Trotz der offiziellen Aufhebung der Anti-Homosexuellen-Gesetze entführen, schikanieren und outen jordanische Sicherheitsdienste LGBTQ-Menschen, um die Gemeinschaft unter Druck zu setzen.
Wie jordanische Quellen berichten, werden in jüngster Zeit verstärkt LGBTQ+-Personen und -Gruppen ins Visier des General Intelligence Directorate (GID) genommen. Der Geheimpolizei wird nicht nur die Schließung von zwei LGBTQ+-Organisationen, sondern auch die Einschüchterung von Homosexuellen vorgeworfen, indem sie diese vor ihren Familien outet.
Menschenrechtsgruppen wissen, dass Aktivisten entführt, schikaniert und überwacht wurden und ihre Sexualität vor religiös konservativen Familien preisgegeben wurde. Der Leiter eines LGTBQ-Zentrums, der um Anonymität bat, beschrieb, wie er von Geheimdienstbeamten in ein Auto gezwungen, verhört und über Nacht festgehalten wurde. Anschließend hätten sie seine Eltern angerufen und ihnen mitgeteilt, dass er homosexuell sei. »Unsere Beziehung war danach ruiniert. Ich musste aus dem Haus meiner Eltern ausziehen.«
Die Aufhetzung der Gesellschaft gegen sexuell von der Norm abweichende Menschen sei Taktik, meinte der Aktivist. »Die Regierung würde dich nicht umbringen oder ins Gefängnis stecken, weil du schwul bist, sie lassen dich vielmehr von deiner Familie töten.« Viele Betroffene, deren sexuelle Orientierung von den Behörden aufgedeckt wird, sind danach mit Gewalt seitens ihrer Familien konfrontiert.
Jordanien ist zwar eines der wenigen Länder des Nahen Ostens, in dem gleichgeschlechtliche Beziehungen entkriminalisiert wurden, jedoch gibt es keinen gesetzlichen Schutz gegen homophobe Diskriminierung; auch steht die öffentliche Meinung sexuellen Minderheiten nach wie vor feindselig gegenüber. Vertreter der Organisation Rainbow Street, die gefährdeten Personen im Nahen Osten und in Nordafrika Schutz und Unterstützung bei Asylanträgen bietet, und des erwähnten LGBTQ-Zentrums erklärten, aufgrund des erhöhten Drucks gezwungen zu sein, ihre Tätigkeit in Jordanien zu beenden.
Die beiden Zentren hatten bereits mehr als tausend Menschen psychische Hilfe, Beratung und Notfallhilfe angeboten und einen sicheren Raum geschaffen, in dem sich Betroffene treffen und austauschen konnten. Viele sind davon überzeugt, dass die gezielte Verfolgung einzelner LGBTQ-Personen durch die Behörden eine abschreckende Wirkung auf die gesamte LGBTQ-Gemeinschaft habe, da befürchtet wird, dass Informanten in die von ihnen benutzten Einrichtungen eindringen könnten.
Die Regierung hingegen bestreitet, dass Homosexuelle im Visier der Sicherheitsbehörden stünden, und erklärt, dass »keine LGBTQ-Organisationen in Jordanien existieren« und »die Sicherheitsbehörden in Jordanien niemals LGBTQ-Personen verhört oder verhaftet haben«. Vielmehr seien die Anschuldigungen von Einzelpersonen erhoben worden, um ihre Chancen auf Asyl im Ausland zu erhöhen. »LGBTQ-Personen sind keine Zielscheiben für die Sicherheitsbehörden, und wenn es Fälle von Festnahmen gibt, stehen diese im Zusammenhang mit der Verletzung anderer Gesetze.«
Verschärfte Repression
Ein ebenfalls anonym bleibender ehemaliger Direktor von Rainbow Street berichtete, bei vielen Gelegenheiten vom GID schikaniert und verhört worden zu sein. So wurde er auf der Straße abgefangen, in ein Auto gedrängt und verhört. Dabei wurde er gewarnt, seinen Aktivismus einzustellen, andernfalls könne er strafrechtlich belangt werden. Später besuchten GID-Agenten sein Haus und sprachen mit seinen Eltern, um sich nach dem Wohlergehen ihres Sohnes zu erkundigen., der meint, mit dieser Aktion sollte ihm mitgeteilt werden, dass die Beamten seinen Eltern jederzeit seine sexuelle Orientierung offenbaren könnten.
Rainbow Street erhielt auch Droh-E-Mails von anonymen Konten, in denen es etwa hieß, der »Ort, an dem ihr arbeitet«, werde vom jordanischen Geheimdienst beobachtet und überwacht. »Ich informiere euch hiermit. Seid nicht dumm. Eure Aktivitäten werden alle überwacht. Hört auf, an diesem Ort zusammenzukommen, oder es wird nicht gut für euch enden.«
Die beiden zitierten Aktivisten haben im Ausland um Asyl angesucht und dabei Hab und Gut, Freunde und Familie zurückgelassen. Keiner von ihnen erklärte seinen Angehörigen die Gründe für ihre plötzliche Abreise, da sie befürchteten, dass ihre Familien dadurch weiteren Repressalien seitens der Sicherheitsdienste ausgesetzt sein könnten. Er hätte nie gedacht, flüchten zu müssen, erzählte einer der beiden, doch eines Tages sei er aufgewacht und habe festgestellt, dass man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
Die leitende Forscherin bei Human Rights Watch (HRW), Rasha Younes, führte aus, dass die jordanischen Behörden seit 2015 hart gegen Homosexuelle vorgingen und ihre Maßnahmen in den letzten Jahren verschärft hätten. »Je mehr Sichtbarkeit die LGBT-Bewegung erlangt hat, desto intensiver wurde das Vorgehen gegen die Gemeinschaft. LGBT-Personen, die sich geoutet haben, berichteten, dass sie ihren Arbeitsplatz verloren und Gewalt in der Familie bis hin zu körperlicher Misshandlung erlitten hätten, in ihrem Leben bedroht wurden und aus dem Land geflohen sind, weil ihnen Verfolgung drohte.«
Die Gründe für die offensichtliche Verfolgung bleiben unklar. Rechtsgruppen sind jedoch der Meinung, dass in Jordanien generell ein umfassenderer Abbau von Bürgerrechten und Freiheiten im Gange sei.