Von Stefan Frank
Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat am 27. September einer Klage des radikalen Anti-Israel-Aktivisten Christoph Glanz stattgegeben und geurteilt, dass die Stadt Oldenburg mit der Art und Weise, wie sie im Mai 2016 einen bereits geschlossenen Mietvertrag mit ihm annullierte, rechtswidrig gehandelt habe. Schon während des Verfahrens hatte der vorsitzende Richter Wolfgang Osterloh betont, dass es nicht darum gehe, ob BDS Räume überlassen werden müssten, sondern allein um die Aufhebung des bereits geschlossenen Mietvertrags und deren Begründung.
Zum Hintergrund: Im Mai 2016 wollte der Gesamtschullehrer Christoph Glanz in einem großen städtischen Gebäude der Stadt Oldenburg, das für wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen genutzt wird – dem Kulturzentrum PFL –, eine antiisraelische Veranstaltung durchführen; diese trug den Titel „BDS – die palästinensische Menschenrechtskampagne stellt sich vor“.
Glanz, der sich auch Christopher Ben Kushka nennt, hatte im Mai 2016 bereits national und international Schlagzeilen gemacht. So hatte er etwa in der Oldenburger Zeitschrift der Lehrergewerkschaft GEW eine Artikel veröffentlicht, in dem Israel „ethnische Säuberungen“ vorgeworfen wurden. Um dafür zu werben, den Staat Israel durch Boykotte gegen Menschen und Waren zu zerstören, mietete er im April 2016 einen Raum im PFL für 70 Personen. Wie der Richter darlegte, hatte sich Glanz telefonisch danach erkundigt, ihm sei beschieden worden, er könne jederzeit vorbeikommen und den Vertrag zur Überlassung des Raums unterschreiben. Erst als die Veranstaltung im Mai angekündigt wurde und es von vielen Oldenburgern scharfe Reaktionen gab, führte die Stadt Oldenburg Nachforschungen durch, um was für eine Art von Veranstaltung es sich handelte. Sie annullierte den Vertrag und berief sich auf zu erwartende Störungen der öffentlichen Ordnung.
Richter: Aufhebung des Mietvertrags war Verwaltungsakt
Handelte sie damit rechtswidrig? Gleich zu Beginn der Verhandlung in dem vollbesetzten Saal des Oldenburger Verwaltungsgericht rügte der Richter die Stadt Oldenburg dafür, dass sie sich offenbar nicht bewusst gewesen sei, dass sie mit der Rücknahme eines Vertrags einen Verwaltungsakt ausübte und nach ihrem Ermessen handelte. Dies hätte die Stadt in ihrem Schreiben an Glanz anzeigen müssen. Im Urteil heißt es:
„Dem Schreiben vom 13. Mai 2016 lässt sich nicht entnehmen, dass die Beklagte ihr nach den in Betracht kommenden Vorschriften eingeräumtes Ermessen ausübte. Die fehlende Ermessensausübung beruhte zwangsläufig darauf, dass die Beklagte davon ausging, sie könne die Rechtsbeziehung zum Kläger allein dadurch beenden, dass sie auf zivilrechtlicher Ebene vom Vertrag zurücktrete.“
In der Verhandlung merkte der Richter zudem an, dass auch die für Verwaltungsakte vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung gefehlt habe (dass der Bescheid angefochten werden kann). Ohne auf den Charakter der BDS-Bewegung einzugehen, hob der Richter in seinem Urteil zudem die Bedeutung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit hervor. Er betonte aber auch, dass es in dem Verfahren nicht darum gehe, ob die Stadt Oldenburg der BDS-Bewegung Räume hätte stellen müssen, sondern ob der Verwaltungsakt, mit dem sie von dem bereits geschlossenen Mietvertrag zurücktrat, rechtmäßig war. Wegen des „Ermessensnichtgebrauchs“, so das Urteil, sei es „nicht möglich, die fehlende Ermessensausübung durch im Klageverfahren nachgeschobene Ermessenserwägungen zu heilen“. Das heißt: Da juristisch betrachtet keine Ermessensausübung stattgefunden hat, sind alle Ermessensgründe, die vonseiten der Stadt Oldenburg genannt wurden (Gefährdung der öffentlichen Ordnung; die Befürchtung, dass Veranstaltungen, die zur selben Zeit im PFL stattfanden, beeinträchtigt werden könnten; antisemitischer Charakter der BDS-Bewegung) von vornherein nichtig.
