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Iran: Seid unsere Stimme!

Solidartätsdemonstration mit den Protesten im Ira
Solidartätsdemonstration mit den Protesten im Iran (© Imago Images / NurPhoto)

Jîna Mahsa Amini, Nika Shakarami, Hadis Najafi, Sarina Esmailzadeh – diese und weitere Namen und die Umstände ihres gewaltsamen Todes stehen symbolisch für den Widerstand gegen das mörderische Regime und den Mut dieser jungen Frauen.

Seit rund vier Wochen gehen im Iran täglich Tausende von Menschen auf die Straße, um gegen das theokratische Regime und das islamistische System zu demonstrieren. Unmittelbarer Auslöser war der Tod der 22-jährigen Kurdin Jîna Mahsa Amini, die in Teheran von der berüchtigten Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie angeblich den Hijab nicht so getragen hatte, wie sich die herrschenden islamistischen Tugendwächter das vorstellen.

Zwei Stunden nach ihrer Inhaftierung wurde Amini von der Polizeistation ins Krankenhaus gebracht, dort lag sie drei Tage lang im Koma, bis sie schließlich starb. Die Behörden gaben einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall als Todesursachen an, doch das war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit frei erfunden. Die junge Frau habe keine gesundheitlichen Probleme gehabt, sagte ihre Familie, Aufnahmen von der Computertomografie zeigten zudem schwerste Kopfverletzungen – die ihr im Polizeigewahrsam zugefügt worden sein dürften.

Aminis offenkundig gewaltsamer Tod war ein Fanal vor allem für viele Frauen im Iran. Bei den Protestdemonstrationen verbrennen sie ihre Kopftücher und schneiden sich die Haare ab. Das Regime reagiert, wie es das immer tut, wenn sich Widerstand regt: mit brutaler Gewalt. Bis zum vergangenen Samstag sind nach Angaben der norwegischen Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights an die 185 Menschen im Zuge der Proteste getötet worden, darunter mindestens 19 Kinder. Für die Demonstrationen macht der Oberste geistliche Führer des Iran, Ali Khamenei, eine »ausländische Verschwörung« verantwortlich; die »Unruhen und Unsicherheiten« seien »von Amerika und dem zionistischen Regime« geplant worden. Auch solche »Erklärungen« kennt man von Regimevertretern zur Genüge.

Geht es um die Todesursachen bei den Opfern, die im Schnitt zwanzig Jahre jung sind, lauten die offiziellen Angaben häufig, die Betreffenden seien eines natürlichen Todes gestorben, von einem Dach gefallen oder von anderen Demonstranten getötet worden. Doch niemand im Iran, der bei Trost ist, glaubt das.

Auch nicht im Fall von Nika Shakarami. Die 16- oder 17-Jährige – die medialen Angaben zu ihrem Alter sind nicht einheitlich – verschwand laut den Angaben ihrer Familie gegenüber BBC Farsi am 20. September während einer Demonstration in Teheran. So berichtete es die britische Zeitung The Sun. Mit sich habe sie eine Flasche Wasser und ein Handtuch geführt – vermutlich für den Fall, dass die Polizei Tränengas einsetzt. In einem letzten Telefonat mit einem Freund habe sie gesagt, sie fliehe vor den Sicherheitskräften.

Regime zwingt zu falschen Geständnissen

In der folgenden Nacht sei ihr Mobiltelefon abgeschaltet worden, außerdem habe man ihre Konten bei Instagram und Telegram gelöscht, wie die Sun schreibt. Zehn Tage lang habe die Familie nach Nika Shakarami gesucht, dann habe sie sie in der Leichenhalle des berüchtigten Foltergefängnisses Kahrisak gefunden, mit Anzeichen eines Schädelbruchs und zertrümmerter Nase. Die Familie wollte Nika eigentlich an ihrem Geburtstag im westiranischen Dorf Khorramabad zu Grabe tragen, doch die Behörden beerdigten sie eigenmächtig. So schrieb es Atash Shakarami, Nikas Tante, der britischen Tageszeitung The Guardian zufolge in den sozialen Medien.

