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Türkischer Präsident Erdogan: Benzino Napaloni zu Besuch in Tomanien

Von Stefan Frank

Türkischer Präsident Erdogan: Benzino Napaloni zu Besuch in TomanienEs ist der kurioseste Staatsbesuch des Jahres: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte sich selbst nach Deutschland eingeladen, kein deutscher Politiker war erpicht darauf, ihn zu sehen. Doch kaum war Welt-Korrespondent Deniz Yücel aus dem Gefängnis entlassen, in das Erdogan und seine Helfer ihn – ebenso wie zahlreiche andere Journalisten – gesteckt hatten, kündigte Ministerpräsident Binali Yildirim an, sobald die Große Koalition stehe, werde es „natürlich“ einen Besuch Erdogans in Deutschland geben. Er fügte hinzu, Erdogan wolle auch wieder vor Landsleuten in Deutschland auftreten.

Die Besuche des türkischen Präsidenten in Deutschland sind nämlich eher ein Heimspiel als ein Auslandsbesuch. Das ist einzigartig – oder kann sich jemand vorstellen, dass ein italienisches Staatsoberhaupt Deutschland besucht und eine Rede vor Zehntausenden jubelnden Italienern hält?

Die in Deutschland lebenden Türken sind noch loyaler zu Erdogan als die in der Türkei. Das zeigte sich erst am 24. Juni bei den türkischen Präsidentschaftswahlen. In der Türkei gewann Erdogan 52 Prozent der Stimmen, in den 13 Wahllokalen in den türkischen Konsulaten in Deutschland erheilt er hingegen 66 Prozent. In Essen waren es gar 76 Prozent. „Deutschland bleibt Erdogan-Bastion“, fasste die Frankfurter Allgemeine den Wahlausgang zusammen. Nach Bekanntwerden der ersten Prognose feierten auf deutschen Straßen Tausende Erdogan-Fans mit Autokorsos hupend und Fahnen schwenkend, mancherorts bis nach Mitternacht.

Erdogan ist bei weitem nicht der erste autoritäre Herrscher, der in der Bundesrepublik mit militärischen Ehren empfangen wird und ein Staatsbankett erhält, und er wird nicht der letzte sein. Dass sein Besuch so bizarr wirkt, liegt auch an dem Sommertheater um Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Warum dürfen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Erdogan vor Kameras die Hand schütteln, während zwei Fußballer erst kürzlich deswegen angeprangert wurden?

Der Berliner Tagesspiegel schrieb im Mai: „Zwei deutsche Nationalspieler plaudern mit einem türkischen Despoten. Das lässt sich auch nicht durch doppelte Loyalitäten rechtfertigen.“ Der Stern fragte: „Ilkay Gündogan – Warum warnte ihn kein Berater vor der Erdogan-Huldigung?“ Warum hat niemand Merkel und Steinmeier gewarnt? Gündogan und Özil hatten bloß einen Fototermin mit Erdogan. Für die Show, die Erdogan dieses Wochenende in Deutschland bekommt, gibt es nur eine Analogie, bei Charlie Chaplin: Der Staatsbesuch von Benzino Napaloni, dem Herrscher Bakterias, bei Tomaniens Diktator Anton Hynkel.

 

Der Erdogan-Gruß

Türkischer Präsident Erdogan: Benzino Napaloni zu Besuch in Tomanien
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Wie Napaloni und Hynkel grüßt auch Erdogan mit erhobener Hand, wobei er den Daumen einzieht, so, als würde er die Zahl vier zeigen. Die Geste bedeutet die Solidarisierung mit der radikalen Muslimbruderschaft, Erdogan verwendet sie seit 2013, und zwar bei fast jeder Rede. Sie wird „Rabba“ oder „R4bia“ genannt. Ein Beitrag auf der Website des amerikanischen Monatsmagazin The Atlantic erklärte 2013 den mutmaßlichen Ursprung des Handzeichens. Es beziehe sich auf die ägyptische Rabaa-al-Adawiya-Moschee, wo es am 13. August 2013 zu einer gewaltsamen Konfrontation zwischen Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Morsi – der der Muslimbruderschaft angehört – und der ägyptischen Armee kam, bei der Hunderte von Unterstützern Morsis getötet worden sein sollen. Auf Arabisch, so die Erklärung, heiße „Rabba“ vier oder „der vierte“, so entstand das Zeichen. „Offenbar begann es spontan, als türkische Fußballspieler ein Tor geschossen hatten und die vier Finger in die Luft reckten – um die Opfer des Massakers von Rabaa al-Adawiya zu unterstützen, wie sie behaupteten. Bald darauf nahm der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan das Symbol an und machte es populär. Höchstwahrscheinlich war Rabaa eine clever inszenierte Kampagne der Türkei, um Erdogan auf eine sympathische Weise mit der Bruderschaft zu verbinden.“

Es ist auch ein antisemitisches Zeichen, denn für den Sturz Morsis macht Erdogan Israel verantwortlich: „Wer steckt dahinter? Israel. Wir haben Beweise.“ Auf einem Twitter-Account, der ganz der Frage „Wofür steht R4bia?“ gewidmet ist, heißt es unter den Antworten (jeweils auf Türkisch und Englisch): „R4bia ist ein Symbol der Freiheit“; „R4bia ist Gerechtigkeit für jeden, der gegen die verfaulten westlichen Werte ist“; „R4bia ist der Lichtstrahl, der die Mörder aufdeckt, die sich im Dunkeln verstecken“. Das dazugehörige Foto zeigt die „angeleuchteten“ Gesichter Assads, al-Sisis und Netanjahus. In einem anderen Tweet heißt es: „R4bia ist das Ende der Zionisten“ – nicht etwa das Ende des Zionismus, sondern der Zionisten, ein antisemitisches Codewort für Juden.

