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Was hat Moria mit Gaza zu tun?

Der aus Gaza stammende Mohammad al-Talooli (re.) mit Aktivisten der Leros Refugee Youth Group
Der aus Gaza Mohammad al-Talooli stammende (re.) mit Aktivisten der Leros Refugee Youth Group (Foto: Leros Refugee Youth Group)

Entweder hat die Organisation „Seebrücke“ in Frankfurt grob fahrlässig gehandelt, oder sie hat kein Problem mit Israelhassern.

Mohammad al-Altlooli wurde inzwischen in Griechenland als Asylbewerber anerkannt, zusammen mit einigen Bekannten war er 2019 aus dem Gazastreifen geflohen. Dort hatten sie sich sich im Gaza Youth Committee zusammengefunden, einer Gruppe, die – motiviert durch den arabischen Frühling – sich kritisch gegen die Herrschaftspraxis der Hamas engagierte.

Zusammen hatten sie im Januar 2017 eine erste große Demonstration gegen die regierenden Islamisten organisiert. Nicht alle konnten fliehen; rigoros geht die Hamas gegen die Aktivisten vor, im April erst wurden Rami Aman und drei weitere verhaftet und vor wenigen Tagen verurteilt, weil sie den „revolutionären Geist“ verletzt hätten, indem sie Zoom-Konferenzen mit Israelis abgehalten hatten.

Denn al-Altlooli und seine Mitstreiter werben offen für etwas, was in Gaza als Kapitalverbrechen gilt: Frieden und Koexistenz mit Israel. Deshalb müssen sie entweder fliehen oder wandern in den Knast. Und sie hoffen, wie viele junge Leute dort, dass Gaza eines Tages frei sein wird: frei nämlich von der Herrschaft der Hamas.

Flucht vor antizionistischen Regimen

In den überfüllten Flüchtlings-Hotspots auf den ostägäischen Inseln, egal ob auf Lesbos, Chios oder Leros, treffen al-Altlooli und seine Freunde Menschen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak und dem Iran, die fast alle entweder vor dem iranischen Regime, Assad oder den Taliban geflohen sind. Fast jeder hier kann ein Lied über die Brutalität derer singen, die im Namen des Islam die Region systematisch verwüsten.

All diese Akteure, egal ob das vermeintlich säkulare Assad-Regime in Syrien, seine Schutzherren in Teheran oder sunnitische Islamisten wie Taliban und Islamischer Staat haben eines gemeinsam: Angeblich liegt ihnen das Schicksal der palästinensischen Schwestern und Brüder ganz besonders am Herzen, und deren „Befreiung“, womit im Klartext die Vernichtung Israels gemeint ist, steht ganz oben auf ihrer politischen Agenda.

Ob die Mullahs in Teheran, Assad, Al-Qaida oder die Muslimbrüder – sie alle wollen Palästina vom Fluss bis ans Meer von der „zionistischen Herrschaft“ befreien. Wer in Griechenland in einem der Lager seine Existenz fristet und aus dem Nahen Osten stammt, kennt diesen Spruch nur allzu gut und weiß in der Regel auch, dass er wenig Gutes verheißt.

Egal, ob Kurden im Irak unter Saddam als Zionisten verfolgt wurden, die syrische Opposition als Agenten Israels oder säkulare Oppositionelle überall, meist richtet sich der Befreiungsfuror vder Regime im Nahen Osten sogar weniger gegen den israelischen Staat als gegen die zu Feinden erklärte Gegner im Inneren. Und inwieweit das Versprechen Teherans, das „zionistische Krebsgeschwür“ vom Erdboden zu tilgen, wenn möglich atomar, den Palästinensern konkret helfen soll, konnte schlüssig bislang auch noch niemand erklären.

Kurzum, wer sich ein wenig auskennt, warum Menschen in die Türkei und später nach Griechenland fliehen, müsste eigentlich wissen, dass es vor allem genau diese Regimes und Bewegungen sind, die ihre Länder in Höllen und Ruinenlandschaften verwandeln, in denen Leben kaum noch möglich ist.

Wenn also die Seebrücke neben anderen Organisationen zu einer Moria-Demonstration aufruft, sollte sie eigentlich wissen, wie die Stimmung in den griechischen Hotspots ist, schließlich sind genügend ihrer Freiwilligen vor Ort.

Flüchtlinge als Projektionsfläche von Antisemiten

Deren Auskunft scheint allerdings keine große Rolle gespielt zu haben, denn als Redner lud man auch die Gruppe „Free Palestine FFM“, die die Gelegenheit nutzte ihren üblichen Sermon über Lautsprecher von sich zu geben. Schließlich geht es ihr, anders als den Flüchtlingen aus Gaza, nicht darum, das Gebiet von der Hamas, sondern ganz Palästina von den Zionisten zu befreien. Was genau dieses Anliegen mit der Lage auf Lesbos zu tun haben soll, verrieten sie nicht. Moria findet nicht ein einziges Mal Erwähnung in einer Rede, die so endet:

„Wir fordern eine Welt, wo Menschen nicht hinter einer Mauer im größten Freiluftgefängnis namens Gaza verrecken oder im Mittelmeer durch EU Grenzregime ermordet werden!

Lasst uns unsere anti-imperialistischen Kämpfe vereinen! Lasst uns zusammen kämpfen! Free Palestine! Yallah Intifada!”

Daraufhin skandierten Demonstrationsteilnehmer den Spruch: „From the River to the Sea, Palestine will be free!“ und niemand sah sich offenbar genötigt, dem Treiben ein Ende zu bereiten.

Was europäische Flüchtlingspolitik und Elendslager auf griechischen Inseln mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu tun haben sollen, außer eben dass auch viele Palästinenser hier landen, kann das Organisationskomitee der Demonstration selbstverständlich nicht erklären, außer dass es hier wie dort Mauern und Stacheldraht gibt.

Die Seebrücke Frankfurt hätte – falls sie nicht wusste, wen sie da auf die Rednertribüne geladen hat – zumindest zwei Minuten für eine Google-Suche aufwenden können, um zu erfahren, dass es „Free Palestine FFM“ ganz sicher nicht um das Schicksal irgendwelcher Flüchtlinge geht, weder derer in Griechenland noch jener seit Jahrzehnten künstlich im Flüchtlingsstatus gehaltenen Palästinenser in irgendwelchen Lagern im Nahen Osten.

Sollten sie es versäumt haben, sich über die Organisation zu informieren, haben sie grob fahrlässig gehandelt; sollten sie gewusst haben, mit wem sie sich da gemein machen, haben sie nicht nur ihrer Sache einen Bärendienst erwiesen, sondern müssen sich fortan den Vorwurf gefallen lassen, keinerlei Distanz zu ausgewiesenen Israelhassern zu haben.

Asylbewerber in Griechenland brauchen sicher vieles, eines aber ganz sicher nicht: „Yallah Intifada!“ Genau davon haben die meisten nämlich einfach genug und möchten ganz sicher nicht auch noch als Projektionsfläche irgendwelcher deutscher Metropolenlinker instrumentalisiert werden.

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