Kritiker der Vereinten Nationen verweisen seit Jahrzehnten darauf, dass in der UNO Korruption und Missmanagement ebenso endemisch sind wie völlig überzogene Gehälter und Betriebskosten, die zu Lasten der humanitären Hilfsprogramme gehen.
Vor zwanzig Jahren beschäftigte das Thema UN-Korruption im Irak kurz einmal auch die Weltmedien. Damals, nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003, kam langsam zutage, welches Ausmaß an Selbstbereicherung während des sogenannten Oil-for-Food-Deals geherrscht hatte. Der Economist schrieb zwei Jahre später: »Das größte humanitäre Projekt der UNO scheint zu ihrem größten Skandal geworden zu sein.«
Und das dürfte die richtige Wortwahl gewesen sein, führt man sich vor Augen, welche Unsummen damals verschwanden, während sich das Saddam-Regime darüber beklagte, in seinem Land verhungerten die Kinder, weil der Westen Sanktionen verhängt habe:
»Der fünfte und letzte 623-seitige Bericht des UN-Ausschusses, der am 27. Oktober 2005 veröffentlicht wurde, beschuldigt fast die Hälfte der 4.500 teilnehmenden Unternehmen, Schmiergelder und illegale Zuschläge gezahlt zu haben, um lukrative Verträge zu erhalten und es Saddam Hussein ermöglicht zu haben, 1,8 Milliarden Dollar auf Kosten der unter den UN-Wirtschaftssanktionen leidenden Iraker einzustreichen. Der leitende Ermittler der Kommission, der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank Paul Volcker, erklärte, es waren die Misswirtschaft der UNO und das Versagen der mächtigsten Nationen der Welt, die Korruption im Rahmen des Oil-for-Food-Programms zu beenden, die es Saddam ermöglichten, seine Kassen zu füllen.«
Kurz darauf verschwand das Thema wieder aus den Schlagzeilen, nachdem irgendwelche Offiziellen Besserung versprochen hatten, ein paar Komitees ins Leben gerufen wurden und einige Papiere über Reformen in der Weltorganisation verfasst worden waren.
Seitdem reiht sich Skandal an Skandal, und oft stellt man sich die Frage, wo denn eigentlich eine humanitäre UN-Intervention ohne solch einen Skandal vonstatten geht: Ob im Kongo, wo Mitarbeiter des Welternährungsprogramms in einen Sexskandal verwickelt waren, den der US-Auslandssender Voice of America als den größten in der Geschichte der Organisation überhaupt bezeichnete. Oder in Syrien, wo es diesmal die Weltgesundheitsorganisation war, deren Chefin Akjemal Magtymova »Millionen Dollar falsch verwaltet, Regierungsbeamte mit Geschenken bedachte – darunter Computer, Goldmünzen und Autos – und leichtfertig handelte, als COVID-19 über das Land schwappte. (…) Magtymova setzte WHO-Mitarbeiter unter Druck, Verträge mit hochrangigen syrischen Regierungspolitikern zu unterzeichnen, und verschwendete ständig Gelder der WHO und von Gebern.«
Nichts geändert
Kritiker der Vereinten Nationen und vor allem der Art, wie diese Organisation humanitäre Hilfsprogramme leitet, verweisen seit Jahrzehnten darauf, dass in der UNO Korruption und Missmanagement ebenso endemisch sind wie völlig überzogene Gehälter und Betriebskosten, die oft offiziell mehr als ein Viertel der Projektgelder ausmachen, inoffiziell aber noch viel höher liegen dürften. Derweil wurden in den vergangenen Dekaden wohl hunderte Reformvorschläge vorgelegt, ohne dass sich grundsätzlich etwas geändert hätte. Ganz im Gegenteil ist es dieser Tage sogar wieder der Irak, der in die Schlagzeilen gerät.
Mehrere Monate lang recherchierte die Journalistin Simona Foltyn für die britische Tageszeitung The Guardian über Kickbacks und Korruption in einem der größten Wiederaufbauprogramme – es geht um 1,5 Mrd. Dollar –, das unter der Ägide des UN-Entwicklungsprogramms UNDP umgesetzt wurde.
Wie Foltyn recherchierte, hat sich bei der UNO im Zweistromland offenbar wenig geändert, seitdem der Oil-for-Food-Skandal bekannt wurde: »Eine Untersuchung des Guardian hat ergeben, dass UN-Mitarbeiter im Irak angeblich Bestechungsgelder verlangen, wenn sie Geschäftsleuten helfen, Aufträge für Wiederaufbauprojekte im Land zu erhalten. Die mutmaßlichen Schmiergeldzahlungen gehören zu einer Reihe von Vorwürfen über Korruption und Missmanagement, die der Guardian im Rahmen der Finanzierungseinrichtung für die Stabilisierung aufgedeckt hat.«
Dabei handelt es sich um ein Programm des 2015 ins Leben gerufenen United Nations Development Programme (UNDP), »das bisher von dreißig Gebern, darunter Großbritannien, mit 1,5 Mrd. Dollar unterstützt wurde. (…) Der Guardian hat herausgefunden, dass von UNDP-Mitarbeitern Bestechungsgelder in Höhe von bis zu fünfzehn Prozent des Vertragswerts verlangt wurden, wie drei Mitarbeiter und vier Auftragnehmer berichten.«
Kickbacks und präferierte Kontraktpartner sind nichts Neues. Ähnlich funktionierte schon das Oil-for-Food-System, auch wenn diesmal die Summen etwas niedriger ausfallen. Wurden schon damals Projekte abgerechnet, die nur auf dem Papier, aber nicht vor Ort existierten, scheinen die Resultate des Aufbaufonds, so sich denn jemand die Mühe macht, einmal genauer hinzuschauen, auch diesmal wenig überzeugend. Umso mehr beeindruckt, welche Summen in Aufwandsentschädigungen und ähnliche Zahlungen geflossen sind.
