Im Februar wurde Gewalt gegen Frauen in dem Land nach jahrelangen politischen Verhandlungen kriminalisiert. Die Signalwirkung des Gesetztes sollte nicht unterschätzt werden, doch hat es etliche zivilgesellschaftliche Akteure enttäuscht. Es kriminalisiert bestimmte Formen häuslicher Gewalt, bietet neue Formen des Rechtsschutzes, unter anderem mit Blick auf die Verheiratung von Minderjährigen. Außerdem enthält es Vorschriften gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder per Email bzw. SMS. Frauenrechtsaktivistinnen weisen allerdings darauf hin, das Gesetz gehe in seiner Definition der sexuellen Belästigung nicht weit genug und biete Polizisten, Staatsanwälten und Richtern unzureichende Richtlinien für den Umgang mit sexueller Gewalt.
Für Angeklagte, die der sexuellen Belästigung in der Öffentlichkeit überführt werden, sieht das Gesetz Haftstrafen von bis zu sechs Monaten und eine Geldbuße von (umgerechnet) 211 bis 1054 Dollar vor. Doch tun marokkanische Frauen sich schwer damit, in derartigen Fällen Anzeige zu erstatten. Das liege daran, dass Männer so aufgezogen werden, dass sie das Gefühl haben, in der Öffentlichkeit dauernd ihre Männlichkeit unter Beweis stellen zu müssen, so Stephanie Willman Bordat, Gründungspartner von Mobilising for Rights Associates (MRA) in Rabat. Bordat arbeitet seit mehr als siebzehn Jahren mit NGOs, Frauenrechtsgruppen und Anwälten zusammen, um in ganz Marokko die Rechte der Frauen zu fördern. ‚Männer gehen davon aus, dass sie auf die Körper der Frauen ein Anrecht haben. Kulturell wird von ihnen erwartet, dass sie dies verbal zum Ausdruck bringen, sonst steht ihre Männlichkeit infrage‘, erklärt Bordat. ‚Die Gesetze werden nicht angewendet, weil sie nicht geschrieben wurden, um angewendet zu werden. Es handelt sich um ein kosmetisches Gesetz, das angesichts der begrenzten Polizeivollmachten und strengen Beweisregeln kaum durchgesetzt werden kann.‘“ (Olivia Lewis: „‚Hey, sexy‘: Long road ahead to combat sexual harassment in Morocco“)