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Krawalle in Dublin: Antisemiten vermuten Mossad-Verschwörung gegen Irland

Demonstration der antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS in Irland
Demonstration der antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS in Irland (Imago Images / Pond5 Images)

Nach einem brutalen Vorfall, bei dem ein Algerier Kinder mit einem Messer schwer verletzt hatte, kam es in Dublin zu Aufständen auf den Straßen und zu massiven Anschuldigungen gegenüber Israel in den sozialen Medien.

Nachdem ein Messerstecher vor einer Grundschule in Dublin am Donnerstag vergangener Woche eine Schulpflegerin und mehrere Kinder lebensbedrohlich verletzt hatte, kam es in der irischen Hauptstadt zu schweren Ausschreitungen und Brandschatzungen, die sich gegen Migranten richteten. Anlass war die über soziale Medien verbreitete Meldung, der Täter stamme aus Algerien. Ein Mob von offenbar mehreren hundert Menschen setzten unter anderem einen Bus, eine S-Bahn, mehrere Polizeiautos und ein Hotel in Brand.

Kaum hatten sich die ersten Nachrichten und Bilder aus Dublin über die sozialen Medien verbreitet – Stunden bevor etablierte deutschsprachige Medien erstmals darüber berichteten –, wurde der Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) bereits von zahllosen Mutmaßungen über eine angebliche jüdische Weltverschwörung überschwemmt: Israel beziehungsweise der Mossad stecke hinter den Krawallen, »die Zionisten« wollten Irland für seine »propalästinensische Haltung« bestrafen.

Keiner der Verschwörungstheoretiker erklärte, wie die israelische Regierung einen marodierenden Mob von mehr als fünfhundert Personen organisiert und ferngesteuert haben könnte. Der Fall zeigt einmal mehr, dass Antisemiten bereit und willens sind, alles zu glauben, was in ihr Weltbild passt.

Es waren Hunderte von Nutzern, die das antisemitische Gerücht verbreiteten. Im Folgenden dokumentieren wir eine Auswahl. Berücksichtigt wurden ausschließlich Accounts mit mehr als sechshundert Followern. Falls die jeweiligen Nutzer selbst ein Herkunftsland angeben, wurde dieses vermerkt.

@hijabibossbabes, Florida, nach eigenen Angaben Kardiologin, 670 Follower: »Habt ihr vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, dass dieses Erstarken der rechtsextremen Anti-Migranten-Bewegung eventuell mit Israel zusammenhängt? Das Ziel ist es, die Mehrheit und die Minderheiten zu spalten, denn gespalten sind wir schwächer als geeint. Bei dieser ganzen Sache ging es nie um Einwanderung, sondern um den Hass auf Muslime.«

@ozbozeth, Australien, 5.300 Follower: »Ganz Europa ist auf dem Weg in die Hölle. Genau wie es die globalistischen Psychopathen wollten. Alles läuft wie geplant. Entlarvung des Zionismus 24/7.«

@EYUPMUSTAFAYEDI, Türkei, 1.600 Follower: »Der Mossad und der CIA haben dieses Chaos angezettelt, weil Irland ein Freund Palästinas ist.«

@xusernxme, Libanon, 6.000 Follower: »Zahlt Irland den Preis für seine Unterstützung für Palästina?«

@PoliticalDMV, Irland, 700 Follower: »Die Situation in Irland ist eindeutig – ein Angriff von außen, der darauf abzielt, die Nation wegen ihrer Unterstützung für Palästina zu spalten und zu demütigen.«

@Jo62Nathan, Australien, 2.600 Follower: »Ist es nicht seltsam, dass Irland Palästina unterstützt, Israel verärgert und jetzt eine Messerstecherei?????«

@stoppression, 8.700 Follower: »Die #DublinRiots sind eine Veranstaltung unter falscher Flagge, die von Zionisten angezettelt wurde, weil Irland Palästina unterstützt und seine Stimme gegen die Aggression der israelischen Terroristen gegen Gaza erhoben hat. #Dublin #Irland #IrelandWithPalestine.«

@nevimkasap, Türkei, 4.900 Follower: »Der Mossad wird überall auf der Welt Terroranschläge verüben und unschuldige Menschen ermorden. Ich rufe die Menschen in der Welt auf: Die Zionisten werden Europa mit Blut überziehen. Netanjahu sagte ohne zu zögern, dass er dem MOSSAD den Befehl gegeben hat, mit den Aktionen zu beginnen. Die Terroranschläge in Dublin wurden vom Mossad verübt. Zionisten töteten unschuldige Menschen. Zionisten töteten auch unschuldige Menschen in Amerika. Mossad = ISIS. ISIS wurde von Israel und Amerika gegründet. Einer der Gründer ist OBAMA.«
(Darunter ein Foto einer blutverschmierten israelischen Flagge, ein Bild Netanjahus mit einer Art blutiger Teufelszunge und der Slogan »Killer!«)

@ilk_brk, Saudi-Arabien, 1.100 Follower: »Die Zionisten schieben die Schuld auf die Menschen in Dublin, lassen Sie sich nicht täuschen, der sogenannte Algerier ist ein Agent!!!! Wacht auf! Mossad-Agenten und Mörder sind auf der Jagd nach Opfern in der Welt!!!«

@MohFitX, 7.200 Follower: »Nach einem mutmaßlichen Terroranschlag unter falscher Flagge durch einen Mossad-Agenten kommt es zu Unruhen. Irland ist für Palästina, also werden die Zionisten es jetzt wahrscheinlich ins Visier nehmen, um eine Javier Milei [der Sieger der argentinischen Präsidentenwahlen] ähnliche Figur zu installieren.«

