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Damals in Stanford, heute in Berkeley: Juden unerwünscht

Campus der Universität Berkeley
Campus der Universität Berkeley (© Imago Images / Xinhua)

Zwei aktuelle Nachrichten werfen Licht auf den Antisemitismus an kalifornischen Eliteuniversitäten. Die private Universität Stanford und die staatliche University of California Berkeley zählen zu den renommiertesten Hochschulen der Welt.

1950er: Beschränkungen für Juden in Stanford

Der Präsident der Universität Stanford, Marc Tessier-Lavigne, gab letzte Woche erstmals im Namen der Universität zu, dass diese in den 1950er Jahren die Zahl der Juden, die sich einschreiben durften, gedeckelt hatte. Bislang hatte die Universität entsprechende Vorwürfe, die seit Jahrzehnten erhoben wurden, stets bestritten.

Im Januar 2022 setzte sie eine Historikerkommission ein, die den Anschuldigungen nachging. Deren Ergebnisse liegen nun vor. Wie die Kommission feststellte, wandte sich der Zulassungsdirektor der Universität Stanford, Rixford Snyder, Anfang 1953 an Frederic Glover, den Assistenten von Universitätspräsident Wallace Sterling. Glover fasste das Gespräch mit Snyder in einer Note für Wallace zusammen:

»Rix ist besorgt, dass mehr als ein Viertel der von Männern eingereichten Bewerbungen von jüdischen Jungen stammen. Letztes Jahr hatten wir 150 jüdische Bewerber, von denen wir fünfzig akzeptiert haben. Die Situation scheint nur auf Männer zuzutreffen, und es scheint keinen Anstieg bei den Bewerbungen jüdischer Mädchen zu geben. Rix sagt, dass die Situation ihn dazu zwingt, unsere bekundete Politik, nicht auf die Rasse oder Religion der Bewerber zu blicken, nicht mehr zu befolgen.«

Wie lässt sich der Anteil der jüdischen Studenten steuern, wenn bei der Aufnahme gar nicht nach der Religionszugehörigkeit gefragt wird, diese also der Universität unbekannt ist? Als die Universität Harvard 1922 Schritte unternahm, den Anteil jüdischer Studenten zu senken, ließ deren Präsident Lawrence Lowell die Vor- und Nachnamen der Bewerber untersuchen und diese in drei Kategorien sortieren:

  • »J1 (fast sicher ein Jude)«
  • »J2 (wahrscheinlich ein Jude)«
  • »J3 (vielleicht ein Jude)«

Für so ein Unternehmen, so der Bericht der Historikerkommission von Stanford, »fehlten Snyder die Ressourcen«. Sein Vorschlag sah vor, zwei High Schools, von denen man wusste, dass sie einen sehr großen Anteil jüdischer Schüler hatten, bei der Berücksichtigung von Bewerbungen weitgehend außen vor zu lassen: die Fairfax High School und die Beverly Hills High School. Die Historikerkommission von Stanford konnte einen »starken Rückgang der Einschreibungen« von diesen beiden Schulen ab Herbst 1953 feststellen.

Fast 70 Jahre später entschuldigte sich nun Universitätspräsident Tessier-Lavigne »bei der jüdischen Gemeinde und der gesamten Universitätsgemeinschaft« sowohl für die Praxis selbst als auch dafür, diese so lange vertuscht und geleugnet zu haben.

2022: »Judenfreie Räume« in Berkeley

»Judenfreie Räume« entstehen dafür nun an der Universität Berkeley. Das berichtete Ende September der Jurist Kenneth L. Marcus, ein früheres Mitglied der Bürgerrechtskommission der US-Regierung, in dem Magazin Jewish Journal aus Los Angeles. Mittlerweile hat die Angelegenheiten heftige Wogen geschlagen.

