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Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948. Teil 8: Golda Meyerson in Amerika

Die spätere Premierministerin Israel, Golda Meyerson (Golda Meir) im Jahr 1947
Die spätere Premierministerin Israel, Golda Meyerson (Golda Meir) im Jahr 1947 (Quelle: לזר דינר / Public Domain)

Um Waffen kaufen zu können, musste der Jischuv Spenden im Ausland sammeln. Golda Meyerson wurde in die USA geschickt und hielt dort eine bewegende Rede zur Gründung Israels.

»Wir waren natürlich auf einen Krieg völlig unvorbereitet. Dass es uns lange Zeit gelungen war, die arabischen Einwohner mehr oder weniger in Schach zu halten, bedeutete nicht, das wir mit regulären Armeen fertig werden würden. Wir brauchten dringend Waffen, falls wir jemanden fanden, der uns welche verkaufte. Doch bevor wir irgendetwas kaufen konnten, brauchten wir Geld. Es handelte sich nicht um solche Summen wie die, die uns geholfen hatten, das Land aufzuforsten, sondern um Millionen Dollar. Es existierte nur eine Gruppe von Menschen in der ganzen Welt, von denen wir diese Dollar bekommen konnten: die Juden Amerikas. Es gab sonst einfach niemanden, an den wir uns hätten wenden können.«
Aus Golda Meirs Autobiografie Mein Leben (1975)

Ende November 1947 rief David Ben-Gurion seinen aus Wien stammenden Mitarbeiter Ehud Avriel (vormals: Georg Überall), der für Waffenkäufe in Europa zuständig war, in sein Büro und sagte: »Wir müssen unsere Taktik ändern.« Es sei nicht ausreichend, weiter wahllos irgendwelche Waffen ins Land zu schmuggeln. Ben-Gurion zog einen zusammengefalteten Zettel aus seiner Hemdtasche, auf dem notiert war, was er wünschte: 10.000 Gewehre, 2,5 Millionen Patronen, 500 Maschinenpistolen, 100 Maschinengewehre. 

In der Tschechoslowakei ließen sich Waffen besorgen, doch wie sollten sie bezahlt werden? Das Geld konnte nur von Juden aus der Diaspora – aus Amerika – kommen. Der für Finanzen zuständige Eliezer Kaplan wurde entsandt, in den USA Spenden in Höhe von sieben Millionen Dollar zu sammeln. Anfang Januar 1948 kehrte er – mit leeren Händen – zurück. Bei einem Treffen der Jewish Agency in Tel Aviv erklärte er, es sei nichts möglich gewesen; die amerikanischen Juden hätten das Gefühl, während des Krieges und danach bereits genug gegeben zu haben. 

Abstimmung

David Ben-Gurion erklärte daraufhin, er werde selbst in die Vereinigten Staaten reisen. Ben-Gurion und alle anderen in der Jewish Agency waren überzeugt, dass nur er allein in der Lage wäre, die nötigen Spenden aufzutreiben. Aber dass Ben-Gurion in jener Situation, als es täglich Angriffe auf jüdische Dörfer gab, das jüdische Jerusalem von der Außenwelt abgeschnitten war und die Juden Palästinas ums Überleben kämpften, das Land verließ, war undenkbar. 

Bei einer der Sitzungen des Exekutivkomitees der Jewish Agency for Palestine bemerkte Golda Meyerson (später Golda Meir), die Vorsitzende der politischen Abteilung, wie müde und abgehärmt ihre am Tisch sitzenden Kollegen waren. Damals fragte sie sich zum ersten Mal, ob sie sich nicht freiwillig für diesen Auftrag melden sollte. Schließlich hatte sie in den USA bereits mehrfach Geld gesammelt, außerdem sprach sie fließend Englisch. 

