Ungeachtet der Behauptungen des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama ist die auch als »Vatikan des Islams« bekannte Al-Azhar-Universität in Ägyptens Hauptstadt Kairo alles andere als tolerant.
Andrew Bostom
»Seit über tausend Jahren ist die Al-Azhar-Universität ein Leuchtturm islamischer Gelehrsamkeit«, erklärte der damalige US-Präsident Barack Obama im Juni 2009 in einer Rede in Kairo. Obama meinte weiters, »der Islam [pflege] an Orten wie Al-Azhar eine stolze Tradition der Toleranz«.
Der erste Teil von Obamas Aussage ist richtig: Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts ist die Al-Azhar-Universität, die ägyptische Beobachter als »Vatikan des Islams in theologischen Fragen« bezeichnet haben, als führendes Zentrum der sunnitisch-muslimischen religiösen Bildung anerkannt.
Am diesjährigen 19. Oktober erließen die maßgeblichen Theologen der Universität nun eine Fatwa zu dem laufenden Konflikt, der durch die Invasion in Israel und das Massaker der Hamas am 7. Oktober ausgelöst worden war. Entgegen den Behauptungen Obamas über die »Gelehrsamkeit« und »Toleranz« von Al-Azhar und ohne jegliche Erwähnung des Gemetzels der Hamas legte die Fatwa fest, dass alle israelischen Bürger legitime Ziele dschihadistischer Gewalt seien.
75-jährige Tradition
Im Einklang mit dem vorsätzlich ignorierten Erbe des Dschihads im historischen Palästina, das bis ins siebte Jahrhundert zurückreicht, ist diese Fatwa Teil einer 75-jährigen Tradition, die seit der Staatsgründung Israels den dschihadistischen Völkermord an den israelischen Juden sanktioniert.
Nach der Abstimmung der Vereinten Nationen über die Teilung Palästinas schrieb der amerikanische Schriftsteller Kermit Roosevelt in einem Essay in der Saturday Evening Post im Dezember 1947: »Die Gefahr ist ein Dschihad, ein heiliger Krieg, der von den Moscheen in jedem Dorf gepredigt wird. Wird ein Dschihad ausgerufen, sind sein Umfang und sein Ende unvorhersehbar. Die arabischen Regierungen könnten mit der Zeit gezwungen sein, ihn anzuerkennen und sich ihm anzuschließen.«
Roosevelts Befürchtungen wurden prompt in die Tat umgesetzt. Geistliche der Al-Azhar-Universität veröffentlichten drei Fatwas, in denen die muslimische Umma (Gemeinschaft) weltweit zum Dschihad aufgerufen wurde, um Israel zu vernichten. Sie wurden nach Bekanntgabe des Teilungsplans von 1947, nach Israels Unabhängigkeitserklärung von 1948 und nach der Niederlage der arabischen Armeen Ende 1948 veröffentlicht. Diese Al-Azhar-Edikte waren von klassischem islamischem Dschihadismus und konspirativem Judenhass geprägt.
Sieben Jahre nach den Waffenstillstandsvereinbarungen von 1949 zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten wurden am 5. Januar 1956 vom damaligen Großmufti von Ägypten, Scheich Hasan Ma’moun, und am 9. Januar 1956 zwei weitere Fatwas erlassen. Eine davon wurde von den führenden Mitgliedern des Fatwa-Komitees von Al-Azhar unterzeichnet und enthielt eine erneute und ausführlichere Begründung für den Dschihad gegen die Juden in Israel. In den Rechtsgutachten wurde behauptet, das gesamte historische Palästina sei nach seiner Eroberung durch den Islamdauerhaft in Besitz der weltweiten muslimischen Umma: Es sei »Beute« oder »Beutegut«, das auf ewig dem islamischen Recht unterworfen werden sollte.
