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Libyen: Wird „Konferenzdiplomatie“ den Frieden bringen?

In Genf unterzeichneten die Kriegsparteien aus Libyen ein Waffenstillstandsabkommen. (© <a href="http://www.imago-images.de">imago images</a>/photothek)
In Genf unterzeichneten die Kriegsparteien aus Libyen ein Waffenstillstandsabkommen. (© <a href="http://www.imago-images.de">imago images</a>/photothek)

Die Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens für Libyen und eine Reihe weiterer Einigungen geben Anlass für vorsichtigen Optimismus.

In den vergangenen zwei Jahren hat der Konflikt in Libyen mit der Verschärfung der Kämpfe um Tripolis seinen Höhepunkt erreicht. Jetzt ist plötzlich relative Ruhe eingekehrt, nachdem sich die libyschen Konfliktparteien auf einen Waffenstillstand und auf den Beginn einer Reihe von internationalen Friedensgesprächen und -konferenzen geeinigt haben.

Trotz der positiven Zeichen im Libyenkonflikt sind die Zukunftsszenarien noch immer unklar – und einige Experten stellen die Möglichkeit einer endgültigen politischen Lösung in Frage.

Marwa Mohamed, eine prominente Libyen-Forscherin, die für u.a. für die italienischen Onlinezeitungen Nova und Post Internazionale schreibt, sagte gegenüber Mena-Watch, dass in diesen Tagen viele positive Signale aus Libyen kommen, insbesondere nach der Vereinbarung zwischen den libyschen Parteien, eine weitere militärische Eskalation zu vermeiden.

Es habe viele arabische und internationale Initiativen gegeben, um die libyschen Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen, wie zum Beispiel die Treffen in Ägypten und Marokko oder das bevorstehende Treffen in Tunesien im November. Mohamed fügte hinzu: „Eine gut informierte militärische Quelle hat mir bestätigt, dass die militärische Lage ruhig ist und der Waffenstillstand weitgehend eingehalten wird.“

Am 21. August 2020 verkündeten sowohl die von den Vereinten Nationen unterstützte Regierung der Nationalen Übereinkunft in Tripolis als auch das im Osten des Landes ansässige Parlament, das von dem militärischen Machthaber Khalifa Haftar unterstützt wird, einen Waffenstillstand in Libyen, der die monatelangen schweren Kämpfe beendete. Die Leiterin der UN-Unterstützungsmission in Libyen, Stephanie Williams, bestätigte am vergangenen Donnerstag, dass beide Seiten vereinbart hätten, die momentane Ruhe im Land fördern und jede militärische Eskalation vermeiden zu wollen. „Und ich denke, das ist wirklich die optimistischste und positivste Entwicklung, die ich sehen kann“, sagte Williams. Einen Tag danach, am 23. Oktober, unterzeichneten die rivalisierenden Kräfte in Genf schließlich ein Abkommen über den Waffenstillstand.

Auch Wolfgang Pusztai, der Vorsitzende des beratenden Gremiums des „Nationalrats für die Beziehungen zwischen den USA und Libyen“, zeigt sich optimistisch: „Die Aussichten sind derzeit im Vergleich zu den letzten Jahren relativ positiv“. In den vergangenen Wochen gab es mehrere Gesprächsrunden zwischen libyschen Rivalen zu verschiedenen Themen mit ermutigenden Ergebnissen in Marokko, der Schweiz und Ägypten, die man als „Konferenzdiplomatie“ bezeichnen kann, so Pusztai.

In Marokko zum Beispiel haben sich die Delegationen des Repräsentantenhauses (HoR), des international anerkannten Parlaments mit Sitz im Osten, und des Obersten Staatsrats (SSC) mit Sitz in Tripolis über die Aufteilung der Spitzenpositionen in wichtigen staatlichen Institutionen geeinigt. Dazu gehören die libysche Zentralbank, die National Oil Corporation und die libysche Investitionsbehörde, also die wichtigsten Wirtschaftsinstitutionen des Landes.

„Eine wirkliche Stabilisierung des Landes“, so sagte Mena-Watch, „kann aufgrund der tiefen Spaltung und des großen Misstrauens nur dezentral erfolgen“. Er fügte hinzu: „Meiner Meinung nach sollte die frühere föderalistische libysche Verfassung von 1951-1963 in leicht abgewandelter Form für eine Übergangszeit reaktiviert werden.“ Er erklärt weiter: „Änderungen sollten die Ablösung des Königs als Staatsoberhaupt durch einen Präsidialrat und die Hinzufügung einer Formel für die Aufteilung der Öleinnahmen umfassen“.

Zur Sicherheitslage meinte Pusztai: „Die Situation ist nach wie vor äußerst heikel. Eine wirkliche Konsolidierung des Waffenstillstands ist nur durch internationale Überwachung und ein UN-Mandat zu erwarten.“

„Obwohl eine solche Mission wegen der verschiedenen terroristischen Gruppen in Libyen weithin als Risiko angesehen wird, könnte sie eine Aufgabe für die Europäische Union sein“, fügte er hinzu. Pusztai warnte jedoch vor dem Einfluss der Regional- und Weltmächte: „Der Wille der Türkei zu einer nachhaltigen politischen Stabilisierung Libyens, ohne die Kontrolle über das ganze Land zu erlangen, ist fragwürdig. Und die tatsächliche Position Russlands und der Vereinigten Arabischen Emirate ist unklar“.

Trotz der positiven Aussichten schätzt Günter Meyer, Leiter des Zentrums für die Erforschung der arabischen Welt (ZEFAW) an der Universität Mainz, die Situation anders ein. Er nennt zwei Szenarien für die Libyen-Krise. Er erklärte Mena-Watch: „Szenario 1: Vertreter der Kriegsparteien in West- und Ostlibyen einigen sich in den Verhandlungen auf einen dauerhaften Waffenstillstand, eine entmilitarisierte Zone, die Sirte einschließt und durch Truppen der EU gesichert wird, sowie eine Übergangsregierung“. Er fügte hinzu: „Das wäre das Traumszenario der EU, aber eines, das keine Chance hat, verwirklicht zu werden“.

Das zweite Szenario: „Nach der Vereinbarung eines dauerhaften Waffenstillstands rüsten die Kriegsparteien im Westen, hauptsächlich mit türkischer Unterstützung, und im Osten mit Hilfe Ägyptens, der VAE und Russlands ihre Truppen personell und durch Waffenlieferungen so weit auf, dass die Kämpfe nur noch mit viel größerer Intensität weitergeführt werden können… das wäre das realistischere Szenario“.

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