Latest News

Gruppe Wagner: Putins heimliche Armee (1)

Das Logo der Gruppe Wagner. (© imago images/iamgebroker)
Das Logo der Gruppe Wagner. (© imago images/iamgebroker)

Alle Welt spricht von ihr, doch niemand kennt sie wirklich: die russische Söldnertruppe Gruppe Wagner. Nun liegt zum ersten Mal ein Buch eines ehemaligen Kämpfers über das Leben in der »Kompanie« vor. Im ersten Teil der Rezension beleuchtet Mena-Watch die Organisation Wagner, deren russische Verbindungen und den Söldner und Autor des Berichts, Marat Gabidullin.

Nein, die Gruppe Wagner gebe es nicht, sie sei eine »Fantasie der Regimekritiker und des Westens«, lässt der Kreml immer wieder verlauten. Tatsächlich kämpft die private Elitetruppe seit Jahren gemeinsam mit der russischen Armee in all jenen Ländern dieser Welt, in denen der russische Präsident Wladimir Putin seinen Einfluss verstärken möchte.

Der Gründer

Ins Leben gerufen wurde die Organisation von Dimitri Utkin, geboren 1970, einem ehemaligen Oberstleutnant der russischen Armee und Mitglied des Militärgeheimdienstes GRU. Ein Jahr nach seinem Abschied gründete er 2014 die paramilitärische Eingreiftruppe, für die Utkin ausschließlich Veteranen von russischen Armee-Spezialeinheiten rekrutierte.

Utkin gilt als Bewunderer Hitlers, rechtsextremer Rassist, glühender Nationalist und gefürchteter Kommandant. Gemäß seiner Hitler-Verehrung gab er sich den Kampfnamen »Wagner«, als Ehrerbietung für Richard Wagner. In Marat Gabidullins Buch »Wagner – Putins geheime Armee. Ein Insiderbericht« firmiert Utkin unter dem Nom de guerre »Beethoven«.

Der Manager

Financier und organisatorischer Leiter der Gruppe Wagner ist Jewgeni Prigoschin, Jahrgang 1960. Nach einer Verbrecherlaufbahn und langjährigen Haftstrafen entwickelte er sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR zum damals typischen Aufsteiger, der in kürzester Zeit zu einem der reichsten Männer des neuen Russlands wurde.

(Quelle: Econ-Verlag)
(Quelle: Econ-Verlag)

Mit Wladimir Putin verbindet ihn nicht nur der gemeinsame Geburtsort St. Petersburg, sondern auch eine jahrzehntelange Freundschaft – und äußerst fragwürdige geschäftliche Beziehungen. Der Unternehmer ist auch als »Putins Koch« bekannt, in dessen Luxusrestaurants der Staatspräsident Stammgast ist. Er ist immer dort zu finden, wohin ihn der Kremlherrscher schickt, um Russlands Macht und Einfluss zu zementieren.

So ist Jewgeni Prigoschin jener Mann, den internationale Geheimdienste, insbesondere das FBI, der Manipulation der politischen Verhältnisse in diversen Staaten zugunsten russischer Interessen verdächtigen, wie zum Beispiel im Falle der Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf im Jahr 2016, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde.

Laut FBI besitzt der Oligarch in Russland eine sogenannte Trollfabrik namens Internet Research Agency, mit deren Hilfe er die amerikanischen sozialen Netzwerke im Sinne Trumps (und Putins) manipulierte und immer wieder groß angelegte Cyberattacken gegen Regierungen, Politiker und Gegner von Wladimir Putin startet. Im Jahr 2018 verhängten die USA Sanktionsmaßnahmen über Prigoschin und setzen ein Kopfgeld von 250.000 Dollar aus. Seit 2020 steht er auch auf der EU-Sanktionsliste, und zwar wegen des Einsatzes der Gruppe Wagner in Libyen.

Die »Kompanie«

Die Gruppe Wagner ist eine private Organisation, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens steht – Söldnertruppen sind in Russland gesetzlich verboten –, ohne jegliche rechtliche Grundlage agiert und somit offiziell gar nicht existiert. Tatsächlich vertritt sie ausschließlich russische Interessen im Ausland, zum Beispiel in Libyen, Mali, Syrien, der Ukraine und der Zentralafrikanischen Republik, wo sie an der Seite von russischen Militäreinheiten im Kampf stehen. Seit Gründung der Gruppe waren bis zu zehntausend Söldner international im Einsatz.

Auch wenn ihre Ausrüstung aus russischen Armeebeständen stammt, ist die Truppe weder Teil des russischen Militärs noch untersteht sie dessen Befehlen, sondern handelt relativ eigenständig und unabhängig im Rahmen ihrer eigenen Befehls- und Hierarchiestruktur. Ihren ersten Einsatz absolvierte die »Kompanie«, wie sie von ihren Kämpfern genannt wird, im ukrainischen Donbass-Gebiet, wo sie die von Wladimir Putin geförderten Separatistengruppen im Kampf gegen Kiew unterstützten.

