Die Menschenrechtsorganisation beklagt die Diskriminierung und Verfolgung von Homosexuellen und LGBT-Personen im Nahen Osten und „vergisst“ dabei einen Staat: wenig überraschend ist es der jüdische.
Es gibt keinen einzigen arabischen Staat in der MENA-Region (Nordafrika und Naher Osten), in dem sich LGBT-Aktivisten zu einer Konferenz treffen können. Diese Tatsache konstatierte Human Rights Watch (HRW) letzte Woche in einer Presseerklärung.
Der Nahe Osten als No-Go-Area für LGBT-Rechte
Früher, heißt es darin, sei der Libanon bekannt dafür gewesen, „für Menschenrechtsverteidiger aus der arabischsprachigen Welt – vor allem für jene, die sich mit Gender und Sexualität beschäftigen – ein Hafen in einem Sturm zu sein, um sich frei und ohne Zensur zu organisieren“. Ein Raum dafür sei die jährliche NEDWA Konferenz der Arab Foundation for Freedoms and Equality (AFE) gewesen:
„Selbst als lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender (LGBT)-Leute im Lauf der Jahre schwere Menschenrechtsverletzungen zu gewärtigen hatten, die von Morden im Irak über Gefängnisstrafen und erzwungenen Analuntersuchungen in Ägypten zu rigider Zensur von LGBT-Inhalten in Katar reichten, war der Libanon ein Hafen, wo unter Druck stehende Aktivisten sich auf der NEDWA treffen konnten, um im Angesicht der Feindseligkeit die Standhaftigkeit ihrer Bewegungen, Taktiken und gemeinschaftliche Heilung zu kräftigen. Dieser sichere Hafen im Nahen Osten existiert nicht mehr länger.“
HRW verweist darauf, dass die libanesische Geheimpolizei 2018 am dritten Tag der NEDWA-Konferenz in das Hotel eingedrungen sei, wo die Veranstaltung stattfand, und die Personalien von allen Teilnehmern registriert habe, auch von solchen aus Ägypten und dem Irak, die in ihrem Herkunftsland Gefahr laufen, ins Gefängnis geworfen oder umgebracht zu werden. Zudem habe es willkürliche Einreiseverbote gegen Teilnehmer der Konferenz gegeben. Darum könne diese nun nicht mehr im Libanon stattfinden:
„AFE war gezwungen, die Konferenz zum ersten Mal an einen Ort außerhalb der Region Naher Osten und Nordafrika zu verlagern. Die Aktivisten passten sich an. Zweihundert Menschenrechtsverteidiger, Künstler und Wissenschaftler aus der Region versammelten sich in einem anderen Land.“
In „einem anderen Land“? Der Bericht ist hier geheimnistuerisch. Eine Internetsuche ergibt, dass die Konferenz auf Zypern stattfand (gewiss im griechischen und nicht im türkischen Teil der Insel). Dort, so der Bericht, konnten die Teilnehmer über „Gesundheit, Menschenrechte und den Aufbau von Bewegungen“ diskutieren. „Queere und Trans-Künstler aus Palästina, dem Libanon und Ägypten“ hätten die Konferenzteilnehmer mit Darbietungen inspiriert.
HRW richtet einen Vorwurf an die libanesische Regierung: „Statt dringend benötigte Plattformen wie NEDWA zu beschützen und diese Aktivisten zu feiern, hat sich die libanesische Regierung entschieden, ihre internationalen Verpflichtungen zu brechen, indem sie behauptete, die Konferenz ‚störe die Sicherheit und die Stabilität der Gesellschaft’ und deren Teilnehmer kollektiv mit Sanktionen zu belegen.“ Der Text schließt mit den Worten:
„Der Libanon sollte beachten: Einschüchterung und Drohungen werden die Stimmen standhafter Aktivisten nicht zum Verstummen bringen, die weiterhin für ihr Recht kämpfen werden, zu leben und zu lieben. Indem es dem Aktivismus seine Türen versperrt, veräußert der Libanon sein Image als Knotenpunkt für Freiheit und Diversität in der Region.“
Der ganze Nahe Osten?
Der letzte Satz ist überraschend milde – ein Tadel, der fast wie ein Lob klingt. Es scheint, als wolle HRW die libanesische Regierung eher umschmeicheln und sie bei ihrer Eitelkeit zu packen, als sie scharf zu kritisieren. Den Libanon als „Knotenpunkt für Freiheit und Diversität in der Region“ zu loben, ist grotesk. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind im Libanon ein Straftatbestand, und die in dem Text angesprochenen erzwungenen Analuntersuchungen zur Feststellung von Homosexualität gibt es auch im Libanon – eine Tatsache, die auf der Website von Human Rights Watch an anderer Stelle sehr wohl zu finden ist.
Die Autorin des Berichts will offenbar die Augen davor verschließen, welches Land in Wahrheit der Knotenpunkt für Freiheit und Diversität in der Region ist: Israel – eben das Land, gegen das HRW das Gros seiner Tätigkeit richtet. In den letzten sechs Jahren hat HRW nicht weniger als acht Sonderberichte über Israel erstellt, zuletzt das absurde Pamphlet gegen die Plattform zur Vermittlung von Ferienunterkünften, Airbnb.
