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Trotz harten Durchgreifens der Hamas weiterhin Proteste in Gaza 

Trotz der Repression wird in Gaza weiter gegen die Hamas demonstriert
Trotz der Repression wird in Gaza weiter gegen die Hamas demonstriert (© Imago Images / ABACAPRESS)

Die sich verschlechternde Lage im Gazastreifen hat zu seltenen Anti-Hamas-Protesten geführt, die von wachsender Frustration über die schlechten Bedingungen in der Enklave begleitet sind.

Die seit Jahren andauernde Krise im Gazastreifen scheint einen Siedepunkt erreicht zu haben, was dazu führte, dass in den vergangenen zwei Wochen die Wut der Gaza-Bewohner gegen die Hamas-Bewegung ausbrach. So gingen wie schon am Wochenende davor auch letzten Freitag in verschiedenen Gebieten des Gazastreifens wieder Tausende Palästinenser auf die Straße, um öffentlich gegen die Machthaber im Küstenstreifen zu protestieren.

Die Demonstranten versammelten sich in Gaza-Stadt, Nuseirat, Khan Yunis, dem Flüchtlingslager Jabaliya, Rafah, Bani Suheila und in Shujaiya und skandierten Slogans wie »Lass uns in Ruhe, Hamas!« oder »Die Menschen wollen den Sturz des Regimes«. Mit dem Ruf »Wir wollen leben!« lebte auch eine Parole wieder auf, die schon bei den Demonstrationen im Jahr 2019 verwendet wurde und sich gegen die hohen Lebenshaltungskosten, die interne Spaltung der Palästinenser, die Stromknappheit, die Arbeitslosigkeit und die Ernährungsunsicherheit gerichtet hatte. 

Auch die aktuellen Proteste sind politisch, wirtschaftlich und sozial motiviert und geschehen zu einem Zeitpunkt, an dem die Lebensbedingungen in Gaza nicht zuletzt aufgrund der ständigen Stromausfälle unerträglich geworden sind. Die verzweifelten Bewohner des Gazastreifens sind der Ansicht, von beiden Behörden im Stich gelassen zu werden, nämlich von der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Mahmoud Abbas in Ramallah und von der Hamas, die den Gazastreifen regiert. Dementsprechend wurden dieselben Forderungen wie 2019 erhoben und von den Demonstranten betont, weiterhin protestieren zu wollen, bis sie ihre vollen Rechte erhalten. 

Die Proteste waren eine Reaktion auf die Aufrufe von Aktivisten in den sozialen Medien, die immer lauter wurden, als sich die Stromkrise im Juli verschärfte, sodass die Bewohner des Gazastreifens inmitten einer brütenden Hitzewelle täglich nur über fünf Stunden Strom erhielten.

Brutales Vorgehen der Hamas

Die Sicherheitskräfte der Hamas gingen hart gegen die friedlichen Demonstranten vor und griffen mehrere Personen mit Schlagstöcken an. Dutzende von Demonstranten wurden verletzt, viele mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Eine Person auf dem Abu al-Jedian-Platz im Norden des Gazastreifens wurde sogar durch scharfe Munition verwundet.

Jüngsten Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge liegt die Ernährungsunsicherheit im Gazastreifen bei rund 63 Prozent, während die Armutsrate im Jahr 2022 65 Prozent erreichte. Inzwischen sind 45 Prozent der Bevölkerung arbeitslos, wobei die Jugendarbeitslosigkeit nach Angaben des palästinensischen Zentralamts für Statistik für 2022 bei 73,9 Prozent lag. Die schwierigen Lebensbedingungen haben sich auch auf die psychische Gesundheit ausgewirkt. Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) erklärte in einem Bericht aus dem Jahr 2022, dass ein Drittel der Bevölkerung des Gazastreifens psychische Gesundheitsdienste und psychosoziale Unterstützung benötigte.

