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Drei Szenarien für Libyen nach der Vertagung der Wahlen

Nach der Verschiebung der Wahlen in Libyen machten verschiedene bewaffnete Verbände mobil
Nach der Verschiebung der Wahlen in Libyen machten verschiedene bewaffnete Verbände mobil (© Imago Images / Xinhua)

Trotz intensiver internationaler Bemühungen ist es nicht gelungen, die Roadmap für Neuwahlen in Libyen einzuhalten. Daraus ergeben sich mehrere Szenarien die Zukunft des Landes, von denen eines eine Rückkehr zu Gewalt und Bürgerkrieg ist.

Die erste Runde der libyschen Präsidentschaftswahlen war für den Freitag, den 24. Dezember 2021 angesetzt. Die unabhängige Hohe Nationale Wahlkommission schlug jedoch vor, die Wahlen um einen Monat zu verschieben, nachdem sie daran gescheitert war, die endgültige Liste der Kandidaten bekannt zu geben.

Die Kommission teilte mit, der von ihr vorgelegte Vorschlag zur Verschiebung stütze sich auf Artikel 43 des Gesetzes über die Präsidentschaftswahlen, der besagt, dass die Hohe Nationale Wahlkommission den Wahlprozess verschieben kann, worauf das Repräsentantenhaus innerhalb von 30 Tagen einen neuen Termin festlegen muss.

Der mit der Überwachung der Wahlen beauftragte parlamentarische Ausschuss hat am 22. Dezember auch den Parlamentspräsidenten Aguila Saleh schriftlich darüber informiert, dass es „unmöglich“ sei, die Präsidentschaftswahlen termingerecht abzuhalten. Zugleich wurde Saleh, der sein Amt als Parlamentspräsident vorübergehend ruhen ließ, um als Präsidentschaftskandidat antreten zu können, aufgefordert, offiziell in sein Amt zurückzukehren.

Warum die Verzögerung?

Die für die Durchführung der Wahlen zuständige Hohe Nationale Wahlkommission, hatte zuvor nicht nur große rechtliche Schwierigkeiten bei der Bekanntgabe der endgültigen Kandidatenliste für die Präsidentschaftswahlen, sondern auch bei der Sicherung ihres Büros: dieses wurde immer wieder belagert und war mehreren Sicherheitsverletzungen ausgesetzt.

Am 11. Dezember kündigte die Oberste Wahlkommission schließlich an, die Veröffentlichung der endgültigen Kandidatenliste zu verschieben. Dies war die jüngste Episode einer monatelangen Debatte zwischen den führenden Akteuren in Libyen darüber, wie und wann die Wahlen stattfinden sollen.

In den vergangenen Wochen sah sich die Kommission mit mehreren rechtlichen Anfechtungen ihrer Entscheidungen und der vorläufigen Kandidatenlisten konfrontiert, insbesondere durch die Kandidaten Abdel Hamid Al-Dabaiba und Saif Al-Islam Gaddafi. Letzterer ist der Sohn des verstorbenen libyschen Oberst Muammar Gaddafi, gegen den der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen erlassen hat.

Anfang Dezember stürmte eine Gruppe von Demonstranten, die bewaffneten Milizen angehören, den Sitz der Hohen Wahlkommission in Tripolis und brachte damit ihre Ablehnung des laufenden Wahlprozesses zum Ausdruck.

Am 16. Dezember drohte der Anführer der extremistischen Miliz „Al-Samoud-Brigade“, Salah Badi, damit, alle staatlichen Einrichtungen in Tripolis zu schließen, um die Wahlen zu verhindern, und sagte: „Es wird keine Präsidentschaftswahlen geben, solange die Männer hier sind“, womit er sich auf seine Miliz bezog.

Im Oktober 2020 hatte sich das Libysche Politische Dialogforum auf einen Waffenstillstand im Land und die Ernennung einer Übergangsregierung geeinigt, die das Land bis zu den allgemeinen Wahlen am 24. Dezember 2021 führen sollte.

Letztlich fanden die Wahlen jedoch trotz der Einstellung der Kämpfe und mehrerer internationaler Konferenzen in Paris, Rom und Berlin zur Unterstützung des politischen Kurses nicht am geplanten Termin statt.

Zukunftsszenarien

Der italienische Libyenexperte Daniele Rufiniti sagte gegenüber Mena-Watch:

„Ich denke, dass es sehr schwierig sein wird, die Wahlen wie angekündigt innerhalb eines Monats abzuhalten, da es viele Akteure innerhalb und außerhalb Libyens gibt, die diese Wahlen nicht wollen.

Auch wenn die UNO sehr stark darauf drängen wird, die Wahlen am 24. Januar abzuhalten, kann es notwendig werden, die Wahlen auf ein später zu bestimmendes Datum zu verschieben. Das würde bedeuten, dass Libyen weiterhin bloß eine Übergangsregierung hat.“

Nach Ansicht des libyschen Wissenschaftlers Kamel Al-Marash gibt es drei Szenarien: Das erste davon ist, dass das Repräsentantenhaus zusammentritt und einen Experten mit der Leitung einer Miniregierung von höchstens 15 Mitgliedern beauftragt, deren Hauptaufgabe darin besteht, einige logistische Probleme im Zusammenhang mit den Wahlen zu lösen.

Dieses Szenario könnte jedoch mit der Weigerung der derzeitigen Regierung kollidieren, die Macht abzugeben. Al-Marash erläutert dieses zweite Szenario:

„Wenn Dabaiba sich an die Macht klammert und die Macht in Tripolis mit Gewalt an sich reißt, wird das Parlament über die Bildung einer neuen Regierung für die östlichen und südlichen Regionen Libyens diskutieren. Das würde die Spaltung vertiefen und das Land erneut polarisieren, sodass Waffen und Söldner in noch stärkerem Maße ins Land kämen.“

Der Wissenschaftler wies darauf hin, dass sich der Konflikt in diesem Fall auf die Versuche der verschiedenen Parteien konzentrieren würde, die Ölressourcen des Landes zu kontrollieren.

Das dritte Szenario ist laut Al-Marash eine Rückkehr zum Krieg an der Trennlinie zwischen den Städten Sirte und Jufra – und ein Rückfall des Landes ins Chaos und eine Unterminierung des eingeschlagenen politischen Kurses, die Übergangsphase zu einem positiven Ende zu bringen.

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