»Die Muslime können mit den Juden, die das Territorium Palästinas usurpiert und die Menschen und ihr Eigentum dort angegriffen haben, keinen Frieden schließen, der es den Juden erlaubt, als Staat auf diesem heiligen muslimischen Territorium zu bleiben. Die Juden haben einen Teil Palästinas eingenommen, dort ihre nicht-islamische Regierung errichtet und die meisten muslimischen Einwohner aus diesem Teil evakuiert. …
Der Dschihad … zur Rückgabe des Landes an sein Volk … ist die Pflicht aller Muslime, nicht nur derer, die ihn durchführen können. Da alle islamischen Länder der Wohnsitz eines jeden Muslims sind, ist der Dschihad sowohl für die Muslime, die in dem angegriffenen Gebiet leben, als auch für die Muslime überall sonst zwingend erforderlich, denn auch wenn einige Teile nicht direkt angegriffen wurden, so fand der Angriff doch auf einem Teil des muslimischen Territoriums statt, der für jeden Muslim ein legitimer Wohnsitz ist. …
Jeder weiß, dass die Juden von den Anfängen des Islams bis zum heutigen Tag gegen den Islam, die Muslime und das islamische Heimatland intrigiert haben. Sie wollen sich nicht mit dem Angriff auf Palästina und die Al-Aqsa-Moschee begnügen, sondern planen den Besitz aller islamischen Gebiete vom Nil bis zum Euphrat.«
Islamisierung des arabischen Nationalismus
Ein Jahr nach dem entscheidenden Sieg Israels im Sechstagekrieg 1967 berief die Al-Azhar-Universität die Vierte Konferenz der Akademie für Islamische Forschung in Kairo ein, an der prominente muslimische Theologen nicht nur aus dem Nahen Osten, sondern auch aus Asien, Afrika und Europa teilnahmen. Diese ebenso zukunftsträchtige wie widerwärtige Konferenz markierte die offizielle Aufgabe des pseudosäkularen arabischen Nationalismus als ideologische Begründung für den Konflikt mit Israel.
Die Konferenzprotokolle wurden 1970 in englischer Sprache veröffentlicht und waren 1971 Gegenstand einer bahnbrechenden Analyse durch den verstorbenen Historiker David Littman. Er fasste die sechs wichtigsten »wiederkehrenden Themen« der Konferenz wie folgt zusammen:
- Die Juden werden häufig als die »Feinde Allahs« bezeichnet.
- Die Juden manifestieren in sich selbst eine historische Kontinuität böser Eigenschaften, wie sie im Koran beschrieben werden.
- Die Juden stellen kein wahres Volk oder keine wahre Nation dar.
- Der Staat Israel ist die Krönung der historischen und kulturellen Verderbtheit der Juden. Er muss durch einen Dschihad zerstört werden.
- Die Überlegenheit des Islams über alle anderen Religionen wird als Garantie dafür angepriesen, dass die Araber letztendlich triumphieren werden.
- Es ist ungeheuerlich, dass die Juden, die vom arabischen Islam traditionell in einem gedemütigten, minderwertigen Status gehalten und als feige bezeichnet werden, die Araber besiegen, ihren eigenen Staat besitzen und die Schrumpfung des Dar al-Islam (Haus des Islams) verursachen.
Diese Vernichtungstheologie wurde von der Al-Azhar-Universität weiterhin vertreten, wobei Muhammad Sayyid Tantawi, Großimam von 1996 bis 2010, und sein Nachfolger Ahmed al-Tayyeb diese Tradition des Dschihadismus und des islamischen Judenhasses jeweils verstärkten. Sowohl Tantawi als auch Tayyeb befürworteten Selbstmordattentate und die Tötung von Kindern und Frauen, die nicht am Kampf teilnehmen.
Tantawi, ein führender moderner Korankommentator, hat in seinen maßgeblichen Auslegungen die virulentesten Themen des koranischen Judenhasses vertreten, darunter die Beschreibung der Juden als »Affen und Schweine« (Koran 5:60), deren unabänderliche Niedertracht ewige Erniedrigung verdient (Koran 3:112). Er forderte die Muslime auf, »Gewalt gegen [die Juden] anzuwenden und sie so zu behandeln, wie ihr es für wirksam haltet, um euch von ihrem Übel zu befreien. Man kann so weit gehen, ihre Religion, ihre Personen, ihren Reichtum und die Existenz ihrer Dörfer zu verbieten.«
In Interviews des ägyptischen Staatsfernsehens von 2013 und 2017 begründete Tayyeb den permanenten muslimischen Hass auf Juden mit Koran 5:82 und sprach von angeblich 1.400 Jahren muslimischen »Leidens durch jüdische und zionistische Einmischung«.
Wie David Littman bereits vor fünfzig Jahren feststellte, fördert die Al-Azhar-Universität Ideen, die »zu dem Drang führen, Israel und die Juden zu liquidieren, also zum Politizid und zum Genozid. Wenn das Böse der Juden unveränderlich und dauerhaft ist, Zeit und Umstände übersteigt und allen Hoffnungen auf Reform widersteht, gibt es nur einen Weg, die Welt von ihnen zu säubern: ihre vollständige Vernichtung.«
Jüdische und alle anderen religiösen und politischen Führer sollten Al-Azhars Verkündigung des »sakralisierten« Judenhasses anprangern. Eine solche Verurteilung ist wohlverdient und längst überfällig.
Andrew Bostom ist Autor von The Legacy of Islamic Antisemitism. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)