Atash Shakarami erklärte zudem, die Behörden hätten einen Sturz aus großer Höhe als Todesursache angegeben. Das glauben die Angehörigen jedoch nicht. Sie sind vielmehr davon überzeugt, dass auf einem vermeintlichen Beweisfoto, das Nikas leblosen Körper auf dem Bürgersteig zeigen soll, die Wasserflasche und ihr Mobiltelefon neben ihr platziert worden ist, das Bild also arrangiert wurde. Die Tante sowie Nikas Onkel Mohsen wurden nach diesen öffentlichen Äußerungen verhaftet – und offenbar zu gegenteiligen Aussagen gezwungen.

Der BBC zufolge zeigte das staatliche iranische Fernsehen, wie Atash Shakarami sagte, ihre Nichte sei gestorben, nachdem sie von einem Gebäude gestürzt sei. Ihr Mann sprach sich demnach in einem Video gegen die Proteste aus; eine Stimme habe ihn im Flüsterton mit den Worten »Sag es, du Dreckstück« dazu aufgefordert.

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Wie die BBC weiterschreibt, wurde den beiden nach Angaben einer familiennahen Quelle mit der Ermordung weiterer Familienmitglieder gedroht. Die Behörden verbreiteten unterdessen die Version, Nika Shakarami sei in der Nacht ihres Verschwindens in einem Gebäude gesehen worden und habe am Tag darauf tot in dessen Innenhof gelegen. Mit den Protesten habe ihr Tod nichts zu tun, auch die per Obduktion festgestellten schweren Verletzungen deuteten auf einen Sturz hin. Laut BBC heißt es in der von einem Teheraner Friedhof ausgestellten Todesurkunde jedoch, Nika Shakarami sei nach mehreren Verletzungen durch »Treffer mit einem harten Objekt« gestorben.

Verantwortung für Morde beim Regime

Nikas Mutter Nasrin Shakarami sagte derweil, ihre Schwester Atash sei »gezwungen worden, die Geständnisse abzulegen« und sie zu veröffentlichen. »Ich muss mich wahrscheinlich nicht besonders anstrengen, um zu beweisen, dass sie lügen. Meine Tochter wurde bei den Protesten am Tag ihres Verschwindens getötet.« Gemäß der Todesurkunde sei Nika »durch wiederholte stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf« getötet worden. Sie habe die Leiche selbst gesehen, so die Mutter. »Ihr Hinterkopf zeigte, dass sie einen sehr schweren Schlag erlitten hatte, denn ihr Schädel war eingeschlagen. Auf diese Weise wurde sie getötet.« Nasrin Shakarami sagte, die Behörden hätten mehrmals versucht, mit ihr telefonisch in Kontakt zu treten, was sie aber verweigert habe.

Auch die NGO Iran Human Rights glaubt die Version der iranischen Behörden nicht. Sie erklärte: »Angesichts der langen Geschichte der Islamischen Republik Iran, Beweise zu verheimlichen, zu lügen und zu manipulieren, weisen wir die offizielle Darstellung zu Nikas Tod aufgrund der Widersprüche und Mängel zurück und machen den iranischen Staat für ihre Ermordung verantwortlich.«

Der Direktor der Organisation, Mahmood Amiry-Moghaddam, ergänzte: »Die Beweise deuten auf eine Rolle der Regierung bei der Ermordung von Nika Shakarami hin, es sei denn, eine unabhängige Untersuchungskommission unter Aufsicht der Vereinten Nationen beweist das Gegenteil.« Solange ein solches Gremium nicht gebildet werde, liege »die Verantwortung für den Mord an Nika, wie auch für die anderen Opfer der aktuellen Proteste, bei Ali Khamenei und den ihm unterstellten Kräften«.

Einfach niedergeschossen

Wie Jîna Mahsa Amini ist auch Nika Shakarami zu einem Symbol des politischen Widerstands im Iran geworden, ähnlich wie Hadis Najafi. Die 22-Jährige aus einer iranisch-aserbaidschanischen Familie hatte ein Diplom in Modedesign und war vor allem auf TikTok und Instagram bekannt und aktiv. Am 21. September, einen Tag nach Nika Shakarami, wurde sie auf einer Protestdemonstration in der Großstadt Karaj von mindestens sechs Kugeln erschossen, die Familie geht sogar von über zwanzig aus.

