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Das iranische Regime klagt Mahsa Aminis Anwalt an

Im Iran wird dem Anwalt der vor einem Jahr getöteten Mahsa Jina Amini der Prozess gemacht. (© imago images/NurPhoto)
Im Iran wird dem Anwalt der vor einem Jahr getöteten Mahsa Jina Amini der Prozess gemacht. (© imago images/NurPhoto)

Knapp vor dem ersten Jahrestag des Todes von Mahsa Amini stellt das iranische Regime den Anwalt der Familie vor Gericht.

Am 16. September letzten Jahres wurde eine junge Frau namens Mahsa Jina Amini von der sogenannten Moralpolizei des iranischen Mullah-Regimes mitten in Teheran festgenommen. Ihr wurde vorgeworfen, gegen die strengen Kleidungsvorschriften verstoßen zu haben, da ihr Kopftuch nicht korrekt gebunden war. Das darauffolgende Verhör brachte der 22-Jährigen den Tod. Offizielle Ursache laut den Behörden: Herzinfarkt.

Dieser Tod war für die unterdrückte Bevölkerung einer zu viel. Empört gingen Hundertausende Menschen im ganzen Land auf die Straßen, um dem diktatorischen Regime ihren Unmut und ihre Unzufriedenheit entgegenzuschleudern. Bis heute ist es der iranischen Führung trotz brutalster Maßnahmen gegen die Demonstranten nicht gelungen, die anhaltenden Proteste vollständig zum Erliegen zu bringen.

Bekannter Anwalt

Die Familie der Verstorbenen demonstriert auf ihre Weise: Unmittelbar nach dem Tod ihrer Tochter engagierten die Eltern den landesweit bekannten Rechtsanwalt Saleh Nikbacht, um die tatsächliche Todesursache zu klären. Denn laut der Familie war Mahsa gesund gewesen und hatte an keinerlei Krankheiten gelitten. Auch Nikbacht bezweifelte die offizielle Stellungnahme und kritisierte öffentlich das Gutachten der Kommission für Rechtsmedizin, nach dem die junge Frau einen »Herzinfarkt« als Folge einer »zugrunde liegenden Krankheit« erlitten hätte.

Tatsächlich war die junge Kurdin an den Folgen der brutalen Misshandlung gestorben, der sie während des Verhörs ausgesetzt war. Zahlreiche Schläge auf ihren Kopf hatten zu einem Schädelbruch geführt, durch den sie in ein Koma fiel, aus dem sie nicht mehr erwachte.

Systemfeindliche Propaganda

Auf die juristische Intervention und die Interviews, die Saleh Nikbacht ausländischen Medien gab, reagierte die Teheraner Staatsanwaltschaft für öffentliche und revolutionäre Angelegenheiten im heurigen März mit einer Anklage wegen »Propaganda gegen das System der Islamischen Republik«. Nikbachts Forderung nach einer »erneuten Prüfung des Falls und die Bildung eines neuen Ausschusses aus angesehenen und vertrauenswürdigen Ärzten innerhalb der medizinischen Gemeinschaft des Landes«, um den Fall zu untersuchen, und seine Interviews mit ausländischen Journalisten betrachten die Justizbehörden als Gesetzesverstoß, den es zu ahnden gilt.

Der Prozess gegen den Anwalt, der nach der Anklageverlesung und Hinterlegung einer Kaution freigelassen wurde, sollte schon im März stattfinden, wurde aber mehrmals verschoben. Doch nun, unmittelbar vor dem ersten Todestag von Mahsa Amini, macht das Teheraner Revolutionsgericht ernst.

Wie die iranische Zeitung Emtedad auf ihrem Telegramkanal berichtete, wurde am 30. August der Prozess gegen Nikbacht wegen »Propaganda gegen das System« eröffnet. Dass er mit Medien, internationalen zumal, über den Fall von Mahsa Amini gesprochen hat, ist aus Sicht des Regimes ein unverzeihbares Verbrechen. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Anwalt ein bis drei Jahre Haft.

Nervosität vor dem Jahrestag

Der bevorstehende erste Todestag von Mahsa Amini scheint die iranische Regierung in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen. Schon vor Wochen verschärfte sie die polizeilichen Maßnahmen gegen all die mutigen Iraner, die noch immer öffentlich gegen das repressive Regime protestieren. Auch die Familien jener, die von den iranischen Sicherheitskräften während der Demonstrationen getötet wurden, stehen im Fokus der Behörden.

Dass der Prozess gegen Saleh Nikbacht ausgerechnet jetzt stattfindet, dürfte als Zeichen an potenzielle Demonstranten gemeint sein, denen anhand des Anwalts gewissermaßen ein Exempel statuiert und vor Augen geführt werden sollen, was passiert, wenn man dem Regime in die Quere kommt. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Der geradezu provokative Prozesstermin könnte auch einen ganz anderen als den gewünschten Effekt zeitigen – und die Wut und Empörung über das Regime noch weiter steigern.

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