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Ägypten: Präsident gegen Scheich

Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi und der Großimam der Al-Azhar, Scheich Ahmed al-Tayeb
Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi und der Großimam der Al-Azhar, Scheich Ahmed al-Tayeb (© Imago Images / ZUMA Wire)

Seit seinem Regierungsantritt im Jahr 2014 versucht Ägyptens Präsident, die Al-Azhar unter staatliche Kontrolle zu zwingen. Doch die bedeutende theologische Institution widersetzt sich ihm.

Im März forderte Präsident Abdel Fattah al-Sisi wiederholt eine Änderung des Scheidungsgesetzes. Konkret soll das männliche Recht der nur mündlich ausgesprochenen Scheidung zukünftig nicht mehr gültig sein.

Wie der Thinktank Carnegie berichtete, hat wenige Wochen nach der Ansprache des Präsidenten der Großimam der Al-Azhar, Scheich Ahmed al-Tayeb, eine internationale Konferenz von Islamgelehrten angekündigt, denn eine Neuregelung des Scheidungsrechts erfordere die Zustimmung islamischer Rechtsgelehrter. Die Botschaft ist klar: Nicht der Präsident, sondern ausschließlich islamische Autoritäten sind befugt, in Ägypten Gesetze zu ändern, die auf islamischem Recht basieren.

Umkämpfte Al-Azhar

Der Machtkampf zwischen den zivilen und religiösen Autoritäten ist nicht neu. Stand al-Tayeb während des Putsches gegen den ehemaligen Präsidenten Mohamed Morsi 2013 noch an der Seite von al-Sisi, lehnte er dessen Politik später ab: Er verurteilte die Tötung von Demonstranten nach dem Putsch und die blutige Auflösung des Sitzstreiks in Rabaa al-Adawiya im August 2013, bei der Armee und Sicherheitskräfte über 800 friedliche Demonstranten töteten.

Die Diskussion um das Scheidungsrecht begann bereits 2017 im Zuge einer Medienkampagne al-Sisis. Der Präsident warf dem Großimam damals vor, den von al-Sisi eingeforderten Prozess der Befreiung des religiösen Diskurses von extremistischen Tendenzen zu behindern. Al-Tayeb wiederum betonte, problematische Texte überprüfen zu lassen, alternative Deutungen und historische Kontextualisierungen zu liefern und generell extremistische Interpretationen zurückzuweisen.

Die Debatte war begleitet von Versuchen, die Macht al-Tayebs zu bescheiden. So drängten regierungsnahe Mitglieder des Parlaments, die Amtszeit des Großimams auf zwölf Jahre zu beschränken und den Rat der Gelehrten, die den Großimam wählen, durch nicht-religiöse, also regierungsnahe Experten zu ergänzen.

Am Ende konnten die Spannungen aber entschärft werden, unter anderem durch Vermittlung von Persönlichkeiten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Al-Sisis Versuch, die Azhar stärker unter staatliche Kontrolle zu bringen, blieb vorerst ohne Erfolg.

Bildungsapparat und Denkfabrik

Gegründet wurde Al-Azhar vor über tausend Jahren von den Fatimiden. Im Lauf der Jahrhunderte entwickelte sie sich zu einem gewaltigen Bildungsapparat mit einem landesweiten Schulnetz, einer großen Universität mit mehreren Zweigstellen innerhalb und außerhalb Ägyptens, zahlreichen Stiftungen und Tausenden von Gelehrten und Scheichs, welche die religiöse Denkschule der Al-Azhar in der gesamten muslimischen Welt von Casablanca bis Jakarta verbreiten. Heute ist die theologische Denkfabrik eine der wichtigsten Quellen von Ägyptens Soft Power.

Während der Herrschaft der Osmanen bis zur Zeit der ägyptischen Monarchie genoss Al-Azhar weitreichende Unabhängigkeit. Der Großimam wurde von einem Gelehrtenrat frei und ohne staatliche Einmischung gewählt. Seit den 1960er Jahren nahm diese Autonomie jedoch erheblich ab. Maßgeblich dafür war ein vom damaligen Präsidenten Gamal Abdel-Nasser erlassenes Gesetz, das der Regierung mehr Macht und Kontrolle über die Institution gab. Infolgedessen verlor die Azhar den Großteil ihrer Stiftungen und finanziellen Mittel und wurde vom Staat abhängig, der wiederum ihre religiösen und pädagogischen Aktivitäten kontrollierte.

Unter Präsident Hosni Mubarak stand Al-Azhar unter strenger staatlicher Kontrolle. Erst der Militärrat, der Ägypten nach dem Sturz Mubaraks 2011 regierte, entließ die religiöse Institution 2012 erneut in die Unabhängigkeit. Grund dafür war, dass die Militärs einen Wahlsieg der Muslimbrüder vorhersahen und durch die Unabhängigkeit der Azhar sicherstellen wollten, dass diese keine Macht über die Institution bekamen.

Die überarbeitete ägyptische Verfassung von 2014 bestätigt, dass der Großimam der Al-Azhar unabhängig ist und von der Regierung nicht entlassen werden kann. Die Azhar bleibt jedoch bezüglich ihrer finanziellen und administrativen Ressourcen vom Staat abhängig.

Gegenseitige Abhängigkeit

Seit dem Staatsstreich von 2013 ist al-Sisis Regierung bestrebt, die religiösen Institutionen des Landes an sich zu binden. Umso mehr, als sich bisher bei jeder Konfrontation zwischen dem Präsidenten und dem Großimam die ägyptische Öffentlichkeit auf die Seite des Imams stellte – ein Problem für den Autokraten al-Sisi, der seit dem Putsch zielstrebig daran gearbeitet hat, oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Die Auseinandersetzung zwischen den politischen und religiösen Autoritäten in Ägypten ist daher noch nicht beendet. Auch wenn der Präsident, selbst ein praktizierender Muslim, dessen Frau Kopftuch trägt, weiß, dass es im Machtkampf mit der Azhar Fingerspitzengefühl braucht.

Die Spannungen zwischen dem religiösen Establishment und der Regierung dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide in gewisser Weise voneinander abhängig sind.

Die Azhar profitiert von einem Regime, das liberale Strömungen eingrenzt. Denn viele Akteure des Arabischen Frühlings von 2011 forderten nicht nur ein Aufbrechen politisch autoritärer Strukturen, sondern kritisierten auch die Dominanz der Al-Azhar. Seit 2011 erwuchs der Azhar zudem Konkurrenz durch andere islamische Bewegungen, vor allem durch Salafisten und Anhänger der Muslimbruderschaft. Beide Bewegungen sind auch der Regierung al-Sisis ein Dorn im Auge.

Umgekehrt nutzten seit Präsident Nasser die verschiedenen politischen Regime Ägyptens die Religion, um ihre Legitimität zu stärken, ein Gegengewicht zu Islamisten zu schaffen und ihren Einfluss in der muslimischen Welt auszuweiten.

Die Azhar ist für al-Sisi daher nützlich, er will ihren Einfluss nicht brechen, aber unter staatliche Kontrolle bringen. Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen haben natürlich ihren Preis: Je mehr Freiheit die religiöse Institution hat, desto mehr Glaubwürdigkeit erhält sie von Muslimen in aller Welt. Der schleichende Verlust ihrer Autonomie und der Verdacht, Sprachrohr des Staates zu sein, höhlen diese Glaubwürdigkeit aus und drohen Ägyptens wichtigste Soft Power zu schwächen.

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