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Muslimbruderschaft und Iran: Langwährende Beziehung und wachsende Gefahr

Irans Führer Khamenei übersetzte Werke des Muslimbruder-Führers Qutb (li.) ins Persische
Irans Führer Khamenei übersetzte Werke des Muslimbruder-Führers Qutb (li.) ins Persische (© Imago Images / United Archives International)

Viele überrascht die Beziehung zwischen den Muslimbrüdern und der Islamischen Republik im Iran. Denn Teheran gehört zum schiitischen Islam, während die Muslimbruderschaft dem sunnitischen Islam zugehört – zwei islamische Glaubensrichtungen, zwischen denen es erhebliche historische Konflikte gibt.

Was theoretisch unwahrscheinlich bis undenkbar erscheint, sieht in der Realität jedoch ganz anders aus: die Muslimbruderschaft unterhält historisch enge Beziehungen zu den Führern des iranischen Regimes, die der offiziellen Errichtung dieser Islamischen Republik im Jahr 1979 vorausgingen und bis heute andauern.

Ein Gerücht wird bestätigt

Der bislang letzte große Hinweis auf die enge Beziehung zwischen den beiden Parteien waren die 2019 durchgesickerten Informationen über ein Treffen zwischen Ibrahim Munir, dem damaligen amtierenden Generalführer der Muslimbruderschaft, der wichtigsten Position in der Gruppe, und führenden Vertretern der iranischen Revolutionsgarden in der Türkei.

Den Auskünften zufolge wurden bei diesem geheimen Treffen Einzelheiten über die Koordinierung zwischen den beiden Parteien in vielen Bereichen des Nahen Ostens, wie Syrien, dem Irak und Saudi-Arabien, besprochen.

Die durch undichte Stellen öffentlich gemachten Informationen wurden bestätigt, als Munir in einem Presseinterview später im Jahr 2019 das geheime Treffen mit der Delegation der iranischen Revolutionsgarden zugab. Mounir machte in diesem Interview deutlich:

„Wir wissen, dass der Iran die Muslimbruderschaft respektiert und ihre Glaubwürdigkeit und Positionen schätzt. Das Treffen war eine Gelegenheit, ihnen unsere Ansichten und die Dimension unserer Positionen darzulegen, und wir haben voll und ganz betont, dass wir mit unserer Arbeit für den Islam und die Muslime und die Stabilität der Region stehen.“

Jahre zuvor hatte der aus den Reihen der Muslimbrüdern stammende ägyptische Präsident Mohammed Mursi im Februar 2013 den ehemaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad in Kairo empfangen. Es war der erste Besuch eines iranischen Präsidenten in Ägypten seit der Islamischen Revolution von 1979, als die Beziehungen zwischen den beiden Ländern einen völligen diplomatischen und politischen Bruch erlebten.

Presseberichte und hochrangige ägyptische Beamte sprachen auch von einem Besuch des Anfang 2020 von den USA getöteten Befehlshabers der Revolutionsgarden-Auslandseinheit „Quds Force“, Qassem Soleimani, in Kairo. Soleimani habe die ägyptische Hauptstadt im Jahr 2013 mit einem gefälschten Pass besucht und sei dabei mit Führern der Muslimbruderschaft zusammengetroffen.

Historische Wurzeln

Die Beziehung zwischen der Muslimbruderschaft und den Gründern bzw. Vertretern des Mullah-Regimes ist jedoch nicht neu. Vielmehr reichen ihre Wurzeln bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück.

So sagte etwa Tharwat al-Kharbawi, einer der einflussreichsten Führer der Bruderschaft über viele Jahrzehnte hinweg, bevor er sich von ihr abspaltete, dass der Beginn der Beziehungen der Muslimbruderschaft zu schiitischen Führern im Iran im Jahr 1934 liegt, als Rashid Taha, einer der historischen Führer der Muslimbruderschaft, in der Zeitschrift Al-Manar einen Artikel über die Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten schrieb.

„Viele Jahre nach Erscheinen dieses Artikels erfuhr ich von einigen, die in dieser Zeit gelebt hatten, dass der Gründer der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna, seinem Lehrer Rashid Taha die Idee nahebringen wollte, Sunniten und Schiiten zusammenzubringen. Taha aber lehnte dies ab und schrieb seinen Artikel in der Zeitschrift Al-Manar als eine Antwort auf al-Bannas Pläne.

Nach vielen Jahren des Streits zwischen Taha und al-Banna erfuhr ich auch, dass al-Banna nicht auf die Meinung seines Lehrers hörte und 1938 in Kairo einen schiitischen Führer empfing und ihn den Führern der Muslimbruderschaft im Namen von Ruhollah Sayyid Mustafa Mousavi vorstellte.“

Mousavi war in Wirklichkeit Ayatollah Ruhollah Khomeini, der spätere Gründer des gegenwärtigen iranischen Regimes, so die Aussage von al-Kharbawi, der dies auch in seinem Buch „Imams of Evil: Brotherhood and Shiites. A Nation Playing in Secret“ schrieb, das 2013 veröffentlicht wurde.

