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Wenn Extremisten den Juden den Tempelberg streitig machen wollen

In Jordanien gibt es – wieder einmal – Streit um den Friedensvertrag mit Israel, diesmal wegen des Tempelbergs. Darüber berichtet die Organisation MEMRI, die Medien der arabischen Welt beobachtet, dokumentiert und übersetzt.

Am 19. August kam das jordanische Parlament zu einer Sondersitzung zusammen, um über die Lage in Jerusalem zu debattieren, nachdem es auf dem Tempelberg zu Ausschreitungen gekommen war. Am Sonntag, 11. August, hatten Juden den Trauertag Tisha B’av begangen, an dem der Zerstörung des ersten und zweiten Tempels gedacht wird, Muslime hatten das Opferfest Eid al-Adha gefeiert.

Um Konflikte zu vermeiden, hatte die Jerusalemer Polizei zunächst angekündigt, an diesem Tag keine jüdischen Besucher auf den Tempelberg zu lassen. Als es trotzdem zu Ausschreitungen militanter Muslime kam, revidierte die Polizei die Entscheidung und erlaubte Juden den Zugang zum Tempelberg, worauf die Krawallmacher mit noch mehr Gewalt reagierten. Wenige Tage später hatte zudem eine Äußerung von Gilad Erdan, Israels Minister für öffentliche Sicherheit, für Ärger in Jordanien gesorgt. Erdan hatte einem Radiosender gesagt:

„Ich glaube, es gibt eine Ungerechtigkeit im Status quo, der seit 1967 existiert. Wir müssen daran arbeiten, das zu ändern, so dass Juden in Zukunft, mit Gottes Hilfe, auf dem Tempelberg beten können.“

 Verwaltung durch die Waqf

Hier kommt Jordanien ins Spiel. Nach dem Sechs-Tage-Krieg machte der damalige israelische Verteidigungsminister Mosche Dayan ein großes Zugeständnis an Jordanien und die Muslime. Er vereinbarte in einem bilateralen Vertrag mit dem Königreich, dass Juden zwar den Tempelberg ungehindert betreten, nicht aber dort beten dürften. Zudem wird das Plateau des Tempelberges – von Muslimen Al-Aqsa-Gelände oder Haram al-Sharif (Edles Heiligtum) genannt – gemäß dem Abkommen von der jordanischen Religionsbehörde (Waqf) verwaltet, während Israel für die Sicherheit der Besucher, aber auch der Moscheen zuständig ist.

Israelische Sicherheitskräfte haben die Moscheen seither gewissenhaft geschützt und in all den Jahren nur selten versagt: Vor ein paar Tagen, am 21. August, jährte sich zum 50. Mal der von einem australischen Touristen 1969 verübte Brandanschlag auf die Kanzel der Al-Aqsa-Moschee. Der Anschlag hatte damals in der islamischen Welt weitreichende Folgen: Reaktionen darauf waren u.a. der Putsch Gaddafis in Libyen am 1. September 1969 sowie die Gründung der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) am 25. September 1969. Und am 11. April 1982 tötete der 38-jährige gebürtige Amerikaner und israelische Soldat Alan Harry Goodman auf dem Tempelberg drei Muslime und verletzte Dutzende. Vor Gericht gab er an, der „Messias“ zu sein und plädierte auf Schuldunfähigkeit wegen Wahnsinns. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Juden auf dem Tempelberg

Wenn Extremisten den Juden den Tempelberg streitig machen wollen
Mugrabi-Tor (By Onceinawhile, CC BY-SA 4.0)

In den letzten Jahren ist das Thema des jüdischen Gebets immer wichtiger geworden. Die Haltung des israelischen Oberrabbinats ist, dass Juden den Tempelberg nicht einmal betreten dürften; ein entsprechendes Warnschild hängt am Mugrabi-Tor, dem einzigen Tor, das für Nichtmuslime geöffnet ist (und auch nur zu bestimmen Zeiten: dann, wenn keine muslimischen Gebetszeiten sind).

Der Grund dafür ist, dass das Oberrabbinat der Ansicht ist, dass Juden (durch den Kontakt mit Toten) in einem Zustand der Unreinheit seien und die für den Zutritt zum Tempel notwendigen Reinigungsrituale (mit Asche eines bestimmten „roten Kalbs“) heutzutage nicht mehr möglich seien. Da zudem nicht bekannt ist, wo genau der Tempel stand, erließ es ein das gesamte Areal betreffendes Zutrittsverbot.