Neben der Korruption wurden auch »Gelder für Redundanzen und die hohen Allgemeinkosten der UNO ausgegeben, was weitere Fragen darüber aufwirft, welcher Anteil des Mammutbudgets denn tatsächlich in den vom Krieg betroffenen Gemeinden ankam.«
Die Befragten, von denen viele aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen anonym bleiben wollten, »beschrieben eine perverse Anreizstruktur, in der UN-Mitarbeiter, die ihre ›bequem verdienten Gehälter‹ behalten wollten, mit Regierungsbeamten zusammenarbeiteten, die finanziell ebenfalls davon profitierten, um neue Projekte zu entwickeln, wobei in den Fortschrittsberichten die Ergebnisse geschönt wurden, um weitere Mittel zu rechtfertigen.«
Das UNDP behauptet, so der Guardian-Bericht, das Leben von 8,9 Millionen Irakern verbessert zu haben, immerhin ein Fünftel der Bevölkerung. Nachforschungen der Zeitung an den Projektstandorten würden jedoch darauf hindeuten, dass einige dieser Zahlen möglicherweise zu hoch gegriffen sind.
»In einem Dorf im Nordirak behauptete ein UNDP-Schild vor dem örtlichen Gesundheitszentrum, für dessen Sanierung verantwortlich zu sein. Doch die Einrichtung, die nur leicht beschädigt wurde, als die irakischen Streitkräfte 2017 die Kämpfer des Islamischen Staates vertrieben, wurde in Wirklichkeit von zwei anderen Organisationen wiederhergestellt«, schildert das britische Blatt einen der recherchierten Fälle. Als das UNDP sich zu beteiligen begann, sei die Klinik bereits seit zwei Jahren wieder in Betrieb gewesen, heißt es weiter.
Im offensichtlichen Abweichen vom ursprünglichen Ziel, die beschädigte Einrichtung wiederaufzubauen, habe das UNDP dann »ein neues Nebengebäude für ein Labor und eine Röntgenanlage errichtet. Doch im Oktober standen die Räumlichkeiten leer und die Anwohner beschwerten sich, dass das UNDP zwei Jahre lang seine Versprechen, die neuen Abteilungen auszustatten, nicht eingehalten hatte.«
Schein und Realität
Liest man die Publikationen von UN-Agenturen oder folgt ihren Social-Media-Accounts, so reiht sich Erfolg an Erfolg: Lächelnde Kinder und zufriedene Frauen schmücken die Seiten, daneben erklären Statistiken und Grafiken, wie gut alles läuft. Die schöne PR-Welt, für die natürlich entsprechende Agenturen großzügig vergütet werden, hat allerdings oft nur sehr wenig mit der Realität vor Ort zu tun, wo, wie der Autor aus eigener Erfahrung weiß, der Ruf der UN schlicht katastrophal ist und jeder, der selbst in der humanitären Hilfe engagiert ist, weiß, wie korrupt und zugleich oft arrogant sowie von den Betroffenen entfremdet die UN-Mitarbeiter in der Regel sind.
So wundert es auch kaum, dass selbst simple Projekte wie Nähwerkstätten für Frauen, die das UNDP eröffnen wollte, offenbar kaum funktionieren: »Fünf Befragte, die mit der UNDP-Berichterstattung vertraut sind, sagten, dass diese die Realität vor Ort nicht widerspiegelt. ›Viele dieser Dokumente dienen hauptsächlich zu PR-Zwecken‹, sagte ein Berater, der eine externe Überprüfung eines anderen UNDP-Programms durchgeführt hatte. ›Wenn man sich in die Provinzen begibt, sich mit den Empfängern dieser Gelder zusammensetzt und sich die Projekte ansieht, ist das, was man dort vorfindet, weit von dem entfernt, das man aus den Berichten herauslesen kann.‹«
Die Befragten, so der Guardian abschließend, beschrieben etwa »die vom UNDP im Rahmen seiner Initiativen durchgeführten Schulungen und Workshops als ›trivial‹ und ›ohne strategische Kohärenz‹.« Regierungsbeamte und Gemeindemitglieder nähmen an den Veranstaltungen teil, um eine kostenlose Reise zu genießen und Zuschüsse zu kassieren. »UNDP will nur das Geld verbrennen und den Gebern zeigen, dass sie die Workshops durchführen«, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter gegenüber den Journalisten.
Verheerender als in dem Guardian-Artikel könnten Statements kaum ausfallen und sie decken sich mit unzähligen anderen Berichten über die Tätigkeit von UNO-Organisationen vor Ort. Nur leider wird auch dieser Bericht vermutlich nichts an der Lage ändern, außer dass ein paar Komitees eingesetzt werden, irgendwelche Leute Besserung versprechen werden und, wenn überhaupt, ein weiteres Gutachten, wie eine grundlegende Reform aussehen könnte, für viel Geld in Auftrag gegeben werden wird.
Allerdings wird dieses Gutachten dann auch, wie schon so viele zuvor, in irgendeiner Schublade verschwinden, denn die seit Jahrzehnten geforderten, grundlegenden Reformen der UNO-Institutionen scheitern regelmäßig an genau den zu reformierenden Strukturen der UNO und ihren Mitgliedsstaaten. Diese Strukturen nämlich zielen, wie ein ehemaliger Mitarbeiter der Weltorganisation es vor einigen Jahren auf den Punkt brachte, nur darauf, »den Status quo zu zementieren«.