Geboren in der Ukraine, war Golda Meyerson als Kind mit ihren Eltern in die USA ausgewandert. Sie wuchs in Wisconsin auf und ging in Denver, Colorado, zur Highschool, ehe sie nach Chicago zog, von wo aus sie 1921 nach Palästina auswanderte. Obwohl sie sich, wie sie in ihrer Autobiografie notierte, »nicht gern selbst anpries«, war ihr klar, dass sie Ben-Gurion diesen Vorschlag machen sollte. Auf ihre Arbeit in Palästina könnte sicherlich ein paar Wochen verzichtet werden. 

Zuerst wollte Ben-Gurion nichts davon wissen. »Nein, ich brauche dich hier«, antwortete er unerbittlich. »Dann stimmen wir darüber ab«, schlug Meyerson vor. Ben-Gurion sah sie eine Sekunde an, dann stimmte er zu. Es wurde abgestimmt. Am 13. Januar 1948 schrieb Ben-Gurion in sein Tagebuch: »Es wurde beschlossen, dass Golda nach Amerika reist.»

Wie Golda Meirs Biografin Francine Klagsbrun schreibt, fand die Reise kurz nach dem gescheiterten »Marsch der fünfunddreißig « statt, die vergeblich versucht hatten, nachts unbemerkt die Blockade der Siedlung Kfar Etzion zu durchbrechen, um dringend benötigten Nachschub dorthin zu bringen. »Sie war lange genug in Palästina, um von dem Gemetzel an fünfunddreißig Haganah-Männern zu erfahren, die meisten von ihnen Studenten der Hebrew University aus prominenten Familien des Yishuv.« Der Kampf dauerte sieben Stunden. Als der letzte Mann tot war, verstümmelten die Araber die Leichen

»Das Gemetzel an den jungen Männern war ein schwerer Schlag für den Yishuv», so Klagsbrun, Verzweiflung und Pessimismus machten sich breit. »In Jerusalem traf Golda die schmerzgeplagten Eltern, teilte ihre Trauer und ihre Tränen. Sie würde die Geschichte mit sich in die Vereinigten Staaten tragen.«

Golda Meyersons Rede in Chicago

Goldas Schwester Clara lebte 1948 in Bridgeport, Connecticut, wo sie Vorsitzende des Wohltätigkeitsvereins Jewish Federation war. Sie begrüßte Golda in den USA und schlug ihr vor, eine Rede vor dem Dachverband, dem Council of Jewish Federations and Welfare Funds, zu halten, der für Ende Januar eine Veranstaltung im Hotel Sheraton in Chicago geplant hatte, zu der zahlreiche Mäzene erwartet wurden. Golda Meir schreibt:

»Mein erster Auftritt vor amerikanischen Juden im Jahr 1948 war ungeplant, unerprobt und natürlich unangekündigt. Außerdem war ich den Leuten, zu denen ich sprach, völlig unbekannt. Es war in Chicago am 21. Januar bei der Generalversammlung des Council of Jewish Federations and Welfare Funds, die nichtzionistische Organisationen waren. Palästina stand (…) überhaupt nicht auf der Tagesordnung.«

Ein weiteres Problem: Die Redezeiten waren vergeben, der Plan ließ sich nicht ändern. Golda Meyerson hielt ihre Ansprache dann zu einer Zeit, für die eigentlich keine Rede eingeplant gewesen war, nämlich während des Mittagessens. Das Klappern des Bestecks verstummte allmählich, die Leute hörten zu. »Ich sprach nicht lange«, so Golda Meir, »doch ich sagte alles, was ich auf dem Herzen hatte«. Sie sagte:

»Freunde, wir haben in Palästina keine Alternative. Der Mufti und seine Männer haben uns den Krieg erklärt. Wir müssen um unser Leben kämpfen, um unsere Sicherheit und für das, was wir in Palästina erreicht haben, und vielleicht mehr als alles andere müssen wir für die jüdische Ehre und jüdische Unabhängigkeit kämpfen. Ohne Übertreibung kann ich euch sagen, dass die jüdische Gemeinschaft in Palästina dies gut macht. Viele von euch haben Palästina besucht; ihr alle habt von unseren jungen Leuten gelesen und habt eine Vorstellung davon, wie unsere Jugend ist.«