Auch in diesem Fall bestreitet das Regime, für den Tod der Frau verantwortlich zu sein: Mal heißt es, Najafi sei von anderen Demonstranten erschossen worden, mal soll sie einer Gehirnschwellung erlegen sein, dann wieder einem Herzinfarkt. Die Familie wurde unter Druck gesetzt. Hadis Najafis Tod fand auch international große Beachtung, der Bundesvorsitzende der deutschen Grünen, Omid Nouripour, erwähnte ihn sogar in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag:

»Hadis hat letzte Woche eine Demonstration in Teheran besucht. Hadis ist eine junge Frau, die auf die Demonstration gegangen ist, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat, dass die Verhältnisse so sind, wie sie sind, und weil sie gegen die Ermordung von Jîna Mahsa Amini protestieren wollte. Hadis Najafi hat auf dem Weg zu dieser Demonstration noch eine Videobotschaft für eine Freundin hinterlassen. Sie sagte: ›Ich bin nervös, weil alle wissen, was denjenigen, die protestieren, blüht.‹ Aber sie sagte auch: ›Ich bin froh, dass ich dahin gehe. Jetzt protestieren wir. Hoffentlich ändert sich dadurch in ein paar Jahren etwas in diesem Land, und wir können wieder atmen.‹ Wenige Stunden später ist sie tot. Sechs Kugeln hatte sie in ihrem Körper. Sie wurde einfach niedergeschossen.«

Mut der iranischen Frauen als Auftrag

Zwei Tage nach Najafis Tod starb, ebenfalls auf einer Demonstration in Karaj, die 16-jährige YouTuberin Sarina Esmailzadeh. Sie wurde nach Angaben von Amnesty International von der Polizei mit Knüppeln zu Tode geprügelt. Unter Berufung auf eine Primärquelle schreibt die Organisation zudem, Esmailzadehs Familie sei »intensiven Schikanen ausgesetzt, um sie zum Schweigen zu bringen«. Auch hier verbreitete das Regime wie üblich eine andere Version: Der Nachrichtenagentur Isna zufolge erklärte der Oberste Richter der Provinz Alborz, eine vorläufige Untersuchung habe ergeben, dass es sich bei dem Tod der Jugendlichen um Suizid durch einen Sprung vom Dach eines fünfstöckigen Gebäudes gehandelt und Esmailzadeh in der Vergangenheit psychische Probleme gehabt habe.

Jîna Mahsa Amini, Nika Shakarami, Hadis Najafi und Sarina Esmailzadeh – ihre Namen und die Umstände ihres gewaltsamen Todes stehen symbolisch für den Widerstand gegen das mörderische iranische Regime und den unfassbaren Mut dieser Frauen. Wenn man sieht, welche unbändige Lebensfreude sie in ihren Beiträgen in den sozialen Netzwerken ausgestrahlt haben – Shakarami und Esmailzadeh etwa bei ihren wundervollen Gesangseinlagen –,ahnt man, dass sie das genaue Gegenteil der frauenverachtenden islamistischen Männerriege sind, die den Iran seit 43 Jahren beherrscht. Und wie verhasst jede Regung von Freiheit dem Regime und seinen Schergen ist.

»Be our voice«, seid unsere Stimme: Mit diesem Slogan fordern viele Iranerinnen und Iraner nicht zuletzt in den sozialen Medien auch dazu auf, in Europa zu verbreiten, was sich im Iran tut, und die iranische Protestbewegung zu unterstützen. Das wäre auch und gerade die Aufgabe der Politik, etwa der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, die bei ihrem Amtsantritt das programmatische Ziel einer feministischen Außenpolitik ausgegeben hat. Mit Blick auf den Iran wäre es besonders wichtig, diesen Anspruch einzulösen – und vor allem gegen das Atomabkommen mit dem Regime einzutreten, das die Mächtigen im Iran nur stärkt. Weiter an diesem Deal festzuhalten, ist auch und besonders ein Verrat an der Freiheitsbewegung.

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