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Es gibt keine klaren Antworten: Wie steht es in Israels Gaza-Krieg?

Israelische Panzer an der Grenze zum Gazastreifen
Israelische Panzer an der Grenze zum Gazastreifen (© Imago Images / Xinhua)

Der Krieg Israels gegen die Hamas dauert jetzt schon dreieinhalb Monate und in Israel ist man darauf eingestellt, dass er in der einen oder anderen Form auch noch bis ins Jahr 2025 weitergehen könnte.

Es ist, als wäre man in eine Art Kriegsalltag hineingeschlittert; die Meldungen klingen jeden Tag gleich und das Medieninteresse in der Welt hat stark nachgelassen.

Aber ist Israel jetzt eigentlich dabei, den Krieg zu gewinnen? Wo halten wir, und wo führt das hin? Es sind drückende Fragen, die in Israel ständig hin und her gewälzt werden. Aber es gibt keine präzisen Antworten darauf. Die Situation ist verwirrend, und das in fast jeder Hinsicht.

Drei Phasen in drei Abschnitten

Verwirrend ist zunächst die Uneinheitlichkeit des Kampfgeschehens. Von Anfang an war klar gewesen, dass es drei verschiedene Phasen der Kriegsführung geben würde. Grundsätzlich sollten die Phasen aufeinander folgen, aber nun steckt man gleichzeitig in allen drei Phasen in jeweils drei verschiedenen Teilen des Gasastreifens.

In der Nordhälfte befindet man sich schon in Phase drei: Israel hat dort im Wesentlichen jetzt die militärische Kontrolle. Daher haben die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) dort ihre Truppenkonzentration verdünnt: Statt intensiven, großräumigen Kämpfen sehen wir gezielte Kommando-Vorstöße gegen einzelne Terrornester der Hamas auf der Basis von nachrichtendienstlichen Hinweisen.

Im Raum von Khan Yunis in der Südhälfte des Gazastreifens steht man hingegen noch in Phase zwei: Hier sind Bodentruppen, unterstützt von Luftwaffe und Artillerie, in intensive Kämpfe verwickelt. Flächendeckend von Gebäude zu Gebäude suchen israelische Soldaten systematisch nach Hamas-Stellungen mit dem Ziel, die Brigaden und Bataillone der palästinensischen Dschihadisten zu besiegen. Durch die Ausschaltung möglichst vieler Offiziere will man die Befehlsketten kappen und die Hamas als militärische Struktur zerschlagen – verbunden mit der physischen Zerstörung von Kommandozentralen, Kampftunneln, Waffenfabriken, Munitionslagern, Raketenwerfern.

Und dann ist da noch der Südzipfel des Gazastreifens rund um Rafah, wo man sich noch in Phase eins befindet. Hier operieren die Israelis nicht mit Bodentruppen, sondern (wie im Oktober im Norden des Gazastreifens) mit möglichst präzisen Luftangriffen gegen Hamas-Einrichtungen. Das ist aber wesentlich komplizierter, als es im Oktober im Norden war, weil sich ja jetzt in diesem Gebiet viele Hunderttausend, aus dem Norden geflüchtete Zivilisten zusammendrängen.

Langsam und vorsichtig

Kommt Israel also jetzt einem Sieg näher? Die Führung in Jerusalem sagt: Ja, aber wir müssen geduldig sein. Andere wiederum zweifeln daran. Im Norden hat Israel schneller und unter (relativ) geringeren Verlusten »gewonnen«, als man es erwarten konnte. Verglichen damit kommt die Armee im Raum von Khan Yunis jetzt nur schleppend voran.

Einer der Gründe dafür ist, dass die Hamas offenbar schon früh (durch unterirdische Tunnel und unter die Flüchtlingsmassen gemischt) viele ihrer Kräfte aus dem Norden abgezogen hat, um sich in und unter Khan Yunis zu verschanzen.

Ein zweiter Grund ist, dass die Hamas ihre Taktik umgestellt hat. Sie geht dem offenen Kampf aus dem Weg und setzt auf Nadelstiche und Fallen im Guerillastil.

Ein dritter Grund ist der Ursache geschuldet, dass keine Armee der Welt, so hört man von israelischen Militärs, jemals so eine Art von Krieg hat führen müssen, nämlich zeitgleich über der Erde im dichtverbauten Stadtgebiet und unter der Erde in weit verzweigten befestigten Tunneln, die Hunderte Kilometer lang sind. Hier müsse man sehr vorsichtig vorgehen und lerne täglich dazu.

Die Geiseln

Wie ist es nun mit den Geiseln? Die beiden offiziellen Kriegsziele – Zerschlagung der Hamas und Befreiung der Geiseln – scheinen auf den ersten Blick im Widerspruch zueinander zu stehen. In der israelischen Führung glaubt man hingegen, dass beides Hand in Hand gehe: Wenn überhaupt etwas, dann könne nur starker militärischer Druck die Hamas dazu bewegen, ernsthafte Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln zu führen.

Die Bedingungen, welche die Hamas jetzt stellt, also der Abzug der israelischen Truppen, die Fortsetzung der Hamas-Herrschaft im Gazastreifen und die Freilassung aller palästinensischer Terroristen einschließlich der Massenmörder vom 7. Oktober würden auf eine Kapitulation Israels hinauslaufen und seien absurd. So gesehen, müsste man den Krieg entschlossen und ausdauernd fortsetzen, auch über viele, viele Monate, um die Hamas weichzuklopfen. Zugleich befinden sich die Geiseln in einer Hölle und können nicht mehr lange durchhalten. Auch hier ringt man also um Antworten, die es nicht wirklich gibt.

Was kommt »am Tag danach«?

Ähnlich ist es mit der Kernfrage: Wer übernimmt? Viele im In- und Ausland, an der Spitze US-Präsident Joe Biden, möchten von Israel jetzt wissen, was eigentlich nach dem angestrebten Sieg mit dem Gazastreifen geschehen soll. Biden hat, in Ermangelung etwas Besseren, die entschlafene Zwei-Staaten-Lösung zu neuem Leben erweckt, obwohl niemand eine Ahnung hat, wie sie herbeigeführt werden soll.

Experten warnen jedenfalls, dass die Armee klare Vorgaben brauche, um sich mittel- und langfristig entsprechend aufzustellen. Und wenn in den Gebieten, in denen die Hamas ausgeschaltet ist, nicht gleich eine neue politische Ordnung etabliert wird, würde die Hamas schleichend zurückkehren und alle militärischen Errungenschaften würden wieder verlorengehen.

Es gibt aber auch die umgekehrte These: Kein Mensch kann jetzt sagen, wie der Gazastreifen in zwei, sechs oder zwölf Monaten aussehen wird: Die Ordnung »am Tag danach« und wer dabei welche Rolle übernehmen kann und will, wird davon abhängen, wie der Krieg ausgeht.

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