Die Juden Palästinas seien »keine bessere Rasse«, sagte sie: »Wir sind nicht die besten Juden des jüdischen Volkes. Es ist nun einmal so, dass wir dort leben und ihr hier. Ich bin sicher, wäret ihr in Palästina und wir in den Vereinigten Staaten, dann würdet ihr euch genauso verhalten und uns bitten, zu tun, was ihr jetzt werdet tun müssen.«

Sie hielt ihre Rede ohne Notizen. Für ein nichtzionistisches Publikum erklärte sie, warum die Juden Palästinas überhaupt wichtig waren:

»Ich bitte Sie mir zu glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht mit dem Sonderauftrag in die Vereinigten Staaten gekommen bin, 700.000 Juden zu retten. In den letzten Jahren hat das jüdische Volk sechs Millionen verloren. Es wäre eine Dreistigkeit von uns, die Juden in der ganzen Welt zu beunruhigen, weil ein paar hunderttausend mehr Juden in Gefahr sind. Das ist nicht die Frage, um die es geht. Es geht um etwas anderes: Wenn diese 700.000 Juden in Palästina am Leben bleiben, dann überlebt das jüdische Volk als Ganzes und die jüdische Unabhängigkeit ist gesichert. Wenn diese 700.000 Juden getötet werden, ist es für Jahrhunderte aus mit dem Traum von einem jüdischen Volk und einem jüdischen Heimatland.«

Der vielleicht ergreifendste Teil der Ansprache handelte von den Konvois:

»Die Jungen und Mädchen, viele von ihnen Teenager, tragen die Last dessen, was in unserem Land geschieht, mit einem Geist, den Worte nicht beschreiben können. Ihr seht diese Jugendlichen in offenen Autos – nicht in gepanzerten Fahrzeugen – in Konvois, die von Tel Aviv nach Jerusalem fahren im Wissen, dass jedes Mal, wenn sie von Tel Aviv oder Jerusalem losfahren, wahrscheinlich Araber hinter den Orangenhainen oder den Hügeln sind, die darauf warten, den Konvoi aus dem Hinterhalt zu überfallen. Diese Jungen und Mädchen haben die Aufgabe, Juden in Sicherheit über diese Straßen zu begleiten, mit einer Selbstverständlichkeit akzeptiert, als wenn sie zu ihrer täglichen Arbeit oder einem Seminar an der Universität gehen würden.«

Meyerson sprach von den fünfunddreißig Männern von Kfar Etzion:

»Fünfunddreißig unserer Jungs haben sich, weil sie nicht mit dem Auto in das belagerte Kfar Etzion fahren konnten, um Hilfe zu bringen, zu Fuß auf den Weg durch die Hügel gemacht; sie kannten die Straße, die arabischen Dörfer auf dem Weg und die Gefahr, der sie sich auszusetzen hätten. In dieser Gruppe waren einige der großartigsten Jugendlichen, die wir im Land haben, und sie alle wurden getötet, jeder von ihnen. Wir haben die Schilderung eines Arabers, wie sie bis zum Ende gekämpft haben, über sieben Stunden, gegen Hunderte von Arabern. Laut diesem Araber wurde der letzte Junge getötet, als keine Munition mehr übrig war, er starb mit einem Stein in seiner Hand.«

Die jüdische Gemeinschaft in Palästina werde »bis ganz zum Ende kämpfen«. »Wenn wir Waffen haben, mit denen wir kämpfen können, werden wir mit ihnen kämpfen, und wenn nicht, werden wir mit Steinen in unseren Händen kämpfen.« Die Opferbereitschaft der palästinensischen Juden zeigte sie auch anhand von gewöhnlichen Zivilisten, mit denen sich viele Menschen leichter identifizieren können als mit Kriegshelden:

»Ich habe gesehen, wie sie aus den Büros in die Kliniken kamen, als wir die Allgemeinheit aufriefen, ihr Blut für eine Blutbank zur Behandlung der Verwundeten zu spenden. Ich habe gesehen, wie sie stundenlang Schlange standen und warteten, um ihr Blut dieser Bank geben zu können. In Palästina wird Blut und Geld gespendet.«

Golda Meyerson machte den Zuhörern klar, dass auch die Tapfersten und Entschlossensten ohne Waffen sich nicht gegen einen haushoch überlegenen Feind würden wehren können:

»Meine Freunde, wir befinden uns im Krieg. Es gibt keinen Juden in Palästina, der nicht glaubt, dass wir schließlich siegreich sein werden. Darin besteht der Geist des Landes … Aber dieser tapfere Geist allein kann es nicht mit Gewehren und Maschinengewehren aufnehmen. Gewehre und Maschinengewehre ohne Geist sind nicht viel wert, doch Geist ohne Waffen kann mit der Zeit zugleich mit dem Körper gebrochen werden. Unser Problem ist die Zeit … Die Frage ist, was können wir sofort bekommen. Wenn ich sofort sage, meine ich nicht im nächsten Monat, ich meine nicht in zwei Monaten. Ich meine jetzt …«

Ihr Appell:

»Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass der Yishuv in Palästina im Negev kämpfen und in Galiläa kämpfen und in den Außenbezirken Jerusalems kämpfen wird bis ganz zum Ende. Ihr könnt nicht entscheiden, ob wir kämpfen sollen oder nicht. Wir werden. Die jüdische Gemeinschaft in Palästina wird vor dem Mufti nicht die weiße Flagge hissen. Die Entscheidung ist gefallen. Niemand kann sie ändern. Ihr könnt nur über eine Sache entscheiden: ob wir in diesem Kampf siegreich sein sollen oder ob der Mufti siegreich sein wird.

Diese Entscheidung können die amerikanischen Juden treffen. Sie muss rasch entschieden werden, innerhalb von Stunden, innerhalb von Tagen. Und ich flehe euch an – kommt nicht zu spät. Bereut nicht in drei Monaten bitter das, was zu tun ihr heute versäumt. Der Zeitpunkt ist jetzt.«

Die Zuhörer weinten, »sie versprachen, Geld in einer Höhe zu spenden, wie sie noch keine Gemeinde je gegeben hatte«, erinnert sich Golda Meir in ihrer Autobiografie. Von Chicago aus bereiste sie weitere Großstädte im ganzen Land, hielt Reden vor jüdischen Organisationen und sammelte Geld. »Ich blieb über sechs Wochen in den Vereinigten Staaten, solange, wie ich es aushielt, von daheim fort zu sein. Die Juden im ganzen Land hörten zu, sie weinten und spendeten Geld. Wenn es nicht anders ging, nahmen sie Geld bei Banken auf, um ihr Versprechen zu halten.«

Als sie am 19. März 1948 nach Palästina zurückkehrte, hatte sie nicht sieben Millionen Dollar an Spenden gesammelt, sondern fünfzig Millionen. Bei ihrer Rückkehr sagte ihr Ben-Gurion: »Eines Tages, wenn die Geschichte geschrieben werden wird, wird man sagen, dass es da eine jüdische Frau gab, die das Geld gefunden hat, das die Gründung des Staates möglich machte.« Golda Meir kommentierte diese Aussage in ihrer Autobiografie mit den Worten: »Ich war mir immer darüber klar: Diese Dollar wurden nicht mir gegeben, sondern Israel.«

In der Serie »Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948« erschienen:

Teil 1: Exodus
Teil 2: Bab el-Wad
Teil 3: Kyrus
Teil 4: Ad Halom
Teil 5: Liebesgrüße aus Moskau
Teil 6: Jan Masaryk
Teil 7: Operation Balak
Teil 8: Golda Meyerson in Amerika

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