Infolge der nationalen Krise des Irak befinden sich die herrschenden [schiitischen] Parteien in einer Notlage. Ihre Unterstützung in der Öffentlichkeit und ihre alten Bündnisse sind im Schwinden begriffen. Zudem sind diese Parteien durch Spaltungen und interne Kämpfe zerschlissen. Nur die antisunnitische Koalition im Parlament hält sie noch zusammen. Das plötzliche Bedürfnis nach einem politischen Wandel ergibt sich aber vor allem auch infolge des Aufstiegs der schiitischen Milizen vor dem Hintergrund ihrer aktiven Teilnahme am Krieg gegen den Islamischen Staat. Die schiitischen Fraktionen befürchten, dass die Anführer dieser kraftstrotzenden Konkurrenten ihre neugewonnene Macht ausnutzen könnten, um die politische Arena zu betreten und sich an künftigen Wahlen zu beteiligen. (…)
Auf jeden Fall bedarf der Irak in der Ära nach dem Islamischen Staat neuer politischer Spielregeln. Politischer Stillstand, demographische Verschiebungen und ungleiche Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg sind nur einige der Herausforderungen, mit denen das Land konfrontiert ist. Der Krieg gegen den Islamischen Staat hat die herrschenden Klassen des Irak im Kern erschüttert. Wenn sie die sektiererischen Spaltungen nicht überwinden und ganz neue Vorschläge für eine ganz neue Zukunft vorlegen, werden die herrschenden Eliten die Macht nicht mehr lange in Händen halten. Man füge dann noch die Unwägbarkeiten hinzu, die die Niederlage des Islamischen Staats mit sich bringen werden – und dem ethnisch und konfessionell ohnehin schon gespaltenen Land könnte eine unsichere Zukunft bevorstehen.“ (Salah Nasrawi: „Can Iraq move beyond sectarianism?“)