Nicht nur bei T-Shirt-Verkäufern in der Jerusalemer Altstadt, sondern auch bei Propagandaveranstaltungen dschihadistischer Bewegungen in Israel war das Symbol in den vergangenen Jahren beliebt, wie man auf Fotos vom „Al-Quds-Tag“ sehen kann, den die Islamische Bewegung/nördlicher Zweig 2013 veranstaltete (2015 wurde die Organisation verboten).

 

„Demokratische Realitäten“

Türkischer Präsident Erdogan: Benzino Napaloni zu Besuch in Tomanien
Martin Schulz setzt Trump mit Erdogan gleich

Gegen die Kritik aus der Opposition verteidigt die Bundesregierung den Staatsbesuch mit dem Klischee, dass es ja nur Gutes bringen könne, wenn man miteinander rede: Der Deutschen Presse-Agentur sagte Maas, dass es zwar Teil der „demokratischen Realitäten“ in Deutschland sei, dass der Besuch von Präsident Erdogan öffentlich kritisiert werde. „Die Konsequenz daraus kann aber nicht sein, dass Herr Erdoğan nicht mehr nach Deutschland kommen kann. Im Gegenteil: Es gibt sehr viele Dinge, die wir miteinander zu besprechen haben.“ Erdogan, der die deutschen für Nazis hält, will nun einen „Neustart“ in den Beziehungen.

Unterdessen wurde bekannt, dass die Türkei eine App eingeführt hat, mit der man auch von Deutschland aus im Handumdrehen Regimegegner anzeigen kann. Die FAZ meldet:

„Erdogan-kritische Türken werden in Deutschland offenbar mithilfe einer App der Zentralbehörde der türkischen Polizei denunziert. Die Smartphone-Anwendung, über die das ARD-Magazin Report Mainz am Dienstag berichtete, heißt ‚EGM Mobil‘. Die Abkürzung EGM steht für ‚Emniyet Genel Müdürlüğü‘, die Zentralbehörde der türkischen Polizei. Die App steht im Google-Play-Store und im App-Store von Apple zum kostenfreien Download zur Verfügung. Sie ermöglicht es laut ‚Report Mainz‘, kritische Kommentare türkischstämmiger Personen in sozialen Netzwerken direkt bei den türkischen Behörden anzuzeigen.“

Das Bankett bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird für Erdogan sicherlich kein reines Vergnügen. Bundeskanzlerin Merkel wird nicht da sein, dafür kommt aber der grüne Bundestagsabgeordnet Cem Özdemir, den Erdogan für einen „Terroristen“ hält, mit dem er nicht einmal im selben Gebäude sein will. Angesichts von Erdogans Prügelgarde weiß Özdemir um die Gefahr, in die er sich begibt: „Das sind zum Teil Leute, die ins kriminelle Milieu gehören, die Erdogan begleiten. Das wissen wir alles. Ich gehe mal davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland sich entsprechend vorbereitet hat, auch was die Sicherheitsvorkehrungen angeht. Ich bin trainiert, wenn’s drauf ankommt.“ Erdogans „Neustart“-Terminologie interpretiert Özdemir so:

„Ich übersetze das mal ins Deutsche: ‚Ich brauche Geld. Ich habe Schulden. Mir steht das Wasser bis zum Hals. Helft mir!’ Das ist das, was Erdogan auf gut Deutsch sagt. Seiner Presse erzählt er es ein bisschen anders. Da sagt er: ‚Deutschland hat seinen Fehler eingesehen. Und wir sind bereit Deutschland zu vergeben.’ Nur damit wir wissen, wer uns hier besucht. Genau in der Tonlage sollten wir uns mit ihm unterhalten.“

Bei der Eröffnung der neuen Ditib-Moschee in Köln wird dann wieder alles so sein, wie es Erdogan gefällt. Zehntausende seiner Anhänger werden herbeiströmen, während Kölns Oberbürgermeisterin der Feier fernbleiben wird. „Noch drei Tage vor der Eröffnung ist der Ablauf und unter anderem die Rolle der Stadt Köln völlig ungeklärt“, erklärte Henriette Reker (parteilos) am Mittwoch in Köln. Sie sei enttäuscht über den Umgang des staatlichen türkischen Religionsverbands Ditib mit Vertretern der Stadtgesellschaft. „Ich bedauere es sehr, dass die Gesamtumstände des Besuches des türkischen Präsidenten dazu geführt haben, dass ich den Entschluss fassen musste, der Eröffnung der Moschee fernzubleiben.“

Reker ist verärgert, weil Ditib zwar mit der feierlichen Eröffnung des seit zwei Jahren fertigen Baus bis zum Besuch Erdogans wartete, aber keinerlei Interesse an ihr als Vertreterin der Stadt Köln hat. „Die Ditib legte immer Wert darauf, auch Vermittler für den Islam zu sein und eine Begegnungsstätte sein zu wollen. Jetzt kommt der türkische Staatspräsident, und damit ist sie erkennbar verlängerter Arm der türkischen Regierung. Die Moschee ist ja schon lange in Betrieb. Die offizielle Eröffnung hätte auch viel früher stattfinden können“, so Reker. Die Erkenntnis, dass Ditib Erdogans verlängerter Arm ist, hätte Reker freilich auch früher haben können. Wie dem auch sei, Erdogan und seine Anhänger bleiben eben am liebsten unter sich. Sein Besuch in Deutschland ist eigentlich kein Staatsbesuch. Erdogan hält in Deutschland Hof wie ein König des Mittelalters in einer seiner Pfalzen.

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