Die über Jahre dauernden Einsätze der Gruppe Wagner im syrischen Bürgerkrieg ließen sich Utkin und Prigoschin teuer bezahlen: Wie Autor Gabidullin später erfahren hat, erhielt die Organisation Wagner für ihren Einsatz in Syrien eine Vergütung in Höhe von 25 Prozent der Öl-Einnahmen aus den rückeroberten Quellen bzw. Anlagen. Diese Vereinbarung wurde 2016 in Moskau von Evro Polis, einem Prigoschin-Unternehmen, und dem syrischen Minister für Erdöl und Bodenschätze unterzeichnet. Dass die Wagner-Organisation »über ihre politische Funktion hinaus ein Instrument der Geldbeschaffung für ihre Spitzenfunktionäre geworden ist«, war für den Söldner eine herbe Enttäuschung.

Partner Russland

Die offizielle Inexistenz der Gruppe Wagner ermöglicht es dem russischen Präsidenten, sich nie zu ihr bekennen zu müssen und all jene, die das Gegenteil behaupten, der Lüge bezichtigen zu können. Tatsächlich ist sie für Putin von besonderem Wert: Erstens erspart sich Russlands Armee jede Menge Personal- und Infrastrukturkosten bzw. -ressourcen, wenn statt ihrer der Söldnertrupp die Arbeit übernimmt, zweitens drückt sie damit indirekt Russlands eigenen Gefallenenzahlen, und drittens kann Putin jeden Sieg der Wagner-Truppe seiner eigenen Armee zuschreiben, während er im Falle eines möglichen Misserfolgs die Schuld immer von sich bzw. seiner Armee weisen kann.

Gleich zu Beginn seines Berichts widerlegt Gabidullin die Mär der unsichtbaren Truppe, die es angeblich nicht gibt und von der das russische Militär angeblich keine Kenntnis haben soll: Seine Karriere als Söldner begann nämlich in der Wagner-Rekrutierungszentrale im südrussischen Molkino in der Nähe von Krasnodar, die exakt neben einem Trainingszentrum und einer Kaserne der russischen Armee bzw. des Geheimdienstes GRU angesiedelt ist. Hier absolvierte Gabidullin auch seine dreimonatige Grundausbildung für den Söldnereinsatz.

Der Söldner »Ded«

Marat Gabidullin, geboren 1966, war zehn Jahre lang Soldat der russischen Luftstreitkräfte, bevor er, versehen mit zahlreichen Auszeichnungen, 1993 als Oberleutnant den Dienst quittierte. Danach lief sein Leben aus dem Ruder, er wurde Auftragskiller für einen sibirischen Unterweltboss, saß drei Jahre lang wegen Mordes im Gefängnis und arbeitete nach seiner Entlassung als Sicherheitsmann und Personenschützer.

Im Jahr 2014 trat Gabidullin über Vermittlung eines Freundes der Wagner-Gruppe bei, wo er dank seiner hohen militärischen Qualifikation rasch zum Kommandanten einer Aufklärungseinheit ernannt wurde. Sein reiferes Alter, er war 48 Jahre alt, brachte ihm seinen Kampfnamen »Ded«, also »Großvater« oder »Papa« ein.

Der Autor, Marat Gabidullin. (Quelle: Privat)
Der Autor, Marat Gabidullin. (Quelle: Privat)

Wie für viele ehemalige Soldaten, die nach ihrer Militärkarriere nicht in der Lage waren, sich eine zivile Berufslaufbahn und ein regelmäßiges Einkommen aufzubauen, war auch für Gabidullin der hohe Sold, den die Gruppe Wagner in Aussicht stellte, ausschlaggebend für seine Bewerbung: Während der Ausbildung erhielten die Söldner monatlich 950 Euro, für die ersten Auslandseinsätze 1.500 bis 1.800 Euro und zusätzliche Prämien für jeden Kampfeinsatz. In Summe betrug das monatliche Einkommen bis zu dreitausend Euro – ein für russische Verhältnisse sehr hohes Salär.

Sein erster Einsatz führte Gabidullin in den Donbass in die Ostukraine, darauf folgten vier lange Einsätze in Syrien. Hier war der Söldner Kommandant einer Aufklärungseinheit und zuständig für den Aufbau und die Ausbildung lokaler Milizen. Darunter waren auch die »Wüstenfalken-Brigade«, eine paramilitärische Einheit aus Veteranen der syrischen Armee, die später in das syrische Militär integriert wurde, und die Kampfgruppe »Isis Hunters«, ein Ableger der Organisation Wagner mit ausschließlich einheimischen Kämpfern.

Im Februar 2018 wurde Gabidullin bei einer Explosion lebensgefährlich verwundet. Die massiven Verletzungen führten zu monatelanger Rekonvaleszenz und darüber hinaus zu chronischen Schmerzen und permanenten Erschöpfungszuständen, von denen er sich niemals wirklich erholen sollte. Ein Jahr später reichte Gabidullin seinen Abschied ein. Heute lebt der Veteran in Paris. Er ist der erste Ex-Söldner der Gruppe Wagner, der – noch dazu unter seinem eigenen Namen – über das Leben in der »Kompanie« Auskunft gibt.

Marat Gabidullin, Wagner – Putins geheime Armee. Ein Insiderbericht. 298 S., Econ Verlag, Berlin 2022, Euro 23,70 (A)/Euro 22,99 (D)

Lesen Sie morgen im zweiten Teil unserer Buchbesprechung über die Einsätze in Syrien, über die Inkompetenz der syrischen Armee, den bedingungslosen Kampf des IS und die Gründe, weshalb Marat Gabidullin letztendlich seinen Abschied von der Gruppe Wagner nahm.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir reden Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!