vorrangige Problem dieser Regierung darin, international anerkannt zu werden, erklärte Al-Rumah.

Vor neuer Spaltung?

Abseits der politischen Differenzen mobilisieren die bewaffneten Milizen in der libyschen Hauptstadt Tripolis weiterhin ihre Kräfte, da sie einen Zusammenbruch der Sicherheitslage befürchten. Vor einigen Tagen beschossen die Milizen den Hauptsitz einer Bank in Gharyan südlich von Tripolis mit einem Panzerfaust, wodurch die Fassade des Gebäudes zerstört wurde.

In Tripolis gibt es mehr als 35 große und mehrere kleine Milizen sowie Terrorgruppen und bewaffnete Söldnerformationen, die mit den Städten Misrata und Al-Zawiya »West« in Kontakt stehen und deren Zusammenstöße von immer wieder zur Verschlechterung der Sicherheitslage in der Hauptstadt beitragen.

Der italienische Experte Daniele Ruffnetti sagte gegenüber Mena-Watch, das Land befinde sich einer sehr kritischen und heiklen Situation:

»Es gibt Informationen, dass einige Leute in Libyen daran arbeiten, einen neue Road Map zu erstellen, die drei Phasen umfasst: die Ausarbeitung der Verfassung, die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes und schließlich die Durchführung der Wahlen.

Aber diese Road Map sieht auch die Bildung einer neuen Übergangsregierung vor. Wenn Premierminister Abdul-Hamid Dbeiba sich weigert, die Macht abzugeben, wird es zu einer neuen Spaltung zwischen dem Westen und dem Osten des Landes kommen.«

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