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Die Doppelmoral der EU am Beispiel von Schulen im Westjordanland

Was einen großen Teil des Westjordanlands anbelangt, misst die EU mit zweierlei Maß. (© imago images/IPON)
Was einen großen Teil des Westjordanlands anbelangt, misst die EU mit zweierlei Maß. (© imago images/IPON)

Baut Israel in der so genannten Zone C, hagelt es internationalen Protest. Illegale Bauten der Palästinenser werden dagegen von der EU großzügig unterstützt.

Israels Entscheidungen über Bauten in der Zone C des Westjordanlandes erwecken stets höchst unterschiedliche Reaktionen. Geht es um so genannte Siedlungen, ist lautstarker internationaler Protest gewiss. Anders sieht es mit illegalen Bauten der Palästinenser aus: Die werden unter der Rubrik „humanitäre Hilfe“ von der EU ausdrücklich gefördert, selbst wenn ihre Errichtung mit humanitären Absichten nichts zu tun hat, sondern nur dem Zweck dient, Fakten zu schaffen. Laut wird es wieder, wenn Israel ankündigt, gegen diese illegal errichteten Bauten vorzugehen, wie es überall sonst auf der Welt selbstverständlich ist.

Vereinbart, aufgekündigt, aber nicht klein beigegeben

Das Oslo-II-Abkommen von 1995 regelt, dass die Zone C des Westjordanlandes in zivilrechtlichen wie auch in Sicherheitsbelangen Israel untersteht. Mahmud Abbas, der Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), hat dieses Interimsabkommen bislang nicht bloß mehrfach aufgekündigt, sondern setzt viel daran, die damals getroffenen Vereinbarungen aktiv zu unterlaufen.

Vorangetrieben werden vor allem einige der 2009 vom damaligen PA-Ministerpräsidenten Salam Fayyad vorgeschlagenen „Maßnahmen zum Aufbau einer physischen Infrastruktur“. Zwar fiel der Plan zum angekündigten Aufbau „nationaler Institutionen“ genauso ins Wasser wie die prophezeite palästinensische Staatswerdung innerhalb von zwei Jahren, doch im Hinblick auf einige der Vorhaben in der genannten Zone C, die rund 61 Prozent des Westjordanlandes ausmacht, konnten Erfolge verbucht werden.

Schulisches Vorantasten

Bei den Bewohnern dieses Gebiets handelt es sich mehrheitlich um Israelis: 400.000 wohnen in Siedlungen, ihnen stehen rund 300.000 Palästinenser gegenüber, die verteilt in Dörfern leben.

Obwohl das Gebiet unter israelischer Kontrolle steht, ist die PA vor allem im Bausektor äußerst aktiv. Sie planiert Wege und zieht Gebäude hoch, darunter Schulen. Für Baumaßnahmen sind bei der israelischen Behörde für die Koordination der Regierungsaktivitäten in der Zone C (COGAT) Genehmigungen zu beantragen. 2011 z. B. gingen hier 44 Anträge für die Renovierung oder zum Bau von Schulen für palästinensische Schüler ein. Davon wurden 27 Vorhaben in der ersten Runde genehmigt und 17 erhielten eine Durchführungslizenz, die die PA in fünf Fällen nicht umsetzte.

Seither sind in Zone C laut der israelischen NGO Regavim allerdings 100 Schulen hinzugekommen. Davon wurden

  • 30 auf Ländereien erbaut, die als Staatseigentum und Vermessungsland gelten und israelischen Siedlungen zugesprochen sind;
  • 7 in Manövergebiete der israelischen Armee hineingebaut, darunter auch in Schießübungsareale;
  • 4 in Naturschutzgebieten errichtet;
  • 6 auf archäologischen Stätten aufgebaut; und
  • 3 auf Privatland hochgezogen.

Camouflage mit Rückendeckung

Einige Schulen wirken wie hastig errichtete Behelfskonstruktionen, die vielfach aus Wellblech bestehen. Manchmal wird absichtlich der Baustellencharakter beibehalten. Das geht auf Kosten der Sicherheit der Kinder, erfüllt aber den Zweck, vor israelischen Behörden das Bestehen einer Schule möglichst lange zu verschleiern. Damit zögert man Abrissbefehle hinaus und schafft zugleich nicht nur Fakten vor Ort, sondern kann sie als bestens etabliert ausgeben.

Manche Konstruktionen haben kaum feste Wände, dafür aber Dächer, Wassertanks, Toilettenhäuschen und planierte Spielflächen, die z. T. mit Sonnenschutz versehen sind. Bei einigen der Bauten gibt es nur einen einzigen Klassenraum, andere Projekte sind mehrstöckige Großbaustellen.

