Die Auswanderer sind überwiegend gut ausgebildete Fachkräfte, vor allem aus der IT-Branche, aber auch Ärzte und Akademiker. Die meisten verlassen das Land nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil sie in dem politischen System unter Erdogan keine Zukunft für sich und ihre Familien sehen, stellt die Untersuchung fest. Eine große Rolle spielt dabei die Islamisierung des türkischen Bildungswesens. So darf die Evolutionstheorie an türkischen Schulen nicht mehr gelehrt werden. Während die Naturwissenschaften im Lehrplan an Bedeutung verlieren, nimmt der islamische Religionsunterricht eine immer größere Rolle ein. Wenige Tage vor der Wahl im Juni versprach Erdogan auf einer Massenkundgebung in Istanbul, sein Ziel sei es, ‚eine fromme Generation von Muslimen heranzuziehen‘. Seit Erdogans erstem Wahlsieg 2002 hat sich die Zahl der Imam Hatip Schulen, der Religionsgymnasien, von 450 auf 4500 verzehnfacht. Immer mehr reguläre Schulen werden in Religionsschulen umgewandelt. Sie bekommen aus dem Etat des Erziehungsministeriums durchschnittlich doppelt so viel Geld wie säkulare Gymnasien. (…)
Dass ausgerechnet viele der besten Talente auswandern, könnte für das Land gerade jetzt, wo ein wirtschaftlicher Abschwung eingesetzt hat, zum Problem werden. Der Türkei droht ein Braindrain.“ Gerd Höhler: „‚Nichts wie weg hier‘ – Warum junge Türken vor Erdogan fliehen“)