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Gruppe Wagner: Putins heimliche Armee (2)

Ausführlich berichtet Gabidullin in seinem Buch über den Kampf der Gruppe Wagner gegen den Islamischen Staat. (© imago images/United Archives International)
Ausführlich berichtet Gabidullin in seinem Buch über den Kampf der Gruppe Wagner gegen den Islamischen Staat. (© imago images/United Archives International)

Zweiter Teil der Rezension über die Gruppe Wagner: die Einsätze in Syrien, die Inkompetenz der syrischen Armee und der bedingungslose Kampf des Islamischen Staates.

Einsatz in Syrien

In Syrien kämpfte die Gruppe Wagner gemeinsam mit russischen Militäreinheiten jahrelang an der Seite der Armee von Baschar al-Assad. Begründet wurde die Intervention gegenüber den Söldnern in einfachen Worten:

»Da draußen gibt es einen tollen Kerl, Präsident Baschar al-Assad, und der hat praktisch ganz allein den Kampf gegen den globalen Imperialismus aufgenommen, unterstützt von seiner heldenhaften Armee. Und dieser tolle Kerl braucht Hilfe, Punkt.«

Dass Assad nur mit Hilfe von außen militärisch überleben konnte, obwohl seine Armee über eine moderne Ausrüstung verfügte, war für Gabidullin offensichtlich: »Dass er sich an der Macht halten konnte, verdankte er allein der russischen Militärintervention.« Dessen waren sich auch die syrischen Generäle bewusst: »Respekt hatten sie vor der russischen Luftwaffe und Artillerie, weil diese den Ausgang jeder Schlacht zu ihren Gunsten entscheiden konnten.«

Kampf um jede Ölquelle

Die eigentliche Aufgabe der Gruppe Wagner war die Rückeroberung der Öl- und Gasanlagen von der Freien Syrischen Armee bzw. vom Islamischen Staat. Einige Raffinerien und kleinere Ölfelder wurden auch von regionalen, separatistischen Gruppen, Verbrecherbanden und lokalen Clanchefs erobert, doch, wie Gabidullin feststellte, waren »sie alle… ohne ideologischen Hintergrund und nur profitorientiert. Dazu genügte es, ein oder zwei Ölfelder in die Finger zu bekommen, und sei es nur vorübergehend.«

Es gab auch Allianzen anderer Natur, wie sich der »Ded« an eine Raffinerie bei Shola westlich von Deir ez-Zor erinnert: »Als sie unter der Kontrolle des IS stand, diente diese kleine Anlage der Versorgung der Brüder Kataradzhi, Vertrauten von Baschar al-Assad, die auch enge Verbindungen zur Führung des IS unterhielten.«

Inkompetente syrische Armee

Über die Mentalität und das unprofessionelle Verhalten der syrischen Soldaten und die Desorganisation innerhalb der syrischen Armee war Gabidullin als erfahrener, hochspezialisierter Profi, der er war, von Beginn an entsetzt: »Sobald es gefährlich wurde, rannten die syrischen Soldaten davon. Ihre Kommandanten waren im Hinblick auf Taktik und Strategie völlig unbeleckt und erteilten dumme Befehle. Bei der syrischen Armee plünderten praktisch alle, und ständig desertierten Soldaten.«

Die Liste seiner Vorwürfe ist lang: Keine Disziplin, keine bis schlechte Tarnung (eingeschaltete Scheinwerfer, Rauchen, offene Feuerstellen), Geschrei, Chaos, ungeordnete Kolonnen, wahllose, unkoordinierte Angriffe (dadurch hoher Munitionsverbrauch), inkonsequente Befehlsketten, fehlende Kommunikationszentrale, keine Koordinierung mit der Gruppe Wagner, mangelnde Informationsweitergabe.

Doch auch der syrische Umgang mit dem Feind störte den (sicherlich nicht zimperlichen) Söldner:

»Anstatt mit ihren Chefs Stellung zu beziehen, nahmen sie lieber Selfies mit gefallenen Dschihadisten auf und posierten vor den Kameras der Journalisten … Bilder von sich mit toten Feinden waren den Syrern nicht genug. Sie fielen über die starren Leichen her, traktierten sie mit Fußtritten und hackten mit ihren Bajonetten auf sie ein. Sie schlangen ein Seil um den Hals eines toten Gegners und schleiften ihn über die Felsen.«

Einer Einheit der Gruppe Wagner, der Wüstenfalken-Brigade, ergeht es bei der Beurteilung durch den erfahrenen Söldner nicht besser: »Die ›Wüstenfalken‹ zeichneten sich durch zwei für Berufssoldaten unerklärliche Charaktereigenschaften aus. Zum einen war es die Unfähigkeit der Kommandanten, ihre Männer zu führen und deren Aktionen zu koordinieren. Zum anderen war es aber auch die Weigerung der einfachen Soldaten, sich an die Grundregeln des Kriegs zu halten. Es war wie bei Lenin: Die Anführer konnten nicht, und das ›Volk‹ wollte nicht.«

(Quelle: Econ-Verlag)
(Quelle: Econ-Verlag)

Bei aller Kritik Gabidullins an den Unzulänglichkeiten anderer Einheiten klafft in seiner Erzählung allerdings eine große Lücke: Er macht einen großen Bogen um die zum Teil schweren Verbrechen, die von der Gruppe Wagner und deren Mitgliedern begangen und weder von deren Kommandeuren noch von den Auftraggebern geahndet werden.