Dieser Position wurde in den letzten Jahren von etlichen Rabbinern widersprochen, weswegen anders als früher heutzutage auch religiöse Juden den Tempelberg besuchen. Radikale Muslime versuchen dies als „Verletzung des Status quo“ darzustellen, bezahlen Gruppen von Frauen dafür, den jüdischen Besuchern aufzulauern und sie bei ihrem Eintreffen zu beschimpfen, und wiegeln zu Krawallen auf. In Wahrheit war Juden das Betreten des Tempelbergs laut dem Abkommen mit Jordanien seit 1967 immer gestattet, doch haben die meisten Juden lange Zeit freiwillig – bzw. wegen des vom Oberrabbinat ausgesprochenen Verbots – darauf verzichtet.

Beten auf dem Tempelberg

Mit dem Beten verhält es sich etwas anders. Mosche Dayan war dies wahrscheinlich ohnehin nicht so wichtig, und schon gar nicht auf dem Tempelberg, den er eher als eine archäologische denn als religiöse Stätte des Judentums betrachtete. „Indem er den Juden das Recht gab, den Berg zu besuchen, trachtete Dayan danach, die jüdischen Forderungen nach Souveränität und Ausübung des Glaubens zu befrieden. Indem er die religiöse Souveränität den Muslimen gab, glaubte er, die Stätte als Zentrum des palästinensischen Nationalismus zu entschärfen“, schreibt der israelische Historiker Nadav Shragai, ein Spezialist für den Tempelbergkonflikt, in einem Aufsatz für das Jerusalem Center for Public Affairs.

Erdans Forderung, Juden das Gebet auf dem Tempelberg zu erlauben – und sei es auch, wie er betonte, nicht unilateral, sondern im Zuge diplomatischer Verhandlungen –, zog umgehend eine empörte Reaktion des jordanischen Außenministeriums nach sich.

Jordanische Drohungen

Spannungen in Jerusalem sind freilich nicht der Grund, warum radikalislamische Abgeordnete im jordanischen Parlament die Auflösung des Friedensvertrags mit Israel fordern; sie sind für sie eher ein Anlass, die Position zu wiederholen, die sie ohnehin immer vertreten. Ähnliche Konflikte gab es in den letzten Jahren u.a. um die Gaspipeline, die zukünftig Erdgas aus Israel nach Jordanien transportieren wird und für die jordanische Wirtschaft sehr wichtig ist, von radikalen Ideologen aber vehement abgelehnt wird.

Ein ähnliches Theater gab es auch diesen Monat wieder. MEMRI berichtet, dass das Parlament eine Reihe von Empfehlungen verabschiedet habe, darunter die Ausweisung des israelischen Botschafters, die Abberufung des jordanischen Botschafters aus Tel Aviv, Stopp „aller Formen der Normalisierung mit Israel“ und die „Überprüfung“ des jordanisch-israelischen Friedensvertrages von 1994.

„Parlamentssprecher Al-Tarawneh, der die Sitzung leitete, rief die Regierung dazu auf, der israelischen Regierung klarzumachen, dass der Friedensvertrag in Gefahr sei“, so MEMRI. Der jordanische Außenminister Ayman Safadi sagte in der Sondersitzung des Parlaments, Jerusalem sei eine „rote Linie“ für Jordanien und warnte, dass „israelische Schritte die Spannungen verschärfen und einen Streit entfachen könnten, der den globalen Frieden und die Sicherheit bedroht“. Die Regierung habe dem israelischen Botschafter klargemacht, dass „Al-Aqsa und das sie umgebende Gelände – alle 144 Dunam – ein Schrein sind und ein Platz, wo nur Muslime beten dürfen“, so der Außenminister.

Stimme der Mäßigung

MEMRI berichtet, dass viele in jordanischen Tageszeitungen gedruckte Kommentare diese Stimmung wiedergäben. Ein Leitartikel aber steche heraus: der von Fahed Al-Khitan, einem langjährigen Journalisten, der laut MEMRI dem jordanischen Establishment nahesteht. Al-Khitan drängte darauf, Forderungen nach einer Aufkündigung des Friedensvertrages entgegenzutreten. Denn damit riskiere Jordanien, seine Rolle als Wächter der heiligen muslimischen Stätten in Jerusalem zu verlieren. Zudem stehe Jordanien im Konflikt mit Israel um Jerusalem weitgehend allein, schrieb al-Khitan, und beklagte das „Schweigen“ der anderen arabischen Staaten. Obwohl Jordanier Israel als ihren Feind betrachteten, habe Diplomatie eben ihre „eigenen Regeln“, so al-Khitan.