Christoph Glanz war mit seinem Anwalt und vier weiteren Unterstützern gekommen, darunter Ronnie Barkan und Majed Abusalama, die kürzlich in Berlin eine Veranstaltung mit der israelischen Holocaustüberlebenden Deborah Weinstein gestört hatten. An die Ausführungen seines Anwalts, der weitgehend juristisch argumentiert hatte, schloss Glanz einen politischen Vortrag an, in dessen Zuge er Israel einen „Apartheidsstaat“ nannte. Er erklärte dem Richter, wie wichtig dieser Prozess angeblich sei: Er sei als „Antisemit“ stigmatisiert worden und andere deutsche Städte würden unter Hinweis auf den Fall Oldenburg der BDS-Bewegung Räume verweigern.
Andrea Reschke, die Vertreterin der Stadt Oldenburg, konzentrierte sich in ihrem Vortrag auf die damals von der Stadt Oldenburg befürchteten Störungen; ausschlaggebend sei ein Flugblatt gewesen, das Glanz selbst im Mai verbreitet habe. Darauf habe er geschrieben, er rechne mit einer Störung der Veranstaltung durch „einschlägige Kreise – das wird spannend“. Zudem habe es Warnungen des Staatsschutzes gegeben. An dieser Stelle erhob Glanz’ Anwalt Einspruch: Von solchen Warnungen sei in den Prozessakten keine Rede, das Einreichen dieser Information sei „verspätet“. Sie hätten aber auf das Urteil ohnehin keinen Einfluss gehabt.
Zu der vom Richter als prozessrelevant genannten Frage, ob sich ein ähnlicher Fall wiederholen könne, sagte Frau Reschke, dies sei nicht möglich: 2016 habe es für die Vergabe von Räumen im PFL nur „interne Regeln“ gegeben; inzwischen aber gebe es offizielle Regeln und einen offiziellen Widmungszweck des PFL. Beides schließe von vornherein aus, dass die Räume von Personen oder Gruppen genutzt würden, die gegen die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung verstießen. Dies sei bei Antisemitismus und Aufrufen zum Boykott Israels der Fall, so Andrea Reschke; so habe es auch das Bundesverfassungsgericht im NPD-Verbotsverfahren gesehen.
Ein weiterer Antrag von Glanz zur Anmietung von Räumen im PFL hätte also von vornherein keine Chance, womit die Stadt Oldenburg nicht noch einmal in die Lage kommen wird, eine bereits gegebene Zusage zurücknehmen zu müssen – was juristisch, wie der Fall zeigt, weitaus schwieriger ist. Das Gericht stellt in seinem Urteil ausdrücklich fest, „dass dieses Urteil nicht bedeutet, dass der Kläger künftig ohne Weiteres einen Anspruch auf Zulassung zum städtischen Kulturzentrum PFL besitzt“.