Am harmlosesten sind noch die Plünderungen und Diebstähle, die bei der Zivilbevölkerung durchgeführt werden und auch in der Gruppe Wagner eine offiziell tolerierte Selbstverständlichkeit sind. Doch viele Söldner vergreifen sich auch an Frauen, die sie misshandeln und vergewaltigen, während sie Männer oft quälen oder foltern, um Informationen zu erhalten, von in jeder Hinsicht verbrecherischen Morden ganz zu schweigen. Dass die Kämpfer von Söldnertruppen alles andere als zimperlich sind, weder im Kampf noch im Umgang mit der Zivilbevölkerung, ist eine unbestrittene Tatsache, die in Gabidullins Buch aber weitestgehend ausgeblendet bleibt.

»Krebsgeschwür« Islamischer Staat

Im krassem Gegensatz zu den »Sadiqs«, den syrischen Soldaten, beschreibt Gabidullin die »Duchis«, die Kämpfer des IS: »Der Islamische Staat … war stark, organisiert, diszipliniert, gut bewaffnet und mobil. Er war gnadenlos bis zum Sadismus, kannte keine Furcht vor dem Tod … und [war] dank ideologischer Gehirnwäsche hoch motiviert … ein Krebsgeschwür.« Sein Rückgrat bestand »aus ehemaligen Berufssoldaten der irakischen Armee und eifrigen Fanatikern aus der ganzen Welt, die alle beträchtliche Kampferfahrung vorweisen konnten«.

Zusätzlich verfügte der IS über eine Vielzahl strategischer Vorteile: detaillierte Ortskenntnisse, jahrelange Vorbereitung vor Ort (in Felsen gegrabene Nischen und Tunnel, Schutzgräben, Befestigungen aus Stahlbeton), eine hervorragende Ausrüstung, ein der bergigen Region gut angepasster Fuhrpark (leichte, wendige Autos mit großkalibrigen Maschinengewehren und Flugabwehrkanonen). Dank ihrer Flexibilität und Unerschrockenheit waren die IS-Kämpfer »immer zum überraschenden Gegenangriff bereit«, konnten aber genauso schnell den Rückzug in ihre zahlreichen Verstecke in Höhlen und Bergnischen antreten.

Besonders gefürchtet war die Vorhut der islamistischen Truppen, die aus Selbstmordattentätern bestand, die mit Autos, vollbeladen mit Sprengstoff, mitten in die Reihen der Feinde oder in Waffen- und Munitionslager hineinfuhren und »die syrischen Reihen in wilde Panik [versetzten]«, so Gabidullin.

Seine Waffen und sonstige militärische Ausrüstung erhielt der IS aus syrischen und irakischen Quellen und im Tauschgeschäft gegen Öl:

»Der Islamische Staat verfügte über Panzer, militärische Artillerievorrichtungen, Standardmörsern und schnelle Pick-ups mit Maschinengewehren. Außerdem kamen Granatwerfer, Schusswaffen und unerschöpfliche Munitionsvorräte zum Einsatz, die der IS von den Armeen im Irak und in Syrien erhalten hat. Während des ganzen Krieges versiegten die geheimen Versorgungskanäle nie. Sie erlaubten den Tausch von Waffen und Munition gegen Erdöl, das in den von den Dschihadisten besetzten Gebieten gefördert wurde. Die gesamte Bewaffnung der Dschihadisten stammte aus Militärlagern und war in Fabriken produziert worden.«

Der Einsatz der Gruppe Wagner in Syrien dauerte bis Herbst 2017, bis es den russischen und syrischen Armeeeinheiten endlich gelungen war, den IS in seiner Gesamtheit zu zerschlagen und die Ölfelder wieder unter Assads Kontrolle zu bringen. An »allen großen Schlachten gegen den IS, zweimal in Palmyra, in Aqraba und in Deir ez-Zor, waren russische Söldner unmittelbar beteiligt und stellten fast immer die Hauptstreitmacht bei Bodenangriffen«. Die »Arbeiter des Kriegs« hatten ihre Aufgabe erfüllt.

Marat Gabidullin, Wagner – Putins geheime Armee. Ein Insiderbericht. 298 S., Econ Verlag, Berlin 2022, Euro 23,70 (A)/Euro 22,99 (D)

Lesen Sie morgen im dritten und letzten Teil über die persönlichen Gründe von Marat Gabidullin, den Dienst bei der Gruppe Wagner zu quittieren. Teil 1 der Rezension finden Sie hier.

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