Der Streit in Jordanien ist einer zwischen Pragmatikern und jenen Ideologen, die extremen Organisationen wie der Muslimbruderschaft angehören oder ihr nahestehen.

Pragmatisches Königshaus

Wenn Extremisten den Juden den Tempelberg streitig machen wollen
Netanjahu und König Abdullah (Quelle: U.S. Department of State, U.S. Government Works, cropped)

Das jordanische Königshaus ist in der Regel pragmatisch, sonst gäbe es den Friedensvertrag mit Israel ja nicht. Gleich nach dem Ende des Sechs-Tage-Kriegs 1967 war die israelische Außenministerin Golda Meir nach Amman gereist, um über eine Rückgabe der eroberten Gebiete zu verhandeln. Das scheiterte damals daran, dass Jordanien auf einer vollständigen Rückgabe – inklusive des jüdischen Viertels Jerusalems, Hebrons und der Klagemauer – beharrte, was für Israel nicht akzeptabel war.

Das Problem verschwand, nachdem Jordanien 1988 die Ansprüche auf Jerusalem, Judäa und Samaria an die PLO abgetreten hatte. Damit war der Streit um Gebiete und Grenzen keiner mehr, der Jordanien betraf.

Zudem war die PLO ja ihrerseits in Friedensverhandlungen mit Israel eingetreten, was es Jordanien erlaubte, Gleiches zu tun, ohne deswegen als Verräter beschimpft zu werden (Radikale erhoben den Vorwurf natürlich trotzdem). Auch erhoffte sich Jordanien wohl, die 1991 wegen seiner guten Beziehungen zum Irak unter Diktator Saddam Hussein getrübten Beziehungen zu den USA zu verbessern – was dann ja auch geschah.

Auch sicherheitspolitisch ist das Denken des jordanischen Königshauses von Pragmatismus geprägt. Ende 2000 wurden in Großbritannien Geheimdienstberichte freigegeben, die zeigen, dass König Hussein im September 1970, auf dem Höhepunkt seines Konflikts mit der PLO, als er ein Eingreifen Syriens und einen Umsturz fürchtete, eine Geheimnote nach Großbritannien schickte: Er bat Großbritannien, Israel in diesem Fall um eine Intervention in Jordanien zu ersuchen (der britische Premierminister Edward Heath lehnte es ab, Husseins Wunsch zu übermitteln, weil er glaubte, dessen Tage auf dem Thron seien ohnehin gezählt).

Pragmatismus aus Schwäche

Es gibt noch eine andere Seite. Pragmatiker in Jordanien wissen auch, dass Jordanien ohnehin militärisch zu schwach ist, um Israel zu besiegen. In diesem Sinne äußerte sich der ehemalige jordanische Ministerpräsident Abdelsalam Al-Majali (1993-1995), in dessen Amtszeit Jordanien 1994 das Friedensabkommen mit Israel geschlossen hatte, letztes Jahr in einem Fernsehinterview. Er sagte:

„Nun, was kann man tun? Man hat das Land an eine militärische Kraft verloren. Man hat keinerlei Macht. Alles, was man tut, ist reden. Die Araber haben keinerlei Macht. Wenn wir jemals militärische Macht haben, werden wir zulassen, dass sie [die Israelis] Haifa behalten? Wir werden es nehmen. Wenn wir morgen stärker werden und Haifa mit Gewalt nehmen können, werden wir das wirklich ablehnen, weil wir ein Abkommen mit ihnen haben?“

Was er meinte: Ob Jordanien ein Friedensabkommen mit Israel hat oder nicht, ist in der Praxis nicht wirklich von Bedeutung. Darum kann man es ebenso gut behalten und die Vorteile genießen. Ohne Friedensabkommen hätte Jordanien Nachteile, ohne etwas zu gewinnen. Und wenn Jordanien irgendwann stark genug wäre, Israel in einem Krieg besiegen zu können, würde es das tun, ob mit oder ohne Friedensvertrag. Auch das ist Pragmatismus.

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