In einzelnen Fällen ist der Bedarf nach einer zusätzlichen Schule in einer bestimmten ländlichen Region völlig nachvollziehbar, wenn es etwa darum ginge, lange oder gefährliche Schulwege zu vermeiden oder Überbelegungen zu mindern. Doch oft kann davon keine Rede sein. Die neuen Schulen werden vielfach in geringer Entfernung (einige 100 bis wenige 1.000 Meter) von bereits bestehenden Schulen eingerichtet. Darüber hinaus zeigen Erhebungen, dass die Klassenräume bestehender palästinensischer Schulen nicht überfüllt sind und deren Entlastung also ebenfalls nicht Grund für eine weitere Schule in unmittelbarer Nähe sein kann.

Etliche der Schulen werden bewusst inmitten von Gemeinschaften aufgebaut, denen die PA geopolitisch eine strategische Rolle zur Schaffung durchgängig bewohnter, zonenübergreifender Landstriche zuschreibt. Verwundern darf daher nicht, dass rund 20% dieser illegalen Schulen in der zivilrechtlich der PA unterstehenden Zone B aufgebaut werden, Ausbauarbeiten sie dann aber in die Zone C hineinragen lassen.

Schon von weitem kann man häufig palästinensische Flaggen erspähen. Kommt man näher, fallen ebenso häufig mehrsprachige Hinweisschilder auf die Geldgeber ins Auge. Darauf kann man fast durchgängig ein weiteres Emblem erspähen: das der Europäischen Union, deren Beteiligung weit über die des Finanzgebers hinausgeht.

Katz-und-Maus-Spiel

Dieser ihr von der PA zugedachten Rolle kommt die EU gerne nach. Für 2021 schlug sie bereits Alarm, dass noch nie so viele palästinensische Schulen der Zone C mit Abrissbeschlüssen konfrontiert gewesen wären. Dass es sich dabei um bauliche Strukturen handelt, für die weder Baugenehmigungen noch statische Abnahmen vorliegen, die zur Sicherheit der Schüler- und Lehrerschaft erforderlich sind, scheint irrelevant.

Betont wird der „humanitäre Charakter“ der Förderung, da schließlich alle das Recht auf Bildung haben. Dass Israel wegen des illegalen Charakters nicht für eine Erschließung sorgt, kommt der EU ebenfalls nicht ungelegen. Durch die mit EU-Emblem versehenen Toilettenhäuschen kann man Israel eine doppelte Vernachlässigung seiner humanitären Verpflichtungen ankreiden.

Das geschieht auch, wenn diese „humanitären“ Zwecke offenkundig nur vorgeschoben sind. Etwa, wenn eine Handvoll Palästinenser ohne ersichtlichen Grund von Zone B ins Niemandsland in Zone C umziehen, um sodann dort den „humanitären“ Bedarf nach einer neuen Schule anzumelden. Unter der Hand kann man erfahren, dass die PA, die so gut wie keine Sozialleistungen kennt, sich durchaus großzügig gibt, um derartige Umzüge zu befördern.

Zweierlei Maß

Die der Siedlerbewegung entstammende NGO Regavim beklagt, dass Israel der Errichtung illegaler palästinensischer Bauten in Zone C nicht adäquat mit Abrissbefehlen entgegentritt. Auf der gegenüberliegenden Seite des ideologischen Spektrums monieren dagegen Organisationen wie B´Tselem, dass noch nie so viele Palästinenser der Zone C mit Abrissbefehlen für umstrittene Gebäude konfrontiert gewesen wären.

Tatsächlich haben beide recht: Da die Zahl der illegal errichteten Gebäude über die Jahre massiv angestiegen ist, ist auch die Zahl der Abrissanordnungen gestiegen – auch wenn diese wegen der chronischen Personalknappheit der israelischen Behörde für die Koordination der Regierungsaktivitäten weit davon entfernt ist, mit der Vielzahl der illegal errichteten Bauten Schritt halten zu können.

Unter dem Strich ist der Fall der Schulen in der Zone C ein weiteres Beispiel dafür, mit welche unterschiedlichen Maßstäben die sogenannte internationale Gemeinschaft hier agiert: Kündigt Israel den Bau einer Schule in einer bestehenden Siedlung an, um dem dort tatsächlich bestehenden Bedarf nach neunen Bildungseinrichtungen nachzukommen (und ohne irgendeine der zwischen Israel und der PA getroffenen Vereinbarungen zu verletzten), wird das von EU & Co. umgehend als „illegal“ gebrandmarkt.

Werden dagegen unter Berufung auf einen weitgehend fiktiven Bedarf an palästinensischen Schulen – und ohne Rücksicht auf die Sicherheit der dort angeblich unterrichteten Kinder – zahlreiche Gebäude illegal hochgezogen, so handelt es sich dabei aus Sicht der EU um ein dringend zu unterstützendes „humanitäres“ Unterfangen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

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