Worum geht es? Neun Studentenorganisationen an Berkeleys juristischer Fakultät haben im August Satzungen erlassen, die es »Zionisten« – also jedem, der die Existenz des Staates Israel für berechtigt hält –, verbieten, dort als Redner aufzutreten. Es seien keine Gruppen, die nur einen kleinen Teil der Studentenschaft repräsentieren, schreibt Marcus:

»Dazu gehören die Women of Berkeley Law, die Asian Pacific American Law Students Association, die Middle Eastern and North African Law Students Association, die Law Students of African Descent und der Queer Caucus.«

Der Dekan der juristischen Fakultät, Erwin Chemerinsky, schrieb in einer E-Mail an die Website J. – Jewish News of Northern California, er sei »beunruhigt«, dass »ein bestimmter Standpunkt weitgehend davon ausgeschlossen« werde, geäußert zu werden. Es würde bedeuten, dass auch er selbst nicht mehr als Redner eingeladen werden könne, »weil ich die Existenz Israels unterstütze, obwohl ich vieles an seiner Politik verurteile«. Im Gespräch mit dem Magazinfügte er hinzu:

»Zu sagen, dass jeder, der die Existenz Israels unterstützt – das ist es, was man als Zionismus definiert –, nicht sprechen sollte, würde, ich weiß nicht, neunzig Prozent oder mehr unserer jüdischen Studenten ausschließen.»

Marcus schreibt in seinem Artikel im Jewish Journal diesbezüglich:

»Es ist nun ein Jahrhundert her, seit rund um die Bucht von San Francisco judenfreie Zonen entstanden (›Keine Hunde. Keine Juden.‹). Trotzdem wirkt dieser Schritt beängstigend und unerwartet, wie ein nächtliches Hämmern an die Tür.«

Zeitgenössische Zwangstaufe

Rob Eshman, Redakteur des renommierten jüdisch-amerikanischen Magazins Forward, stellt die Angelegenheit hingegen als Sturm im Wasserglas dar: Die Medienaufmerksamkeit rühre nur daher, dass Barbra Streisand und andere Prominente den Artikel des Jewish Journal auf Twitter geteilt hätten, glaubt er. Es gebe nämlich »keine judenfreien Zonen in Berkeley«. Die Regeln richteten sich ja schließlich nur gegen »Zionisten«.

Eine sehr schlichte Argumentation. Dieser Logik nach hätte die Universität Stanford auch nie eine Politik zur Diskriminierung jüdischer Bewerber gehabt (was sie ja auch lange so darstellte).

Marcus hat inzwischen einen Folgebeitrag mit dem Titel »Berkeleys judenfreie Zonen sind schlimmer, als Sie denken« veröffentlicht. Darin macht er auf den zuvor wenig beachteten Umstand aufmerksam, dass »Zionisten« die Einzigen sind, gegen die es in den betreffenden Studentenorganisationen ein Redeverbot gibt. Es gebe, so Marcus, keine derartige Regel gegen Rassisten, Homophobe oder Vergewaltiger. So dürfte David Duke vom Ku-Klux-Klan in den jeweiligen Berkeley-Organisationen als Redner auftreten, denn er hasst zwar Schwarze und Juden, ist aber kein Zionist, sondern verabscheut Israel ebenso wie diejenigen, die die Regel gegen »Zionisten« aufgestellt haben.

David Pearle, der jüdische Journalist, der 2002 von islamistischen Terroristen in Pakistan entführt und enthauptet wurde, hätte nicht in Berkeley sprechen dürfen, »seine Mörder hingegen schon«, so Marcus, der auf eine Parallele zum Deutschland des 19. Jahrhunderts aufmerksam macht: So, wie Juden damals zum Christentum hätten konvertieren müssen, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, so würden »amerikanische Juden gezwungen, zum Antizionismus zu konvertieren, um an Berkeleys zivilgesellschaftlichen Institutionen mitzuwirken«. Er fürchtet, dass die Bedeutung dieses Themas weit über Berkeley hinausreicht:

»Berkeley ist nicht Las Vegas. Was dort passiert, bleibt nicht dort. Was dort anfängt und dort Erfolg hat, breitet sich anderswohin aus. Und täuschen Sie sich nicht: Juden zum Schweigen zu bringen, ist die Art, wie solche Geschichten anfangen, nicht die Art, wie sie aufhören. Manche in der jüdischen Community sagen, dass wir darüber zu alarmiert seien. Das echte Problem ist, dass wir nicht alarmiert genug sind.«

Was früher an der Spitze der Universität Stanford entwickelt wurde und heute in Basisgruppen der Universität Berkeley, sind Strategien gegen Juden. Man wollte es damals nicht zugeben, und man nennt es auch heute nicht so. Doch in beiden Fällen ist es klar zu erkennen.

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