Während die Sicherheitsdienste das Abkommen zwischen Israel und dem Libanon begrüßen, sehen Völkerrechtsexperten viel Raum für Konflikte.
Der Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, Dedi Barnea, sagte während der Sitzung des sicherheitspolitischen Kabinetts am Mittwoch, wer behaupte, das Abkommen über die Seegrenze sei ein Erfolg für die Hisbollah, verstehe die Situation im Libanon nicht. Auch der Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, bezeichnete das Abkommen schädlich für die Hisbollah, da es eine Kluft zwischen der Terrororganisation und dem Iran schaffe. Wie zwei Quellen, die an der Kabinettssitzung teilnahmen, berichteten, stimmte der Stabschef der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF), Aviv Kohavi, mit beiden überein und meinte ebenfalls, das Abkommen sei schlecht für die Hisbollah.
Der Mossad-Chef wies darauf hin, die Hisbollah befürworte das Abkommen nicht, weil es eine De-facto-Anerkennung Israels darstelle, welche die Hisbollah ablehne. Barnea fügte hinzu, die Hisbollah habe erst im vergangenen Mai begonnen, sich ernsthaft mit dem Abkommen über die Seegrenze zu befassen, als die Organisation erkannt habe, dass die öffentliche Meinung im Libanon das Abkommen unterstütze. »Die Hisbollah wollte kein Abkommen mit Israel, hat aber gesehen, dass sie angesichts der innenpolitischen Krise im Libanon die Möglichkeit hat, in der öffentlichen Meinung zu punkten.«
Das Sicherheitskabinett rief dazu auf, den von den USA vermittelten Vertrag so schnell wie möglich zu genehmigen. »Es ist wichtig und dringlich, zum jetzigen Zeitpunkt ein Seeabkommen zwischen Israel und dem Libanon zu erreichen. Die Mitglieder des Sicherheitskabinetts sprechen sich dafür aus, den Genehmigungsprozess im Kabinett voranzutreiben«, heißt es in der nach der Sitzung vorgelegten Erklärung.
Danach wurde die Vereinbarung dem gesamten Kabinett präsentiert, das zustimmte, sie dem Parlament zur Prüfung vorzulegen. Die endgültige Kabinettsabstimmung wird in zwei Wochen stattfinden, wie die Regierung am Mittwoch in einer Erklärung vor dem Obersten Gerichtshof bestätigte, mit der sie auf eine Anfechtung des Verfahrens reagierte.
Rechtsexperten sehen das Abkommen jedoch kritischer als die Sicherheitsexperten, da es viel Raum für Konflikte offenlasse. So sagte Asher Kaufman, Experte für die Grenzdynamik zwischen Israel und dem Libanon an der Notre Dame University, beide Länder beteuerten zwar, dass ihre Interessen gewahrt blieben, doch der Wortlaut der Vereinbarung schaffe keine international anerkannte Grenze zwischen den beiden Ländern: »Es gibt ein sehr klares Verfahren, um eine Seegrenze international anzuerkennen, und das vorliegende Abkommen folgt diesem Verfahren nicht«, da der Text keine Bestimmung enthalte, dass die beiden Länder über ihre gemeinsame Grenze einig seien.
Obwohl also keine Seegrenze geschaffen wird, stellten israelische Beamte die internationale Anerkennung der israelischen Bojenlinie als eine wichtige Errungenschaft dar. Israel hatte die fünf Kilometer lange Seelinie im Jahr 2000 nach seinem Rückzug aus dem Südlibanon eingerichtet. »Die Verankerung dieser Linie [im Völkerrecht] wird es uns ermöglichen, sie als Grenze unserer Hoheitsgewässer zu betrachten«, sagte ein hoher israelischer Beamter vergangene Woche.
Der Text selbst verleiht der Bojenlinie jedoch keine dauerhafte Anerkennung. Stattdessen heißt es, dass Israel und der Libanon »übereinstimmen, dass der Status quo in Küstennähe, einschließlich der derzeitigen Bojenlinie und wie durch diese definiert, unverändert bleibt«. »Wie die Blaue Linie ist sie keine international anerkannte Grenze zwischen Israel und dem Libanon«, sagte Kaufman unter Bezug auf die von den Vereinten Nationen durchgesetzte Demarkationslinie vom Juni 2000. Israel besitzt seit 1949 keine gegenseitig anerkannte Landgrenze mit dem Libanon, sondern nur eine Waffenstillstandslinie.
Während das Fehlen einer Seegrenze bis vor einem Jahrzehnt kein großes Thema war, hat sich dies mit den Gasfunden im östlichen Mittelmeer, welche die wirtschaftliche Zukunft der Region verändern könnten, schlagartig geändert. Der Präsident des Institute for Strategy and Security, Efraim Inbar, betonte deshalb auch, »das Abkommen bietet viel Raum für Reibungen. Und die Hisbollah findet immer kreative Ausreden, um Reibungen zu erzeugen.«