Ramy, ein Demonstrant, der bei einem Aufmarsch in der Stadt Bani Suheila von einem Schlagstock an der Schulter getroffen wurde, sagte gegenüber Al-Monitor, die Sicherheitskräfte der Hamas »haben uns barbarisch angegriffen, obwohl die Proteste völlig friedlich waren. Es ist ihnen egal. Sie geben nicht einmal vor, sich um uns zu kümmern. Ihre Führer haben den Gazastreifen hoffnungslos ruiniert und in einen Ort des Elends verwandelt, aber sie selbst führen einen luxuriösen Lebensstil.«

Fadi, ein weiterer junger Demonstrant aus Bani Suheila, beklagte, dass »Jahre unseres Lebens vergeudet [werden]. Wir leiden. Wir können keine Arbeit finden, wir können kein Geld verdienen, wir können nicht heiraten, wir können kein Essen auf den Tisch stellen. Wir können nichts tun in Gaza.« »Bis heute verhalten sich die Hamas-Führer nicht so, als seien sie die Herrscher von Gaza. Sie sind faul, korrupt, nachlässig und unmenschlich«, fügte der ebenfalls an den Protesten in Bani Suheila teilnehmende Ahmed Hasan hinzu. 

Zu den Forderungen der Demonstranten gehörte diesmal auch, dass die Hamas endlich Kommunalwahlen im Gazastreifen zulasse. Seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2007 hat die islamistische Bewegung alle Arten von Wahlen verboten, darunter allgemeine Wahlen, Kommunalwahlen, Wahlen zu den Handelskammern und sogar Wahlen zu den Studentenräten der Universitäten. Die Hamas besetzt alle Positionen aus ihren eigenen Reihen, ohne dass ein Wahlverfahren stattfände.

Repressionswelle

Im Anschluss an die Demonstrationen startete die Hamas eine Verhaftungskampagne gegen Personen, die an den Protesten teilgenommen hatten. Letzten Sonntag stürmten Sicherheitskräfte sogar das Abu Youssef Al-Najjar-Krankenhaus im Gouvernement Rafah und entführten drei Patienten, die wegen Verletzungen, die sie während der Proteste erlitten hatten, behandelt wurden, bevor sie diese wieder freiließen.

Auch Journalisten wurden angegriffen und daran gehindert, über die Proteste zu berichten. Der Reporter von Palestine TV, Walid Abdel Rahman, der Opfer der Repression wurde, als er die Demonstrationen im Lager Jabaliya im nördlichen Gazastreifen filmte, sagte der örtlichen Nachrichtenagentur Wafa, er sei von Personen angegriffen worden, die sich als Mitglieder der Inneren Sicherheit der Hamas ausgaben. Demonstranten hätten ihn daraufhin umzingelt und so die Einsatzkräfte daran gehindert, ihn weiter zu verprügeln und festzunehmen. 

Das palästinensische Journalistensyndikat verurteilte den Angriff. »Der Angriff und die Behinderung von Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit und der Berichterstattung über die friedlichen Märsche an mehreren Orten im Gazastreifen ist ein eklatanter Verstoß gegen die Freiheit der journalistischen Arbeit«, schrieb das Syndikat in einer Presseerklärung, in der es auch Menschenrechtsorganisationen zum Eingreifen aufrief.

Obwohl die wachsende Wut der Bevölkerung gegen die Hamas enorm ist, werden die Proteste zu keinen greifbaren Ergebnissen führen, befürchtet der politische Analyst Muhammad Shehada, der für mehrere Zeitungen schreibt, da die Hamas wie immer mit hartem Durchgreifen reagiere, um die Proteste niederzuschlagen.

Die Organisatoren der Bewegung »Wir wollen leben« haben zu weiteren Protesten in den kommenden Tagen aufgerufen. So veröffentlichten sie nach den Protesten am Sonntag eine Erklärung, in der es hieß: »Die Zeit des Schweigens über Ungerechtigkeit und die Ausnutzung der Religion für Unterdrückung ist vorbei.« Bei den Protagonisten handelt es sich hauptsächlich um Aktivisten aus dem Gazastreifen, die nach Europa geflohen sind, nachdem ihre früheren Versuche, im Gazastreifen zu protestieren, gescheitert und von den Sicherheitskräften der Hamas unterdrückt worden waren. Ramzi Herzallah, einer der Organisatoren, lebt derzeit in Belgien und schreibt auf seiner Facebook-Seite über die »We Want to Live«-Demonstrationen. Seine Beiträge enthalten detaillierte Dokumentationen der Proteste im gesamten Gazastreifen als auch der Übergriffe der Hamas-Sicherheitskräfte auf Demonstranten.

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