@Crowsy, Kuwait, 2.000 Follower: »Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Messerstecherei in Dublin von den Zionisten inszeniert wurde, um Muslime/Immigranten schlecht aussehen zu lassen (vor allem die Muslime), um den Iren zu zeigen, dass sie, die sie unterstützen (Palästinenser), undankbar sind. Eine Art Bestrafung für die Iren. Das haben sie auch in Frankreich getan.«

@ULAQMEDYA, Türkei, 11.600 Follower: »Der Zionismus rächt sich an Irland für die Unterstützung Palästinas. Die rechtsextremen Gruppen, die die Zionisten unterstützen, haben die Ereignisse ausgelöst.«

@SilentlySirs, 5.700 Follower: »Wichtige Warnung an die Follower: Die sich entwickelnde Ereignisse in #Irland erscheinen wie ein vorher geplantes Geheimdienstszenario zwischen Mossad und CIA. Der Terroranschlag in #Dublin, der sich gegen Kinder richtete, könnte Teil eines größeren Plans sein, um Zwietracht gegen Araber zu säen. Nach diesen Ereignissen werden wir Zeugen von Hetze gegen arabische #Einwanderer. Die Fäden einer tiefgreifenden Verschwörung entwirren sich, die darauf abzielt, die politische Haltung in Irland neu zu gestalten.«

@Ybahbahani, 13.200 Follower: »Ich bin entsetzt über die brutalen Messerstechereien und Unruhen in meiner geliebten Stadt Dublin, wo ich sieben Jahre lang gelebt habe. Ich kann dort eindeutig die Fingerabdrücke des israelischen Mossad sehen! Warum wurde das friedliche Dublin ins Visier genommen? Weil es die lauteste europäische Stadt war, die die israelischen Massaker in Gaza verurteilt hat!«

Weit verbreitete antisemitische Ansichten

In einem Gastbeitrag, den Mark Regev, der von 2016 bis 2020 Israels Botschafter in Großbritannien war, im Februar in der Jerusalem Post veröffentlichte, bezeichnete er Irland als einen der EU-Staaten, die Israel am feindseligsten gegenüberstehen. In kaum einem anderen EU-Land ist die antisemitische Boykottbewegung BDS so stark. Die irische Sängerin Sarah McTernan, die ihr Land im Mai 2019 beim Finale des Eurovision Song Contest in Tel Aviv vertrat, erhielt anschließend in ihrer Heimat Drohbriefe und Beschimpfungen.

»Es gibt nur sehr wenig unabhängige, unparteiische Berichterstattung, die dokumentiert, was in Israel passiert«, äußerte die frühere irische Europaministerin Lucinda Creighton im Juli gegenüber der Jerusalem Post. Creighton, die als eine der wenigen israelfreundlichen Stimmen in ihrem Land gilt, beklagte, dass die Menschen in Irland »nicht viel darüber hören, dass das Ziel der Hamas die Auslöschung des israelischen Staates ist«. In den irischen Medien gebe es eine ausschließlich kritische Sicht auf Israel und eine wohlwollende auf die Palästinenser: Dies sei das, was die Iren zu hören bekämen und sich dann »mit weit verbreiteten antisemitischen Ansichten vermengt, ohne dass es ein Gegenargument gibt«, so Creighton.

Irlands Regierung profiliert sich immer wieder mit Polemik gegen den jüdischen Staat. Nach den Massakern vom 7. Oktober warf sie Israel vor, auf »Rache« zu sinnen. Damit leugnete sie nicht nur Israels Recht, seine Bürger zu schützen, sondern verwendete gleichzeitig das Klischee vom rachsüchtigen Juden.

Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar wurde vor einigen Tagen scharf kritisiert, nachdem er auf X die Freilassung der neunjährigen israelisch-irischen Geisel Emily Hand so beschrieben hatte: »Dies ist ein Tag der großen Freude und Erleichterung für Emily Hand und ihre Familie. Ein unschuldiges Kind, das verschwunden war, wurde nun gefunden und ist zurückgekehrt, und wir atmen erleichtert auf. Unsere Gebete sind erhört worden.« In einer Community Note merkten Nutzer von X an: »Emily war nicht verschwunden. Sie wurde von Terroristen der Hamas entführt.«

Weniger Juden, mehr Spielraum

Bei einer Debatte über den Konflikt zwischen Israel und der Hamas schrie vor wenigen Tagen ein muslimischer Student am University College Dublin jüdische Studenten an: »Wir werden das, was am 7. Oktober passiert ist, immer wieder und wieder tun! Allahu Akbar!« Zur selben Zeit bekannte sich ein pensionierter irischer Diplomat zu seinem Antisemitismus.

Niall Holohan, der von 2002 bis 2006 als Vertreter der irischen Regierung bei der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah tätig war, meint, dass Irland gegenüber Israel eine Außenpolitik verfolge, die jener der anderen EU-Staaten moralisch überlegen sei, was nur deshalb möglich sei, weil es in Irland nicht viele Juden gebe. Die britische Tageszeitung The Guardian zitierte Holohan so:

»Holohan behauptet, dass ein weiterer Faktor für Irlands Einstellung die winzige Gemeinde von etwa 2.500 Juden ist – kaum 0,05 Prozent der Bevölkerung –, die im Gegensatz zu den großen und einflussreichen jüdischen Gemeinden in Großbritannien und Frankreich steht. Das hat uns mehr Spielraum gegeben, um eine prinzipiellere Position einzunehmen‹, sagte er.«

Das heißt: Je mehr Juden es in einem Land gibt, desto weniger sei dessen Regierung in der Lage, prinzipienfeste außenpolitische Positionen zu vertreten. Je weniger Juden, desto besser. Später löschte der Guardian den letzten Satz des Zitats aus dem Artikel – aus nicht näher erläuterten »redaktionellen Gründen«.

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