Stadt Oldenburg: BDS muss draußen bleiben
Andrea Reschke ist dafür zu danken, dass sie einen Rechtsirrtum ansprach, mit dem die Unterstützer der Boykottbewegung immer wieder kommen: Dass ihnen das Recht auf freie Meinungsäußerung genommen werde, wenn ihnen städtische Räume verweigert werden. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit bewirke keinen Anspruch auf Zugang zu öffentlichen Räumen, so Reschke: „Das Recht auf Meinungsfreiheit ist kein Teilhaberecht, sondern ein Abwehrrecht.“ Es sei keine staatliche Pflicht, die Mittel zu geben, um das Recht wahrzunehmen. Darum verstoße die Stadt Oldenburg auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, wie vom Anwalt des Klägers behauptet. Dieser hatte argumentiert, im PFL fänden ja auch Veranstaltungen „zu Afghanistan oder Ostdeutschland“ statt, somit hätte auch die Veranstaltung seines Mandanten dort Raum gegeben werden müsse. Für die Stadt Oldenburg sagte Reschke, dass der Gleichheitsgrundsatz gewahrt sei: Keiner Gruppe, die gegen die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung verstoße, werde ein Raum gegeben – weder BDS noch irgendwelchen anderen Verfassungsfeinden.
Obwohl das Urteil etwas ganz anderes sagt, feiert Glanz auf Facebook und Twitter einen Sieg, der ihm die Türen öffnen werde: „Unser Weg zum Anmieten öffentlicher Räume ist offen; dies wird BDS hier vor Ort den Weg ebnen. Wir sind zuversichtlich, dass dies positive Rückwirkungen auf viele andere Orte in Deutschland haben wird.“
In Wahrheit hat das Urteil außer dem kurzfristigen Propagandaerfolg keinerlei Nutzen für die Boykottbewegung. Im Gegenteil werden viele Kommunen den richtigen Schluss daraus ziehen. Die Lehre aus dem Fall lautet nämlich: Ist bei der Genehmigung der Vielzahl von Veranstaltungen, die täglich in Deutschland in städtischen Räumen angemeldet werden, ein Lapsus passiert, so dass einer BDS-Gruppe ein Raum zugesagt wurde, ist das nur schwer wieder rückgängig zu machen. Umso wichtiger ist es, von vornherein auszuschließen, dass dies überhaupt vorkommt. Dazu ist es gut, offizielle Regeln und Widmungszwecke zu verabschieden, die ausschließen, dass städtische Räume von BDS-Personen oder -Gruppen angemietet werden. Das hat die Stadt Oldenburg inzwischen getan. Entsprechende Resolutionen von Länder- und Stadtparlamenten können das unterstützen. Am 20. September hat der Landtag des größten deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen einstimmig eine Resolution zur Ächtung der BDS-Bewegung verabschiedet. Darin heißt es:
„Seit über 13 Jahren ruft die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) zur Isolation und zum wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Boykott des Staates Israel auf. Die BDS-Bewegung ist in ihren Methoden und Zielen nicht nur antiisraelisch, sondern klar antisemitisch. So erinnert beispielsweise das Anbringen von ‚DON’T BUY‘ Schildern an die dunkelsten Stunden deutscher Geschichte. In Berlin haben BDS-Anhänger ein Podiumsgespräch mit einer Holocaust-Überlebenden gestürmt und diese niedergebrüllt. Das ist eine Schande. […] Antisemitismus, Boykottaufrufe und Diskriminierung jeglicher Art sind zu ächten und zu bekämpfen. Der Landtag tritt vor diesem Hintergrund dafür ein, alle Formen der Unterstützung der BDS-Bewegung einzustellen. […] Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen dürfen der BDS-Kampagne keine Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und keine Veranstaltungen der BDS-Kampagne oder von Grupperungen, welche die Ziele der BDS-Kampagne verfolgen, unterstützen. Wir rufen Städte, Gemeinden, Landkreise und alle öffentlichen Akteure dazu auf, sich dieser Haltung anzuschließen.“
Beobachter, die mit den Beratungen im Oldenburger Stadtrat vertraut sind, erwarten, dass dort noch in dieser Legislaturperiode ein ähnlicher fraktionsübergreifender Beschluss gefasst werden wird. Christoph Glanz, Ronnie Barkan und Majed Abusalama werden in Oldenburg auch in Zukunft vor verschlossenen Türen stehen.