Wenzel Michalski, der deutsche Direktor von HRW, kritisierte dieses Jahr in einem auf der HRW-Website veröffentlichten Aufsatz den Deutschen Bundestag für dessen Verurteilung der antisemitischen „BDS“-Kampagne. Seine Intervention aufseiten der Boykotteure hatte nichts mit dem Einsatz für Menschenrechte zu tun, war Michalski aber offenbar ein Herzensanliegen.
Antiisraelische Obsession
Die langjährige Anti-Israel-Obsession von HRW ist gut dokumentiert und begleitet von einer Kette von Skandalen, die zu erklären Exekutivdirektor Kenneth Roth immer wieder Mühe hat.
Warum sammelte der frühere Militärexperte von HRW, Marc Galasco, (der 2009 Israel beschuldigte, „Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung“ zu verüben und maßgeblich zum später von Goldstone selbst widerrufenen „Goldstone Report“ beigetragen hat) Wehrmachts- und SS-Memorabilien? Warum traf sich Sarah Leah Whitson, die Direktorin der Nahostabteilung von HRW, 2009 in Saudi-Arabien mit den dortigen Eliten und warb mit dem Argument um deren Geld, dass HRW sich der Angriffe von „Pro-Israel-Lobbygruppen“ erwehren müsse? Warum ist Whitson eine Freundin des Hamas- und Hisbollah-Unterstützers Norman Finkelstein?
Robert Bernstein, der Human Rights Watch gegründet hat und von 1978 bis 1998 an der Spitze der Organisation stand, hat schon vor zehn Jahren in einem Gastbeitrag für die New York Times heftige Kritik an dem Kurs geäußert, den sein Nachfolger Kenneth Roth – der seit 1993 Executive Director von HRW ist – eingeschlagen hat. Gründungsziel sei es gewesen, den Dissidenten in diktatorischen Regimes zu helfen, so Bernstein. Das sei längst in Vergessenheit geraten, die Unterschiede zwischen Demokratien und Diktaturen würden von HRW verwischt:
„Bei Human Rights Watch haben wir immer erkannt, dass offene, demokratische Gesellschaften Fehler haben und Misshandlungen verüben. Aber wir haben gesehen, dass sie die Fähigkeit haben, sie zu korrigieren – durch lebhafte öffentliche Debatten, eine kontroverse Presse und viele andere Mechanismen, die Reformen fördern.“
Deshalb habe Human Rights Watch zu seiner Zeit immer versucht, „eine scharfe Grenze zwischen der demokratischen und der nichtdemokratischen Welt zu ziehen, um Klarheit in Bezug auf die Menschenrechte zu schaffen“. Man habe verhindern wollen, dass die Sowjetunion und ihre Anhänger so tun, als stünden sie mit dem Westen moralisch auf einer Stufe.
„Indem wir auf Dissidenten wie Andrej Sacharow, Natan Scharanski und diejenigen im sowjetischen Gulag aufmerksam machten – und auf die Millionen in Chinas Laogai, den Arbeitlagern –, wollten wir die Liberalisierung fördern.“
Als er 1998 ausgestiegen sei, sei Human Rights Watch in 70 Ländern aktiv gewesen, die meisten davon geschlossene Gesellschaften. „Jetzt hebt die Organisation mit zunehmender Häufigkeit ihre wichtige Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Gesellschaften auf.“
Nirgendwo sei dies so offensichtlich wie bei der Arbeit im Nahen Osten. „Die Region ist von autoritären Regimes mit entsetzlichen Menschenrechtsbilanzen bevölkert. In den letzten Jahren hat Human Rights Watch jedoch weitaus mehr Verurteilungen Israels wegen Verstößen gegen das Völkerrecht als gegen jedes andere Land in der Region erlassen.“ Israel mit seinen 7,4 Millionen Einwohnern, schrieb Bernstein, beherberge
„mindestens 80 Menschenrechtsorganisationen, eine pulsierende freie Presse, eine demokratisch gewählte Regierung, eine Justiz, die häufig gegen die Regierung entscheidet, politisch aktive Universitäten, zahlreiche politische Parteien und, nach der Zahl der Berichte zu urteilen, wahrscheinlich mehr Journalisten pro Kopf als in jedem anderen Land der Welt – von denen viele ausdrücklich da sind, um über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu berichten.“
Rückbesinnung auf die Gründungsidee
Unterdessen regierten die arabischen Regimes und das iranische „über 350 Millionen Menschen, und die meisten bleiben brutal, geschlossen und autokratisch, lassen nur wenig oder gar keinen internen Widerspruch zu“. Die Notlage der dortigen Bürger, „die am meisten von der Aufmerksamkeit profitieren würden, die eine große und gut finanzierte internationale Menschenrechtsorganisation“ bieten könne, werde von HRW ignoriert, „während die Abteilung Middle East einen Bericht nach dem anderen über Israel erstellt“.
Jetzt, wo Human Rights Watch öffentlich zugegeben hat, dass es kein einziges arabisches Land gibt, in dem sich Menschen- und Bürgerrechtler zu einer Konferenz treffen können, wäre für die Organisation ein guter Zeitpunkt, sich auf die Gründungsidee zurückzubesinnen. Statt am laufenden Band antiisraelische Kampagnen zu veranstalten, die mit Menschenrechten rein gar nichts zu tun haben, sollte HRW sich auf die grausamen Menschenrechtsverletzungen autokratischer Regimes konzentrieren.
Eine Reform der Organisation wird aber unmöglich sein, solange das derzeitige Personal dort das Sagen hat.