Nach Angaben der arabischen Ausgabe der Zeitung Independent besuchte Khomeini 1938 Hassan al-Banna am offiziellen Sitz der Muslimbruderschaft im Kairoer Stadtteil Darb al-Ahmar, aber niemand, der an dem Treffen teilnahm, dokumentierte die Einzelheiten der Gespräche.

Häufige Treffen …

Taqi al-Din al-Qummi, einer der Führer der Schiiten im Iran, besuchte 1939 ebenfalls Ägypten und traf sich mit Hassan al-Banna und einigen Scheichs der Al-Azhar-Moschee in Kairo, um die Annäherung zwischen den Konfessionen zu besprechen. 1947 kehrte Al-Qummi nach Ägypten zurück und traf erneut mit Al-Banna zusammen.

1954 besuchte Mojtaba Merlouhi, bekannt als Nawab Safavi, Ägypten und traf Sayyid Qutb, einen der historischen Führer der Muslimbruderschaft, was den Weg für den großen Einfluss von Qutb auf schiitische Führer ebnete. Mojtaba Merlouhi alias Nawab Safavi war der Gründer der ersten militanten bewaffneten Gruppe im Iran, die er „Fedaijin des Islam“ nannte, bevor der schiitische Führer 1956 im Iran hingerichtet wurde und seine Anhänger sich Khomeini anschlossen.

Die Beziehungen zwischen der Muslimbruderschaft und den schiitischen Führern endeten jedoch nicht an diesem Punkt. Tharwat al-Kharbawi enthüllte, dass die Koordination zwischen der ägyptischen Gruppe und den Iranern bis zur Islamischen Revolution von 1979 andauerte:

„Ich war Student an der juristischen Fakultät der Ain Shams Universität (in Kairo), als die iranische Revolution ausbrach. Wir gingen auf Anweisung der Führer der Muslimbruderschaft auf Massendemonstrationen der Studenten, um die iranische Revolution zu unterstützen, und wir schrieben in der Universitätszeitschrift, dass Khomeini das Beispiel und das Modell sei, und all das geschah unter der Anleitung der Führer der Bruderschaft.”

Nach dem Erfolg der iranischen Revolution schickte die Muslimbruderschaft eine offizielle Delegation zu einem Treffen mit Khomeini nach Frankreich, zu der auch der als Kontaktperson fungierende Geschäftsmann Youssef Mustafa Nada und Muhammad Abdul Rahman Khalifa, der allgemeine Beobachter der Muslimbruderschaft in Jordanien, gehörten.

Nach Angaben von Al-Kharbawi vereinbarten die Delegation der Muslimbruderschaft und Khomeini die Gründung einer Organisation der Muslimbruderschaft im Iran, die unter dem Namen „Predigt und Reform“ agieren sollte.

Nach der Rückkehr Khomeinis in den Iran besuchte eine Delegation der Muslimbruderschaft unter der Leitung von Nada und dem Führer des syrischen Zweigs, Ghaleb Hemmat, Teheran und traf mit Khomeini zusammen, um verschiedene Angelegenheiten zu besprechen.

… und lange Beziehungen

Nach dem Tod Khomeinis im Jahr 1989 schrieb der vierte Führer der Muslimbruderschaft, Hamid Abu Al-Nasr, in einer Erklärung, dass „Imam Khomeini der Führer ist, der die islamische Revolution gegen die Tyrannen erfolgreich geführt hat.“

Mahdi Akef, der siebte Führer der Bruderschaft, sagte 2008 in einer Presseerklärung über seine Unterstützung für eine Annäherung an den Iran:

„Ich sehe, dass es keine Einwände dagegen gibt, da wir 56 sunnitische Länder in der Organisation der Islamischen Konferenz haben, warum also Angst vor dem Iran haben, der das einzige schiitische Land der Welt ist.“

Darüber hinaus ist der derzeitige iranische Führer, Ali Khamenei, von Sayyid Qutb beeinflusst. So hat Khamenei zwei Bücher von Qutb ins Persische übersetzt.

In einem Bericht der Website European Eye on Radicalization, der 2019 veröffentlicht wurde, heißt es:

„Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Organisationen des politischen Islams als unter den Muslimen allgemein.

Das Potenzial für eine Zusammenarbeit zwischen der Muslimbruderschaft und dem Iran bleibt hoch, und die politischen Entscheidungsträger sollten dies bei der Entwicklung einer Strategie zur Eindämmung sowohl des iranischen Regimes als auch des sunnitischen Extremismus berücksichtigen.“

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