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Iran: Revolutionsgarden-Kommandeure warnen Khamenei vor Implosion des Regimes

Khamenei bei seiner Rede einen Tag nach dem Treffen mit den Revolutionsgarden-Kommandeuren
Khamenei bei seiner Rede einen Tag nach dem Treffen mit den Revolutionsgarden-Kommandeuren (© Imago Images / ZUMA Wire)

Bei einem Treffen des Obersten Führers mit Vertretern der Revolutionsgarden berichteten diese von Frustration, sinkender Moral und Befehlsverweigerung beim Vorgehen gegen protestierende Iraner.

Einem Bericht von IranWire zufolge haben beunruhigte Fraktionen innerhalb des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) seit Beginn der gegen das Regime gerichteten Proteste im Iran mindestens einmal versucht, die Residenz des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei mit Artillerie zu beschießen, da die Frustration innerhalb der Streitkräfte über die Situation wächst.

Während eines Treffens mit dem Obersten Führer am 3. Januar brachten die Kommandeure der Revolutionsgarden ihre Frustration über die anhaltenden Proteste zum Ausdruck und warnten Khamenei vor der Zukunft der Islamischen Republik, schreibt IranWire, dem ein vertraulicher Bericht über das Treffen vorliegt, das anlässlich des dritten Jahrestages der Tötung von Qassem Soleimani, dem ehemaligen Kommandeur der IRGC-Auslandseinheit »Quds Force« stattfand.

Sinkende Moral

Während des Treffens gaben hochrangige IRGC-Kommandeure Khamenei eine besorgte Einschätzung der iranischen Sicherheitslage. Achtundfünfzig Kommandeure und Sicherheitsbeamte waren anwesend, von denen sich die meisten in der vierstündigen Sitzung eine Lagebeurteilung abgaben. Dabei bestätigten einige der Anwesenden, dass die meisten der ihnen unterstellten Streitkräfte sich weigerten, sich gegen das iranische Volk zu stellen und den Befehl verweigert hätten, auf Zivilisten zu schießen. Die Kommandeure warnten Khamenei auch vor einem Sinken der Truppenmoral und einer Zunahme von Konflikten unter den einfachen IRGC-Offizieren.

»Aus unseren Berichten geht hervor, dass sich die IRGC-Kräfte nicht mehr in der gleichen Situation befinden wie im vergangenen Jahr, insbesondere was die Moral betrifft, die gesunken ist«, sagte Abdullah Haji Sadeghi, Khameneis Vertreter innerhalb der IRGC, bei dem Treffen. »Wir haben Informationen und Statistiken von verschiedenen Einheiten über alle Abteilungen hinweg gesammelt, die die Existenz von Konflikten« in den Reihen der Garden aufzeigten. 

Diese Konflikte müssten angemessen bewältigt werden, fuhr Sadeghi fort, und es sie »wichtig zu si darüber im Klaren zu sein, dass es sich hierbei nicht um eine oder zwei Personen handelt, sondern um eine Streitkraft, die aus über 600.000 Personen besteht«, warnte er den Obersten Führer und seine Befehlshaber. Einige Kommandeure sprachen sich auch gegen die Entscheidungen und Maßnahmen von Mojtaba Khamenei aus, dem Sohn des Obersten Führers, der bei der Leitung und Kontrolle der Sicherheits- und Militärkräfte während der Proteste eine wichtige Rolle gespielt hat. 

Frustration in den Revolutionsgarden

Aus dem durchgesickerten Bericht geht auch hervor, dass das Hauptthema des Treffens der Rückgang der Kapazität und Stärke der Sicherheitskräfte der Islamischen Republik war, der auf einen Mangel an Budget und Ressourcen zurückgeführt wurde. Die versammelten Kommandeure diskutierten auch über weitverbreitete Korruption und Fehlverhalten unter hochrangigen Mitgliedern der Streitkräfte, Phänomene, bei denen davon ausgegangen wird, sie zur Verschärfung von Meinungsverschiedenheiten und Kritik unter den Angehörigen dieser Einheiten beigetragen haben.

Der stellvertretende Kommandeur der IRGC-Truppen in Alborz, Ehsan Khorshidi, besipielsweise warnte seine Kollegen vor der Frustration in seinen Truppen 

Er erzählte, dass eine Woche vor dem Treffen eine Gruppe von Wehrpflichtigen und ein Leutnant der Alborz-Einheiten einen Diebstahl aus einem Militärlager inszeniert hätten. Im Zuge der Untersuchung sei dann eruiert worden, dass es gar keinen Einbruch von außen gab, sondern die beteiligten IRGC-Mitglieder die entwendeten Güter in den Armenvierteln von Karaj verteilt hatten. »Die Verdächtigen befinden sich derzeit in Gewahrsam, aber wir wissen nicht, wie wir weiter vorgehen sollen«, fügte Khorshidi hinzu.

Fast alle Kommandeure waren sich einig, dass die Beschaffung finanzieller Mittel von entscheidender Bedeutung für die Islamische Republik sei, um weiterzumachen. 

Nach Angaben von Mahmoud Mohammadi Shahroudi, Kommandeur der paramilitärischen Basidsch-Einheiten der Studenten religiöser Seminare, haben in den letzten Monaten rund 5.000 Mitglieder die Organisation verlassen. »Ich glaube, die jüngsten Probleme bezüglich des Ablegens der religiös vorgeschriebenen Kleidung sowie die Meinungsverschiedenheiten zwischen Studenten und Geistlichen waren nicht nur für die Vertreter des Obersten Führers, sondern auch für die Juristen und die religiös-politischen Gremien der IRGC eine Überraschung.«

Ein weiterer Redner, Gholamali Rashidi, warnte vor einer wachsenden Herausforderung für die Islamische Republik. »Seit Beginn der Proteste gab es Mitarbeiter, die sich den Befehlen widersetzten«, sagte Rashidi. »Ein Vorfall betraf Personen, die die Residenz des Obersten Führers mit Artillerie beschoss. Dank der sofortigen Reaktion unserer Kollegen in der Einheit konnten die Täter identifiziert und festgenommen werden.«

Im Zuge des Treffens wurde eine Reihe von Beschlüssen gefasst, um auf die Situation zu reagieren, und Khamenei wies die Befehlshaber an, diese in den nächsten Wochen öffentlich bekannt zu geben. Dazu gehören die Freilassung einer großen Zahl von Gefangenen, eine Erhöhung der Budgets für die IRGC, das Militär und den Geheimdienst um 52 Prozent sowie die Befreiung aller Basidsch-Milizionäre von Steuern für Strom, Gas, Wasser und Einkommen.

Neuer Tonfall

Der von IranWire kolportierte Bericht stimmt auch mit Khameneis Positionen überein, bezüglich derer ein Vergleich seiner Äußerungen vor und nach dem Treffen bemerkenswerte Änderungen deutlich macht. In seiner letzten öffentlichen Rede am 26. November, 38 Tage vor dem Treffen, drohte Khamenei den Demonstranten, indem er sie als »Aufrührer« bezeichnete und das Land vor den Feinden des Iran warnte.

In einer öffentlichen Rede am 4. Januar, einen Tag nach dem Treffen, war Khameneis Ton deutlich anders. »Ich war auf einer Reise in der Provinz und die Menschen kamen auf mich zu, um mich zu begrüßen«, sagte Khamenei. »Mir ist aufgefallen, dass mindestens ein Drittel der Bevölkerung, darunter auch Frauen, die keinen Hidschab trugen, Tränen vergossen hat. Es ist nicht fair, sie als konterrevolutionär oder antirevolutionär zu bezeichnen. Wie kann man ihren Enthusiasmus und ihren Eifer, an religiösen oder revolutionären Zeremonien teilzunehmen, kritisieren? Sie sind unsere Töchter«, fügte Kahmenei hinzu.

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